Kein Abend der leichten Muse

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Das japanisch-deutsche „Lotus String Quartet“ in der Besetzung Sachiko Kobayashi (1. V), Mathias Neudorf (2. V), Tomoko Yamasaki (Va) und Chihiro Saito (Vc) trat am 18. Januar im Kleinen Haus des Staatstheaters Darmstadt mit einem anspruchsvollen Programm an, das in allen drei Stücken einen ausgeprägten musikalischen Ernst aufwies. Ganz offensichtlich hatten die Musiker sowohl bei dem einleitenden Streichquartett von Joseph Haydn wie auch bei dem folgenden Quartett des Franzosen Henri Dutilleux vor allem im Sinn gehabt, die Augenhöhe mit dem wichtigsten Programmpunkt, Beethovens spätem Streichquartett op. 131, zu wahren. Leichtere oder gar heitere Kompositionen hätten offensichtlich nicht der richtigen Einstimmung gedient.

das Lotus String Quartet mit (v.l.n.r.) Sachiko Kobayashi, Chihiro Saito, Mathias Neudorf und Tomoko Yamasaki

Joseph Haydn ist vor allem bei seiner Kammermusik für seine leichte, bisweilen geradezu gefällige Kompositionshand bekannt, ohne dass diese Eigenart der musikalischen Qualität schaden muss. Auf ihn trifft wohl der Ausdruck der „heiteren Klassik“ wohl am ehesten zu. Doch in dem Streichquartett D-Dur op. 20.4 spürt man von dieser Leichtigkeit wenig. Bereits der erste Satz, formal ein „Allegro di molto“, kommt eher getragen und introvertiert daher, besticht jedoch durch seine ausgeprägte motivische Dichte. Der zweite, ein Adagio, besteht aus einer Variationenfolge über ein fast schon düster zu nennendes Moll-Thema. Erst das Menuett „alla zingarese“ des dritten Satzes bringt Tempo und einen gewissen rhythmischen Witz, und das Presto des Finalsatzes erstrahlt in dem für Haydn typischem Temperament. Die vier Musiker legten jedoch von Beginn an mehr Wert auf die Herausarbeitung der Themen und der musikalischen Strukturen als auf einen eingängigen Gesamteindruck und nahmen damit das Publikum von ersten Moment an in die Pflicht. Vor allem die Variationen im zweiten Satz bildeten dabei mit ihrer musikalischen Dichte einen Schwerpunkt.

Die Komposition „Ainsi la nuit“ des im Jahr 2013 verstorbenen Franzosen Henri Dutilleux fügte sich in diese musikalische Strategie nahtlos ein. Das 1976 entstandene Stück ist in erster Linie ein Klanggeflecht der vier Streichinstrumente und verzichtet weitgehend auf erkennbare Themen. Musikalische Motive erscheinen spontan und verschwinden wieder für  neue, klanglich anders  geartete. Pizzicato ist hier nicht eine punktuelle Verzierung sondern wesentliches musikalisches Element im Zusammenspiel. Lang gezogene Bögen mit engen Reibungen, Auf- und Abwärtsbewegungen sowie Tempowechsel und Pausen prägen die mehrteilige Struktur dieser Komposition. Das Ensemble legte auch hier Wert auf die musikalische Ausgestaltung des einzelnen musikalischen Moments unter besonderer Berücksichtigung der Klangwirkung. Streckenweise schienen die vier Musiker den einzelnen Klängen förmlich nachzulauschen, derart konzentrierten sie sich auf das jeweilige Klangereignis.

Der Höhepunkt kam dann nach der Pause mit Beethovens Streichquartett cis-Moll op. 131 aus dem Jahr 1926. Es gehört zu den berühmt-berüchtigten „späten“ Streichquartetten Beethovens, die bei Zeitgenossen Unverständnis und bei späteren Generationen einhellige Bewunderung bewirkt haben. Beethoven verlässt hier die gewohnten Kompositionswege und begibt sich kompromisslos in völlig neue Gebiete. Den „jenseitigen“ Charakter dieser Musik, die man auch gerne mit dem Beiwort „absolut“ beschrieben hat, schreiben manche Experten der Taubheit des Komponisten zu, die nur noch im „Kopf“ gehörte Musik zuließ. Diese Sicht erscheint insofern nachvollziehbar, als nur noch vorgestellte Musik sich von der konkret gehörten zwangsläufig unterscheidet und vor allem über diese hinauszugehen in der Lage ist. So bildet Beethovens späte Kammermusik – das gilt ebenso für die Klaviersonaten – nicht mehr nachvollziehbare menschliche Befindlichkeiten wie Freude oder Trauer nach, sondern bewegt sich im mentalen Bereichen außerhalb des Alltäglich-Fassbaren.

Im Gegensatz zur klassischen Sonatensatzform mit ihren vier Sätzen findet man in diesem Streichquartett sieben(!) Sätze vor, wobei sich Allegro, Andante und Adagio scheinbar zufällig abwechseln. Doch der Abfolge liegt ein strenges musikalisches Konzept zugrunde, das kompromisslos seinen eigenen Weg geht. Auch die bei den klassischen Komponisten obligatorische Fuge nimmt hier eine ganz andere Stellung ein, erscheint sie doch anstatt als finaler Höhepunkt gleich zu Beginn und verleiht dem Werk damit einen völlig anderen Ersteindruck. Fast erscheint es so, als wolle Beethoven sagen, er verzichte bewusst auf eine für das Publikum zuträgliche eingängige Einführung in sein musikalisches Angebot und konfrontiere es von Anfang an mit der Kern seiner Musik. Das setzt sich fort in den Variationen des vierten Satzes im Andante-Tempo, die von höchster Verdichtung und musikalischer Abstraktion geprägt sind. Die langsamen Sätze trennt Beethoven durch Allegretti, Scherzi oder auch ein Presto, um sie dadurch umso mehr zu betonen und in ihrer Wirkung zu verstärken. Der siebte und letzte Satz schließlich beginnt in einem vorwärts drängenden Marschtempo, nimmt Themen des Beginns in anderer Anordnung wieder auf und endet schließlich auf eher nachdenklich-verhaltene Weise.

Die vier Musiker fanden bei dieser Komposition noch einmal zu einem musikalischen Höhepunkt und interpretierten das komplizierte und äußerst variantenreich strukturierte Werk mit höchster Konzentration und ausgeprägtem Gespür für die musikalischen Intentionen des Komponisten. Selbst die bewegten Partien kamen bei diesem Quartett nie vordergründig heiter daher, sondern stets mit dem Anspruch einer Musik jenseits der gewohnten menschlichen Befindlichkeiten. Hier wurde deutlich, dass Beethovens späte Kammermusik nicht menschliche Emotionen nachempfindet sondern völlig neue Arten der Empfindung erschafft. Die Ablehnung vieler Menschen früherer und auch noch heutiger Zeiten rührt wohl daher, dass diese völlig neuen Emotionen beim ersten Anhören zu großer Verunsicherung führen. Diese Musik muss man öfter hören, um ihr nahe zu kommen. Dieser Abend bot die Gelegenheit dazu.

Das Publikum zeigte sich beeindruckt und spendete kräftigen Beifall. Allerdings wäre nach dem letztlich unüberbietbaren Beethovenschen Werk eine Zugabe in Gestalt eines Satzes aus einem Mendelssohn-Quartett nicht nötig gewesen. Man hätte Beethoven im Raum und in den Köpfen der Zuhörer stehen lassen sollen.

Frank Raudszus

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