Protokoll eines angekündigten Niedergangs

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Der französische Autor Michel Houellebecq hat in der Vergangenheit durch radikale Romane – etwa „Elementarteilchen“ – viel Aufsehen und intensive Diskussionen ausgelöst. Der letzte Roman „Unterwerfung“ bildet dabei in gewissem Sinn den Höhepunkt, denn in ihm greift Houellebecq nicht nur die allgemeine gesellschaftliche Situation, speziell Sexualität und Vereinsamung, auf, sondern stellt ein ganz aktuelles und brisantes Thema in den Mittelpunkt: die Migration. Wir befinden uns im Jahr 2022, und bei der Präsidentschaftswahl liegen die Muslimbrüder und der Front National gleichauf vorne. In Houellebecqs Szenario haben sich die Muslime unter ihrem charismatischen Anführer Mohammed Ben Abbes als politische Kraft etabliert.

Steven Scharf (Francois) in der Pose des „Sterbenden Kriegers“

Der an der Sorbonne lehrende Literaturwissenschaftler Francois erlebt die Situation am Krankenbett, da schmerzhafte Wucherungen an den Füßen ihn stark behindern. Die Metapher ist bereits hier deutlich: der kranke westliche Intellektuelle ist nicht mehr gut zu Fuß, sondern unbeweglich geworden und stagniert. Wir lernen Francois und sein Leben aus seinen eigenen Monologen kennen. Er ist Single, hat jedoch wechselnde Affären, auch gleichzeitige, und ist auch raffinierten Prostituierten gegenüber aufgeschlossen. Dieses übersexualisierte Weltbild Houellebecqs kennt man von den früheren Romanen, und die Wirklichkeit bestätigt zumindest sporadisch diese Sicht – siehe Dominique Strauss-Kahn.

Nach hartem Wahlkampf gelingt es Ben Abbes, eine Koalition mit den Linken zu schließen, womit er den Front National ausbootet und Präsident wird. In kürzester Zeit ändert Ben Abbes die Parameter des französischen Alltags. Die Arbeitslosigkeit beseitigt er dadurch, dass er die Frauen aus dem Berufsleben an den heimatlichen Herd verbannt. Außerdem müssen sie sich verschleiern. Die öffentlich Schulpflicht begrenzt er auf sechs Jahre, weitere Bildung ist privaten Institutionen überlassen. Da er aber Subventionen und Steuererleichterungen für Firmen abschafft und das Geld in soziale Unterstützung umleitet, ist abzusehen, dass sich solche Bildungsinstitutionen nur marginal entwickeln werden. Mit der Entrechtung der Frauen trifft er nach Houellebecqs Sicht das männliche Selbstverständnis, denn Francois äußert sich einmal zwar anerkennend über die Emanzipation der Frauen, fügt aber den Zweifel an, ob das denn etwas gebracht habe und die richtige Entwicklung sei.

Steven Scharf und Wolfgang Pregler

Seine Stellung an der Sorbonne verliert er zwar mit einer großzügigen Pension, aber fast im Gegenzug bietet man ihm eine Stelle an der nun umfirmierten – das heißt islamischen – Universität bei dreifachem Gehalt an. Nachdem seine Kollegen bereits auf dieses großzügige Angebot eingegangen sind, fügt sich auch Francois den Gegebenheiten. Seine Geliebte ist zu diesem Zeitpunkt bereits nach Israel ausgewandert, da sie massive Gefahren für die Juden in Frankreich befürchtet, und die Beziehung zerbröckelt. Dafür darf sich Francois wie seine Kollegen mehrere Ehefrauen nehmen, denn Geld verdient er jetzt genug.

In dem Einstellungsgespräch mit seinem alten und neuen Chef führt dieser alle opportunistischen Gründe für die Unterwerfung an, bis hin zur Betonung der Familie und den Freuden der Polygamie.

In einem letzten Albtraum setzt sich Mohammed Ben Abbes zu Francois aufs Bett und legt in so klaren wie begeisterten Worten seine Philosophie dar: Zurück zu den Wurzeln der Familie, klare Hierachie zwischen Männern und Frauen mit entsprechender Aufgabenteilung und weitgehender Verzicht auf kritische Wissenschaft. Nicht die Christen sind seine Gegner sondern die westliche Säkularisation. Und geschickt nutzt er die latente Frauenverachtung der katholischen Kirche für seine Zwecke.

Camill Jammal als Mohammed Ben Abbes und Steven Scharf

Regisseur Stephan Kimmig hat am Deutschen Theater Berlin diesen Roman auf die Bühne gebracht. Romanbearbeitungen für die Bühne sind grundsätzlich problematisch, da ein Roman anderen Gesetzen als das Theaterstück folgt und vorwiegend reflexive Elemente enthält. Gedanken statt Handlung. Und das ist auch die Schwäche dieser Inszenierung. Die Interaktion zwischen den am gesellschaftlichen Geschehen Beteiligten beschränkt sich zugunsten der Gedanken und der Gespräche auf ein Minimum. So bildet die Machtübernahme durch Ben Abbes nicht etwa einen dramatischen Höhepunkt, sondern wird lediglich beiläufig als Tatsache angeführt. Das macht die Rezeption mühsam, da die Protagonisten sich ohne jegliche emotionale Regungen über die Konsequenzen unterhalten. Kimmig lässt die Schauspieler ihren Text bewusst unterkühlt sprechen, um die Gleichgültigkeit zu betonen, mit der sie auf die neuen Umstände reagieren. Jeder versucht, „professionell“ mit der Situation umzugehen, die ja schließlich demokratisch zustandegekommen ist, und spart sich Empörung und Widerstand.

Um die Leere dieser Welt zu zeigen, verzichtet Kimmig weitgehend auf ein konkretes Bühnenbild. Katja Heiß hat eine Zwischendecke aus dünnem Holz und Papier eingezogen, die sich wie ein schützendes Dach über das Geschehen spannt, und senkt sie am Ende über Francois ab, was dieser anstandslos über sich ergehen lässt. Eine angedeutete Treppe bietet einen Ausweg nach oben, aus dem verengten Weltbild hinaus, doch Francois scheitert bei dem Versuch, sie zu erklimmen, nicht zuletzt, weil ihn der Rektor davon abhält. Die Zwischendecke mit der Treppe enthält eine ambivalente Botschaft. Sie scheint einerseits Geborgenheit zu bieten, andererseits aber die eigenen Entfaltungsmöglichkeiten einzuschränken, wie Francois erst zum Schluss merkt.

Nach dem langen Gespräch mit Ben Abbes, in dem dieser die Vorteile eines spirituellen Weltbildes mit klaren Gesetzen – Scharia – mit geradezu visionären Worten preist und den Christen weitgehenden Schutz zusagt, findet Francois‘ Frage nach der Zukunft der Juden keine Antwort.

Stephan Kimmig hat mit seiner Inszenierung ein brisantes Szenario auf die Bühne gebracht, das zwar im Augenblick – 2017 – ein wenig hypothetisch wirkt, aber durchaus realistische Aspekte aufweist. Wenn sich die westlichen Intellektuellen ihrer Werte nicht sicher sind und sich auf einen distanzierten Beobachterstandpunkt zurückziehen, können sie schnell Opfer einer rapide sich verengenden Welt werden. Doch Kimmig will nicht gegen den Islam zu Felde ziehen, da Houellebecqs Stück eine derartige Deutung nicht hergibt, sondern er seziert eine Gesellschaft, die sich einer so umstürzenden wie absehbaren Entwicklung nicht entgegenstemmt, sondern sich in anfangs distanzierter Intellektualität und später in pragmatischem Opportunismus ihr fügt. Doch Kimmig spielt auch bewusst mit dem Titel „Unterwerfung“. Einerseits steht er für die wehrlose Unterwerfung Frankreichs – das heißt: des Westens – unter ein muslimisches Regime, andererseits hebt er ihn als Inbegriff islamischen Denkens hervor: die vollständige Unterwerfung des Individuums unter die Religion auf Kosten der Früchte der Aufklärung. Dieser Punkt bleibt jedoch wegen der Bedeutung der Spiritualität ambivalent, denn eine solche Unterwerfung lässt sich auch als spirituelle Vision deuten.

Die einzige Schwäche dieser Bühnenfassung liegt in den spannungslosen Dialogen und Monologen. Das könnte man allerdings auch als Stärke interpretieren, wenn die fehlende Spannung die intellektuelle und politische Lähmung der westlichen Gesellschaft widerspiegeln soll.

Der Himmel senkt sich hinab

Steven Scherf gibt einen rat- und ziellosen Francois, der einfach nur hofft, dass ihn die Entwicklung nicht treffen wird. Lorna Ishema ist in verschiedenen Rollen, unter andern als Francois‘ Geliebte, ein Lichtblick der Frische, da sie als Frau von der Entwicklung unmittelbar betroffen ist und darauf auch mit Emotionen reagiert. Dass sie in einer kurzen Szene auch Marine le Pen spielt, ist als ironisches Apercu zu verstehen. Bleiben Marcel Kohler – unter anderem als Kollege an der Universität, Wolfgang Pregler als Präsident der Sorbonne und Camill Jammal als Mohammed Ben Abbes zu erwähnen. Sie haben wegen der minimalistischen Inszenierung keine großen Gelegenheiten, ihr schauspielerisches Können zu Beweisen, füllen aber ihre Rollen professionell aus.

Eine Anmerkung noch: die englischen Übertitel für ausländische Gäste erweisen sich auch für deutsche Besucher als hilfreich, weil man oftmals den Inhalt der leise gesprochenen und auch gerne ein wenig genuschelten Texte nicht versteht.

Frank Raudszus

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