Jazz rund um den Dom

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Festzelte um den Wormser Dom

Als Heimatstadt der Nibelungen – zumindest der Sage nach – hat Worms bereits einige Pfeile für den Antrag auf den Status des Weltkulturerbes im Köcher. Doch die Stadt um den berühmten Dom hat neben den Nibelungenfestspielen noch andere kulturelle Höhepunkte zu bieten. Jedes Jahr findet dort im Juni ein dreitägiges Musikfestival unter dem Titel „Jazz and Joy“ statt. Wie der Titel bereits besagt, ist an diesen drei Tagen viel Jazz, aber auch Pop-Musik aller Gattungen zu hören. Rund um den Dom und den Marktplatz sind die Straßen abgesperrt, und die Besucher können frei zwischen fünf überdachten Konzertbühnen sowie den unvermeidlichen Wurst- und Getränkeständen flanieren. Die Überdachungen dienten in diesem Jahr allerdings lediglich dem Schutz vor der Sonne, denn diese strahlte das gesamte Wochenende aus einem wolkenfreien Himmel, und auch abends waren Gewitterwolken weit und breit nicht zu sehen.

Das Konrad/Mehl-Project mit Magnus Mehl (l.) und Bernd Konrad (r.)

Der Rezensent besuchte das Festival am Sonntag und traf am frühen Nachmittag auf ein noch mäßig bevölkertes Festivalgelände, was der Erkundung der Örtlichkeiten und des Angebots durchaus dienlich war. Das Hauptinteresse galt dem Jazz-Angebot, und so führte der Weg am frühen Nachmittag erst einmal zur EWR-Bühne, die neben dem musikalischen Angebot den Vorzug eines ausreichenden Angebots an Schattenplätzen aufweisen konnte. Hier präsentierte sich das „Konrad/Mehl-Project“, eine Zusammenarbeit des langjährigen Leiters des Landesjazzorchesters Baden-Württemberg, Bernd Konrad (Saxophon und Bassklarinette), mit den Brüdern Magnus (Saxophon) und Ferenc (Schlagzeug) Mehl. Fedor Ruskuc am Bass erweiterte dieses Trio zu einem Quartett. Die vier Musiker präsentierten hauptsächlich eigene Kompositionen, die zwar nicht zum „free Jazz“ zu zählen sind, aber über eine eigenwillige Harmonik und Metrik verfügen und weitgehend ohne eingängige Themen arbeiten. Der Klang der Instrumente im Zusammenspiel und die tonalen Grenzen des jeweiligen Instruments spielen bei dieser avantgardistischen Band die wichtigste Rolle. So setzte Bernd Konrad die Klappen als eigene Tonquellen ein und entlockte seinem Instrument auch sonst Klangformen jenseits des herkömmlichen Saxophon- bzw. Klarinettenklangs. Im Zusammenspiel mit Magnus Mehl erkundeten die beiden die Grenzen des tonalen Raums ihrer Instrumente und erklommen dabei die höchsten Höhen und auch tiefsten Tiefen. In der Komposition „Deep Conversation“ unterhielten sich Bernd Konrad und Fedor Ruskuc dann intensiv auf Bariton-Saxophon und Bass.

Wer es gerne leichter hatte, ließ sich bei der RENOLIT-Bühne nieder, wo die Pop-Band PAUCKER das dicht gedrängte Publikum mit Songs unterhielt, die in ihrer Liedhaftigkeit entfernt an die Beatles erinnerten. Hier, bei der „leichten Muse“, stand die Kommunikation der Besucher untereinander an erster Stelle, und dabei ließ man sich von den vier Musikern gerne akustisch begleiten.

Andy Kissenbeck (r.) und seine Band

Den Jazz-Liebhabern bot sich dann am frühen Abend auf der VZ-Bühne noch ein echtes „Schmankerl“: die vierköpfige Gruppe „Andy Kissenbecks Club Boogaloo“ mit Andy Kissenbeck (Orgel), Peter Weniger(Saxophon), Torsten Goods (Gitarre, Gesang) und Tobias Backhaus (Schlagzeug) spielte temperamentvollen und gut hörbaren Jazz verschiedenster Provenienz vom Feinsten. Tempo, musikalischer Witz und perfekte Technik sind die Grundlage für ein breit gefächertes Spektrum, das vom (fast) traditionellen Jazz über Latin bis zum modernen Jazz reicht. Dabei stehen eingängige Themen und gemäßigte Harmonik im Vordergrund, ohne dass die Musik auch nur einen Augenblick angestaubt oder gar bieder klingt. Ein gemäßigter Ansatz ist nicht zu verwechseln mit einer der landläufigen Dixieland-Bands oder anderen Formen einer publikumsnahen Jazz-Musik. Die Musiker spielten stets am Rande des Wohlgefälligen und testeten die Grenzen der Möglichkeiten aus, ohne deswegen in experimentelle Musik zu verfallen. Das Publikum goutierte diese Art einer temperamentvollen und technisch anspruchsvollen Jazz-Musik, die auch Anregungen aus anderen Kulturkreisen aufnimmt und in ihren Kompositionen verarbeitet. Auch hier standen Eigenkompositionen im Vordergrund, und wer auf das „Real Album“ mit seinen Standards gehofft hatte, musste sich eines Besseren besinnen. Aber eben das lieferten Andy Kissenbeck und seine Mitstreiter in mitreißender Art und Weise.

Auf das abendliche Programm des letzten Festivaltages musste der Rezensent aus zeitlichen Gründen leider verzichten. Schade!

Frank Raudszus

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