Stefan Hertmans: „Die Fremde“

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Stefan Hertmans´ Roman verknüpft eine Liebesgeschichte aus der Ritterzeit im 11. Jahrhundert mit einer Spurensuche aus heutiger Sicht. Es geht um die Flucht der jungen Vigdis, einer Wikingertochter mit vornehmer Herkunft, die sich in den Sohn eines Rabbis verliebt und von ihm schwanger wird. Da ihre Familie dieser Verbindung niemals zustimmen würde, bleibt ihr nur der Ausweg, mit ihrem jüdischen Freund zu fliehen, wobei diese Flucht wegen der unvermeidlichen Verfolgung durch die Eltern quer durch Europa führt.

Die junge Frau gibt alles auf – ihre Wurzeln, ihren christlichen Glauben und ihre Familie. Sie nimmt den jüdischen Namen Hamutal an und übernimmt auch den neuen Glauben. Doch so weit sie auch mit ihrem Mann flieht, immer sitzt beiden die Angst im Genick, doch noch von den Rittern des Vaters aufgespürt zu werden.

Hertmans ist in alten Archiven aus dem 11. Jahrhundert auf eine ähnliche Geschichte einer jungen Frau gestoßen und hat daraus einen Roman mit Sachbuchqualitäten über ein jüdisches Paar zur Zeit der Pogrome in Frankreich entwickelt. Auf Basis der alten Texte geht er auf Spurensuche. Das Besondere daran ist, dass er alle historischen Orte auch aus heutiger Sicht beschreibt und sich dann um tausend Jahre zurück zu versetzen versucht. Wie könnte der jeweilige Ort damals ausgesehen haben? Welche gesellschaftlichen Strukturen bestanden damals? Warum wurden Juden, die doch ein Bleiberecht unter besonderen Bedingungen hatten, ausgegrenzt und verfolgt? Wie fühlte es sich für Dorfbewohner an, wenn die Kreuzritter mit einem Riesenheer über Land zogen und eine Spur der Verwüstung hinterließen?

Hertmans´ Roman nimmt den Leser mit bei seinem Versuch, sich der Zeit des 11. Jahrhunderts anzunähern. Die Quellen, aus denen er schöpft, sind nicht üppig, und der Leser spürt durchaus, dass vieles an der Handlung um Hamutal fiktiv ist. Dennoch gelingt es dem Autor, die Themen Flucht und Vertreibung sowie die menschlichen Schicksale vom Vergessen der Geschichte zu befreien und dem Roman berührende Aktualität zu verleihen.

Der Roman „Die Fremde“ ist im Hanser-Verlag erschienen, umfasst 300 Seiten und kostet 23 Euro.

Barbara Raudszus

 

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