Tom Wolfe: „Das Königreich der Sprache“

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Weitgehend unstrittig ist die Sprache das wichtigste menschliche Unterscheidungsmerkmal gegenüber den Tieren. Erst die Sprache und damit die Möglichkeit der Planung und der Kommunikation über reine Warnlaute hinaus ermächtigte den Menschen dazu, über den Rest der Natur nach Belieben zu verfügen. Aus diesem Grunde hat sich die Linguistik als Wissenschaft von der Sprache seit der Aufklärung geradezu stürmisch entwickelt.

Der Schriftsteller Tom Wolfe, eher durch Romane wie „Fegefeuer der Eitelkeit“ bekannt, hat jetzt der Geschichte der Linguistik und besonders ihrer Protagonisten das vorliegende Buch gewidmet. Wer ein Sachbuch mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erwartet hat, muss sich eines Besseren belehren lassen. Wolfe geht es eher um die Charaktere der Protagonisten und die daraus entstehenden Windungen und Wirrungen dieser Wissenschaft. Der inhaltliche Lerneffekt ist für den Leser eher ein Kollateralnutzen.

Wolfe beginnt bei Charles Darwin, und man fragt sich spontan, was dieser Evolutionsforscher mit Sprache zu tun hatte. Detailliert breitet Wolfe Darwins Problem mit seinem Konkurrenten aus dem malaischen Dschungel aus, der plötzlich genau die Gedanken ausgerechnet über Darwin veröffentlichen wollte, die dieser aus Angst vor der Reaktion der (klerikalen) Öffentlichkeit zwanzig Jahre lang für sich behalten hatte. Bewusst hat Darwin in seinem ersten Werk, das dann kurze Zeit später zusammen mit den Ausführungen seines gesellschaftlich weit unter ihm stehenden Konkurrenten erschien (man kann sich die unterschiedliche Wirkung beider Publikationen gut vorstellen) die Entwicklung des Homo Sapiens ausgespart und sie sich für einen späteren Zeitpunkt aufgespart, der hoffentlich günstiger für die häretische Behauptung der Abstammung des Menschen von den Primaten sein würde. Und in diesem Werk musste er die Entwicklung der menschlichen Sprache als evolutionären Prozess beschreiben, um wissenschaftlich glaubwürdig zu sein. Mangels ausreichender linguistischer Kenntnisse musste er sich hier etwas „aus den Fingern saugen“, und da fiel ihm das Zwitschern der Vögel als Ausgangspunkt ein. Glücklicherweise fiel ihm diese gewagte Behauptung nicht auf die Füße, weil es erstens noch keine Linguistik gab, und zweitens die Öffentlichkeit genügend mit der geradezu blasphemischen Evolutionsbehauptung beschäftigt war.

Danach fiel die Sprachwissenschaft der Vergessenheit anheim, denn die Wissenschaft hielt die Frage der Sprachentstehung bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts für belanglos. Erst der junge Noam Chomsky brachte sie mit großer Geste wieder auf die wissenschaftliche Bühne und beherrschte diese sofort und nahezu bis heute durch sein Charisma und seine keinen Widerspruch duldende Angriffslust. Er behauptete, dass die Sprache allen Menschen sozusagen als Organ eingepflanzt sei und man nur den Gebrauch dieses Organs erlernen müsse. Eine evolutionäre Entwicklung der Sprache entsprechend der Darwinschen Abstammungslehre lehnte er ab. Dank seines überbordenden Selbstbewusstseins und seiner Arbeits- und Veröffentlichungswut eroberte er den neuen Wissenschaftszweig der Linguistik in kürzester Zeit, ja, er gründete diese Wissenschaft eigentlich erst. Aufgrund fehlender wissenschaftlicher Vorgänger wagte niemand, ihm zu widersprechen, und so scharte er in kurzer Zeit eine breite Gefolgschaft um sich, die alle an den Lippen des Meisters hingen. Tom Wolfe malt dieses Bild des unumschränkt herrschenden wissenschaftlichen Despoten mit satirischer Lust, und man merkt ihm die innere Distanz zu dem selbsternannten Guru in jedem Satz an. Hier ist Wolfe in erster Linie Schriftsteller, Satiriker und Chronist, und er würzt seine Ausführungen auch gerne mit drastischen Stilmitteln. So leitet er die ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen gegen Chomsky gerne mit einem „KRAWUMM“ wie in einem „Donald-Duck“-Heft ein, und die Political Correctness nimmt er kerne mit Wendungen wie „primit – äh – indigene Völker“ auf die Schippe. Dass im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhundert und in den letzten Jahren massive Beweise gegen Chomskys Theorie zu Tage traten, nimmt er nicht nur genussvoll zur Kenntnis, sondern beschreibt auch Chomskys wenig wissenschaftliche Reaktion mit viel Sinn für das groteske der Situation. Denn Chomsky versuchte – wie es Despoten stets versucht haben – seine Gegner mit übler Nachrede und konzertierten Kampagnen aus dem Kreis seiner Satrapen wissenschaftlich zu vernichten und als inkompetente Lügner darzustellen. Das gelang ihm glücklicherweise nicht, da sich die Angegriffenen frecherweise wehrten, weitere Beweise vorlegten und schließlich auch die Zaudernden und vorsichtigen Taktiker auf ihre Seite zogen. Am Ende kann Wolfe geradezu genüsslich feststellen, dass das Reich des alternden Chomsky zu bröckeln beginnt und kurz vor dem Zusammenbruch steht.

Über die Entstehung der Sprache gibt Wolfe am Ende einen kurzen Ausblick, indem er auf die neueste Theorie der schon von den alten Griechen entdeckten Mnemotik verweist. Demnach scheint sich die Sprache aus lautlichen Eselsbrücken für tatsächliche Dinge und Ereignisse entwickelt zu haben. Als Beispiel im Deutschen bietet sich der Satz an „Mein Vater erklärt mir jeden Samstag unsere neun Planeten“, Wolfe liefert entsprechende Eselsbrücken aus dem Englischen. Warum diese Theorie leistungsfähiger ist und womit man sie beweisen kann, erläutert er nicht weiter. Offensichtlich sind hier keine schillernden Protagonisten mehr am Werk, und außerdem hat Wolfe seine Aufgabe, die falschen Propheten zu entlarven, erfolgreich erfüllt.

Das Buch ist im Blessing-Verlag erschienen, umfasst 224 Seiten und kostet 19,99 Euro.

Frank Raudszus

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