Als die Bilder sprechen lernten

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Die Frankfurter Kunsthalle Schirn zeigt in der Ausstellung „Pioniere des Comics. Eine andere Avantgarde“ die frühen Vertreter einer lange geächteten Kunstgattung.

Comics à la „Donald Duck“ gehörten in den fünfziger und sechziger Jahren vor allem in Deutschland zu der Gattung der „Schundliteratur“, die man Kindern konsequent entziehen sollte. Erwachsene zählte man sowieso nicht zu dem typischen Leserkreis, obwohl schon damals tägliche Kurzkomiks in viele Tageszeitungen  zum Redaktionsrepertoire gehörten. Diese offene Verachtung in Deutschland hing nicht zuletzt mit dem kruden Kunstbegriff des Dritten Reiches zusammen, der sich noch weit in die Nachkriegszeit hinein auswirkte. In anderen europäischen Ländern wie Belgien und Frankreich war man zu dieser Zeit schon weiter, was Serien wie „Tim und Struppi“ deutlich beweisen.

Winsor McKay: "Dream of the Rarebit Friend"

Winsor McKay: „Dream of the Rarebit Friend“

Doch die Anfänge des Comics lagen eindeutig in den USA, die dank der fehlenden eigenen Kulturgeschichte schon immer ein recht unverkrampftes Verhältnis zu neuen Kunstströmungen bewiesen. Dabei versteht man unter dem Begriff „Comic“ eine in Bildern erzählte Geschichte, bei der die gezeichneten Personen in Gestalt von Sprechblasen miteinander sprechen. In diesem Sinne war Wilhelm Busch, der schon früher Texte mit Bildern verband, kein Comic-Autor, da er die Bilder als reine Illustrationen eines eigenständigen Textes betrachtete.

Der Urvater des Comics, Winsor McCay (1869-1934), veröffentlichte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts seine Bildergeschichten in Zeitungen wie dem „New York Herald“, wochentags als einzeilige Bilderstreifen, Sonntags ganzseitig. In seinen wichtigsten Serien, „Little Nemo in Slumberland“ und „Dream of a Rarebit Friend“ thematisiert er bereits früh den Traum. In beiden Serien erleben die Protagonisten – der eine ein kleiner Junge, der andere ein gestandener Mann – Albträume der unterschiedlichsten Art, aus denen sie stets mit derselben ASchlussfolgerung erwachen. Den kleinen, völlig verunsicherten Jungen trösten die Eltern, der erwachsene Mann schwört, nie wieder „welsh rarebit“ zu essen, da dieses ihm offensichtlich zu schwer auf dem Magen gelegen hat.

Winsor McKay: "Little Nemo in Slumberland"

Winsor McKay: „Little Nemo in Slumberland“

Die ausgestellten ganzseitigen Comics aus den Sonntagsausgaben sind sorgfältig koloriert, und daneben sind, soweit verfügbar, die Skizzen des Autors in Schwarz-Weiß gehängt. Leider sind heute nur noch wenige Exemplare sowohl der Zeitungen als auch der Skizzen vorhanden, weil früher die Zeitungen als „Tagesware“ schnell  entsorgt wurden und auch die Künstler ihre Werke mehr als tägliche Arbeit denn als archivwürdige Kunst betrachteten. Darüber hinaus bereitet die langfristige Archivierung großflächiger Zeitungsseiten einen technischen Aufwand, den man zu Beginn des letzten Jahrhunderts zu leisten nicht bereit war.

Ein anderer Pionier dieser Kunstgattung war Liionel Feiniger (ja!), der seine Karriere in Deutschland mangels anderer Möglichkeiten als Karikaturist begann, dabei aber nur vorgegebene Themen in Zeichnungen umzusetzen hatte. Erst als er eine Einladung der „Chicago Tribune“ für zwei Comic-Serien erhielt, stieg er in diese Kunstgattung ein und erfand die Comic-Figuren „The Kin-der-Kids“ und „Willie Winkie“. Mit dem dabei verdienten Geld konnte er seine Karriere als „seriöser“ Maler in Paris starten. Die Schirn zeigt Folgen aus den beiden oben genannten Serien, in denen er die Welt mit den Augen eines Kindes betrachtet.

Frank King: "Gasoline Alley"

Frank King: „Gasoline Alley“

Weitere Pioniere des Comics sind Charles Forbell (1884-1946) mit seiner Serie „Naughty Pete“ und George Harrimans (1880-1944), der die Figur „Krazy Kat“ erfand, die wiederum Pate stand für „Felix the Cat“ und „Mickey Mouse“. Frank King (1883 – 1696) dagegen erfand die „Echtzeit“-Geschichte von Uncle Walt und seinem Findelkind Skeezix, die er in seinen täglichen Comics über mehr als dreißig Jahre lang parallel zum realen Zeitablauf altern ließ. Das ermöglichte ihm natürlich, die aktuellen Ereignisse dieser Periode unmittelbar auf den Onkel und den heranwachsenden Ziehsohn abzubilden.

Für den Besuch dieser Ausstellung sollte man ausreichend Zeit einplanen, denn die vielen Comics, die jeweils eine abgeschlossene Episode wiedergeben, verführen dazu, sie bis zum Ende zu lesen. Jeder, der in seiner Jugend – und vielleicht darüber hinaus! – Comics gelesen hat, kennt dieser Versuchung und weiß, wie schwer man ihr widerstehen kann. Als Europäer – speziell Deutscher -, der Comics mit Kinder- und Jugendzeit assoziiert, bringt dieser Besuch noch einmal einen nostalgischen Schub mit sich.

Die Ausstellung ist vom 23. Juni bis zum 18. September 2016 geöffnet. Einzelheiten und Öffnungszeiten sind der Webseite der Kunsthalle Schirn zu entnehmen.

Frank Raudszus

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