Tomi Ungerer: „Warum bin ich nicht du?“

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Schon der Titel dieses Buches stellt eine ganz einfache – und nahe liegende ! – kindliche Frage dar, die zu beantworten ganze Generationen von Philosophen, Theologen, Dichtern und neuerdings auch Neurowissenschaftler beschäftigt. Tomi Ungerer steht dabei vor der zusätzlichen Herausforderung, die Antworten so zu formulieren, dass sie auch Kinder unter zehn Jahren verstehen. Die Frage „Darf ich zurückhauen, wenn mich jemand haut?“ führt gleich auf das verminte Gebiet der Notwehr und der Angemessenheit, aber der Autor scheut sich nicht, mit einem – wenn auch eingeschränkten – „Ja“ zu antworten. Von wegen „linke Wange, rechte Wange“ der christlichen Lehre!  Die ist gleich wieder gefragt bei der Frage eines Neunjährigen, ob Gott ein Mann oder eine Frau sei. Ungerer antwortet auch hier pragmatisch-historisch und nicht belehrend. Auf die Frage, was hinter den Sternen sei, weiß Ungerer nur die Antwort „noch mehr Sterne“, was natürlich die Frage nicht beantwortet. Aber das hätte auch Einstein nicht gekonnt. Dagegen ist die Frage „Warum muss ich lernen“ einfach zu beantworten, und Ungerer tut dies auch ohne den Einsatz des Zeigefingers.

Peinlich für uns alle ist auch die Frage der sechsjährigen Elisa, warum in den Geschichten die Schwarzen immer die Bösen seien. Ungerers Antwort erstaunt, da er diese Tendenz mit dem Hinweis auf „Onkel Toms Hütte“ schlichtweg verneint. Na ja……

Existenziell ist auch die Frage eines Siebenjährigen, was man gewinne, wenn man einen Krieg gewinnt. Das haben sich schon viele gefragt, leider nur nachher.

Eine ganz hinterliste Frage gilt dem Autor selbst: ob er mit seinen Antworten immer Recht habe! Die Antwort geht in ihrer Diktion und Aussage eher an Erwachsene als an Kinder.

Die Struktur dieser Antwort erweist sich im Laufe des Buches als die eigentliche Strategie des Autors. Die Fragen stammen wohl tatsächlich von Kindern und drücken auch deren ernstes Interesse aus. Doch die Antworten richten sich – sozusagen „über Bande“ der Kinder – an die Erwachsenen, denn in vielen Fällen übersteigen sie trotz kindgerechter Formulierung den Erfahrungs- und Verständnishorizont der Fragesteller. Tomi Ungerer geht wohl auch davon aus, dass in vielen Fällen Eltern dieses Buch Kindern vorlesen (sollen). Dann kann er diese Eltern nicht nur mit den naiv gestellten Fragen, sondern vor allem mit seinen Antworten konfrontieren, die letztlich gegen Vorurteile, Ressentiments und Schubladendenken vorgehen. Im Idealfall verstehen beide – fragende Kinder wie Erwachsene – die Antworten und verarbeiten sie für sich weiter. Wir wollen es jedenfalls hoffen.

Das Buch ist im Diogenes-Verlag erschienen, umfasst 181 Seiten und eignet sich vorzüglich für abendliche Vorlesestunden im Kreis von Grundschülern.

Barbara Raudszus

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