Julie Zeh: „Neujahr“

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Henning und Theresa haben ihr Leben gut im Griff. Beide arbeiten auf halber Stelle, so dass genug Zeit für die Betreuung der beiden Kinder bleibt. Über Sylvester gönnen sie sich einen Urlaub auf Lanzarote.

Anfangs läuft alles gut. Das Haus, das sie gemietet haben, ist zwar klein – „eine Scheibe“ -, aber es ist alles vorhanden, was man braucht. Die Sylvesterparty, ein Pauschalangebot mit Essen und Trinken im nahe gelegenen Hotel, verläuft amüsanter als erwartet. Die Kinder haben Freunde gefunden, Theresa flirtet mit einem Franzosen, und Henning unterhält sich gut mit einem älteren Ehepaar. Es ist nichts Spektakuläres, eben ein Familien-Sylvester.

Und doch zeigt diese „heile Welt“ Risse. Als Henning sich am Neujahrsmorgen auf eine Radtour in die Berge begibt, spürt er, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Irgendetwas nimmt Besitz von ihm, ängstigt ihn. Er muss sich massiv dagegen wehren, damit „ES“ keine Macht über ihn gewinnt. Er quält sich die Bergstrecke hinauf und mobilisiert alle Kräfte, weil er unbedingt die Passhöhe erreichen will, koste es , was es wolle.

Bei der Fahrt abwärts kommt er an einem kleinen Anwesen vorbei. Dort hält er kurz an, trifft auf eine Künstlerin, die dort wohnt, und plötzlich fräsen sich gruselige Kindheitserinnerungen in sein Gehirn, lassen einen Albtraum von ihm Besitz ergreifen.

Julie Zeh hat in ihrem Roman „Neujahr“ ein Kindheitstrauma in Romanform gebracht. Henning hat das schreckliche Kindheitserlebnis lange verdrängt, doch immer wieder greift „ES“ nach ihm und verhindert, dass er eine normale Beziehung führen und ein unbeschwerter Vater sein kann. Erst als er sich dem Trauma stellt, mit seiner Mutter darüber redet und die Verantwortung für seine kleine Schwester abgibt, kann er neu durchstarten.

Einschränkend ist anzumerken, dass der Roman ein wenig konstruiert wirkt. Dass Henning bei einer Radtour auf Lanzarote ausgerechnet an dem Ort Halt macht, an dem er sein frühkindliches Trauma erlebt hat, wirkt recht unwahrscheinlich. Auch die hinter dem Trauma stehende Geschichte vermittelt nicht gerade den Eindruck zwingender Logik. Dennoch ist das Buch lesenswert und behandelt das Thema traumatischer Erlebnisse glaubwürdig.

Das Buch ist im Luchterhand-Verlag erschienen, umfasst 191 Seiten und kostet 20 Euro.

Barbara Raudszus

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