Wie man einem hohen Anspruch mehr als gerecht wird

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Wenn man ein Sinfoniekonzert mit einem von Beethovens großen Werken anbietet, ist das stets mit einem gewissen Risiko verbunden. Denn zu oft sind diese Werke bereits in den unterschiedlichsten Interpretationen erklungen, und das Publikum kommt oftmals mit einer bestimmten Erwartungshaltung hinsichtlich Interpretation und Qualität. Das Staatstheater Darmstadt hatte dieses Risiko durch die Verpflichtung des Star-Violonisten Frank-Peter Zimmermann als Solist in Beethovens Violinkonzert D-Dur op. 77 bereits deutlich minimiert, und Dirigent Will Humburg wie auch die Musiker des Orchesters sorgten schließlich dafür, dass aus dem Risiko eine mehr als genutzte Chance wurde – kurz: ein voller Erfolg.

Da man ein Sinfoniekonzert nicht mit einem einzigen Solokonzert ausfüllen sollte (und kann), hatte man ein anspruchsvolles wie spannungsgeladenes „Restprogramm“ zusammengestellt, das sich durchaus auf Augenhöhe mit Beethovens Violinkonzert bewegte: „Moment, Leute, Moment“ des zeitgenössischen Komponisten Johannes Maria Staud, die Walzerfolge aus Richard Strauss´ „Rosenkavalier“ sowie Maurice Ravels „La Valse“.

Der Geiger Frank-Peter Zimmermann

Beethovens Violinkonzert ist eines der meistgespielten Solokonzerte dieser Gattung, nicht zuletzt deshalb, weil es als einziges Violinkonzert des Komponisten eine gewisse Sonderstellung einnimmt. Wie so oft in der Musikgeschichte nahmen Beethovens Zeitgenossen dieses Konzert wegen der Fülle seiner musikalischen Idee nur mit gemischten Gefühlen auf. Eben diese Eigenschaft brachte ihm im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte jedoch seine besondere Bedeutung ein. Frank-Peter Zimmermann zeigte bereits in den ersten Takten seine Ausnahmestellung auf diesem Instrument. Obwohl Geige und Orchester in diesem Werk eher als gleichberechtigte Partner auftreten, setzte Zimmermann gleich im ersten Satz Zeichen, der etwa die Hälfte der Gesamtdauer einnimmt. Dieser Satz bietet nicht nur eine Fülle an musikalischen Motiven und Eindrücken sondern besticht vor allem durch seine hohe Dichte und kommt ganz ohne die andere Werke auszeichnende Schroffheit aus. Das Tempo ist mäßig, und viele lyrische Momente prägen diesen ausgedehnten Satz. Eine ausgedehnte Kadenz stellt an den Solisten die höchsten technischen Anforderungen, und deshalb sowie wegen weiterer technischen Schwierigkeiten war das Konzert lange bei Geigern gefürchtet. Deshalb setzte es sich erst Jahrzehnte nach der Erstaufführung wegen der dann verfügbaren Spitzengeiger durch. Der zweite Satz lebt vor allem von der innigen Melodie, während das finale Rondo noch einmal viel Temperament bietet und dem Solisten umfangreiche Gelegenheiten zum Beweis seines technischen Könnens liefert.

Frank-Peter Zimmermann präsentierte dieses Konzert nicht nur mit einer technischen Souveränität, die den Eindruck selbstverständlicher Leichtigkeit vermittelte, sondern darüber hinaus mit einer hoch verdichteten musikalischen Intensität, die jedem Motiv seine ganz eigene, konturierte Prägung verlieh. Dabei gelang es ihm, den Spannungsbogen derart straff zu spannen und diese Spannung in einem Maße bis zum Schluss aufrecht zu erhalten, die das Publikum förmlich verstummen ließ. Von den in Konzerten üblichen Hustenattacken hörte man während dieses Vortrags nichts. Dazu trug neben dem Solisten auch das Orchester bei, das durch Präzision und sorgfältige Intonation glänzte. Will Humburg nutzte die vom Komponisten beabsichtige Augenhöhe zwischen Solist und Orchester zu markanten Orchesterpassagen, konnte jedoch das Ensemble sofort zurücknehmen, wenn die Solovioline zu feineren und leiseren Partien wechselte. Auf diese Weise entstand eine Interpretation wie aus einem Guss, bei der beide Akteure dieses Solokonzerts in einer Art Frage-und-Antwort-Spiel aufeinander eingingen und antworteten. Die Faszination dieser Aufführung währte bis zum letzten Akkord, und das Publikum benötigte denn auch einige Sekunden, um sich aus dem Bann zu befreien und zu applaudieren. Dann jedoch setzte begeisterter Beifall ein, der schließlich noch eine ausgedehnte Zugabe in Gestalt eines Soloviolinen-Parts von Johann Sebastian Bach zur Folge hatte.

Nach der Pause war es natürlich schwer, das hohe Niveau des ersten Teils zu halten, doch dem Orchester und seinem Dirigenten Will Humburg gelang dies durch so engagierte wie farbenreiche Interpretation ganz unterschiedlicher Werke, die jedoch alle drei ein thematisches wie musikalisches Gesamtwerk bildeten. Zuerst erklang  die einsätzige Komposition „Moment, Leute. Moment“, die der Österreicher Johannes Maria Staud zur hundertjährigen Wiederkehr des Beginns des Ersten Weltkriegs komponierte. Das Werk besteht aus rhythmischen Klangräumen ohne hervorstechende musikalische Motiv und ist ganz auf die Wirkung dieser wechselnden Klanggebilde fokussiert. Ein ostinater Rhythmus unterlegt große Teile des Werks und sorgt damit für eine drohende Atmosphäre, die wiederum von unterschiedlichen Klanggebilden, mal scharfen, mal grollenden, überlagert wird. Man kann diese teilweise grellen und schroffen Klangflächen durchaus als musikalische Metapher auf den Schrecken des Weltkrieges auffassen. Das Orchester präsentierte dieses vielschichtige Klangwerk mit viel Gespür für die jeweilige Klangwirkung. und Will Humburg verzichtete dabei bewusst auf jeglichen Versuch musikalischer Eingängigkeit.

Danach folgten zwei Walzer-Kompositionen: die vor dem Ersten Weltkrieg entstandene Walzerfolge aus dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss und anschließend das 1920 komponierte „La Valse“ von Maurice Ravel. Beide Werke kann man in gewisser Weise als Persiflage auf den Wiener Walzer à la Johann Strauß auffassen. Bei Strauss kommt diese Persiflage jedoch mit einer gewissen Wehmut daher, was sich in einigen einfach schönen oder schmissigen Walzermotiven niederschlägt. Zwar konterkariert Strauss diese publikumsfreundlichen Passagen sofort mit harmonischen und motivischen Einwürfen aus dem 20. Jahrhundert und weist so den Weg aus dem walzerseligen 19. Jahrhundert, aber dennoch lebt dieses sozusagen in der Erinnerung weiter. Ravel dagegen beerdigt den Walzer buchstäblich, indem er die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges musikalisch in Form schroffer Harmonien und Rhythmen einfließen lässt. Jeden Ansatz von Eingängigkeit zerstört er umgehend durch die akustische Erinnerung an die Schrecken des Krieges. Der Walzer ist tot, oder zumindest die hinter ihm stehende alte Welt.

Will Humburg und dem Orchester gelang es hervorragend, diesen beiden Walzerwelten buchstäblich wiederauferstehen zu lassen. Sowohl die melancholisch-resignative Atmosphäre des „fin de siècle“ in Richard Strauss´ Musik als auch die Desillusionierung und die Zerstörung der scheinbar auf Ewigkeit gestellten Vorkriegswelt in Ravels „La Valse“. Mit den Walzern aus dem „Rosenkavalier“ entstand noch einmal die Vorkriegsatmosphäre im Raum, und man konnte das Lebensgefühl dieser Epoche förmlich spüren; „La Valse“ zerstörte diese weltschmerzliche Melancholie und setzte dafür die bleierne Leere der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der noch der Kriegslärm nachhallte.

Das Publikum zeigte sich auch von diesem rein orchestralen Teil begeistert und spendete dem Orchester begeisterten Beifall.

Frank Raudszus

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