Klaus Schroeder/Monika Deutz-Schroeder: „Der Kampf ist nicht zu Ende“

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Nach der Lektüre dieses Buches stellen sich spontan Vorstellungen typischer Textelemente aus fiktiven Buchrezensionen der betroffenen Gruppen ein (insofern diese das Buch nicht totschweigen): „…eine Ansammlung uralter gesellschaftspolitischer Kamellen …… Die Autoren müssen schon die Französische Revolution bemühen ……. Altbekannte Horrorgeschichten über die Bolschewistische Revolution, die durch Wiederholung nicht besser werden ….. Plumpe Kriminalisierung authentischer Protestaktionen …. etc., etc“.

Doch genug des rezensorischen Sarkasmus. Das Autorenpaar hat die – wahrscheinlich heftige – Kritik der (extremen) Linken präventiv aufgelistet und begegnet ihr bereits auf den ersten Seiten offensiv, wohl wissend, dass für einen echten Linken nicht der Inhalt, sondern bereits die Tatsache der Kritik an der Linken den Kritiker zum Reaktionär stempelt. So ist denn dieses Buch nicht an die Linke direkt gerichtet, deren Diskussionsbereitschaft die Autoren in ihren weiteren Ausführungen als verschwindend gering einschätzen, sondern an das hoffentlich noch breite bürgerliche Spektrum von Anhängern der parlamentarischen Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft.

Gleich zu Beginn weisen die Autoren auf eine nicht zu übersehende Asymmetrie bei der Berichterstattung der öffentlichen Medien über linke und rechte Aktivitäten im Grenzbereich der Legalität und darüber hinaus hin. Sowohl in den führenden Print-Medien als auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen werde über linke Gewalt grundsätzlich mit weicheren Formulierungen berichtet als über rechte. Würden bei rechten Ausschreitungen brutale Attacken gemeldet, so komme es bei vergleichbaren linken Vorfällen zu „Rangeleien“. Außerdem werde bei linken Veranstaltungen mit gewalttätigen Begleiterscheinungen gerne die aggressive Rolle der Polizei hervorgehoben, der bei rechten Demos gerne Passivität vorgeworfen werde. Offensichtlich möchte sich bei den führenden Medien niemand den Vorwurf der Rechtslastigkeit einhandeln, zumal weite, vor allem linksliberale Kreisen im Zweifel lieber für linksradikal denn für bürgerlich gehalten werden möchten. Dieser durchaus mit Beispielen belegten Sicht kann man eine gewisse Berechtigung nicht absprechen.

Darüber hinaus weisen die Autoren schon zu Beginn auf eine andere Asymmetrie hin: in der Berichterstattung werde oft nur die Zahl der Straftaten der beiden Lager verglichen. Die seien jedoch nicht vergleichbar, weil im rechten Spektrum bereits verbale Entgleisungen (Holocaust-Leugnung) und Hakenkreuz-Schmierereien als Straftaten gelten, die es auf der linken Seite nicht gebe. Ma müsse eigentlich die expliziten Gewalttaten beider Lager vergleichen, doch diese Statisktik werde üblicherweise nicht veröffentlicht. Auf diese Weise ergebe sich ein starker „Überhang“ der Straftaten bei den Rechten, während es bei einem Vergleich der Gewalttaten (gegen Sachen und Menschen) ganz anders aussehe. Die Autoren belegen dies eindrucksvoll mit entsprechenden (verfügbaren!) Statistiken.

In ihrem historischen Rückblick über linke Gewalt gehen die Autoren tatsächlich bis zur Französischen Revolution zurück, jedoch gerade, um die Gesetzmäßigkeiten aufzuzeigen. So folgte der bürgerlichen Revolution von 1789 eine gewaltsame Übernahme durch die Jakobiner und das Schreckensregime unter Robbespierre unter dem hehren Banner einer egalitären, befreiten Gesellschaft. Während die Revolutionen von 1848 und 1871 in Paris mehr oder weniger nur die Merkmale der revolutionären Gewalt zeigten (es kam zu keinem länger dauernden sozialistischen Regime), zeigten die ideologischen Führer Marx und Engels jedoch keinerlei Berührungsängste gegenüber der Gewalt, ja, Marx sah die Gewalt geradezu als notwendigen Geburtshelfer eines neuen Gesellschaftssystems.

Die russische Revolution kopierte die Ereignisse von 1789 fast buchstabengetreu. Die Bolschewiken unter Lenin kaperten die bürgerliche Revolution von 1917 mit brutaler Gewalt und errichteten anschließend ein Schreckensregime, dass sich von der französischen Version nur durch die wesentlich längere Dauer von nahezu siebzig Jahre unterschied. In beiden Fällen arbeiten die Autoren die typischen Symptome linker Revolutionen heraus, die für ihre hehre Utopie eines sozialistischen Systemes einen neuen Menschen benötigen, den sie nur unter Liquidierung des vorhandenen Menschen erschaffen können. Gewalt wird dann zur notwendigen Voraussetzung statt zu einem Kollateralschaden einer erfolgreichen Revolution.

Über Maos Kulturrevolution mit Millionen von Toten geht es zur DDR, die mit Repression, dem 17. Juni 1953, dem Mauerbau und dem Schießbefehl zu dem eigentlichen Thema der aktuellen linken Gewalt in Deutschland hinführt. Deshalb sind auch Nordkorea und Venezuela als weitere Beispiele weggelassen worden.

In der Bundesrepublik sind natürlich die APO mit ihrem „spiritus rector“ Rudi Dutschke und die aus dieser sich entwickelnde RAF ein Schwerpunktthema. Bei der sich durch alle linken Verlautbarungen ziehenden Argumentation zur Gewalt identifizieren die Autoren zwei grundsätzliche Linien: zum Einen wurde die lange Zeit auf Sachen beschränkte Gewalt durch die behauptete „strukturelle Gewalt des Systems“, d.h. der nur scheinbaren (repräsentativen) Demokratie, legitimiert. Zum anderen wurde (und wird) spontan sich entwickelnde Gewalt, etwa bei Demonstrationen, grundsätzlich als Reaktion auf unangemessene polizeiliche Gewalt dargestellt und gewinnt damit Scheinlegitimität.

Die spätere gezielte oder kollaterale Gewalt gegen Personen – Polizisten und Wirtschaftsführer – wurde mit der Stellvertreterfunktion des „Schweinesystems“ dieser „Charaktermasken“ gerechtfertigt. Eine inner-linke oder gar offene Diskussion der Gewaltanwendung fand prinzipiell nicht statt. Die beiden Autoren beschränken sich über weite Strecken auf eine bloße Darstellung der Fakten, können sich jedoch bei besonders zynischen linken Verlautbarungen einer Kommentierung in Nebensätzen oder auch nur in Form eines Ausrufezeichens nicht enthalten. Diese Kommentare fallen jedoch eindeutig in den legitimen Rahmen der Darstellung.

Da der Ausgangspunkt dieses Buches die gewalttätigen Ausschreitungen in Hamburg beim G20-Gipfel in Hamburg waren, liegt der Schwerpunkt der Ausführungen bei den Gewaltakten der Linken und den jeweiligen Begründungen während der letzten zwanzig Jahren in Deutschland. Hausbesetzungen und die Reaktion des (per se illegitimen) Staates gehören ebenfalls dazu wie Proteste gegen die (bellizistischen) USA, deren „Helfershelfer“ Bundeswehr und neuerdings die AfD. Besonders letztere liefert der Linken weitgehende Argumentation für Gewalt, da die AfD problemlos als prä-faschistische Organisation eingestuft wird, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Auch die Infrastruktur des (repressiven) Staates ist ein Objekt, genauso wie Immobilienfirmen (Mietwucher!) oder Jobcenter (Ausbeutung).

Ausgiebige Statistiken belegen das Ausmaß linker Gewalt und zeigen den beunruhigenden Trend, dass die linke Gewalt in den letzten Jahren wieder zugenommen hat. Trump und die Zunahme rechter Parteien in Europa spielen dieser Grundhaltung weiterhin in die Karten. Erstaunlich und intellektuell erschreckend ist die Tatsache, dass die Linke Nordkorea und Venezuela (genauso wie der mittlerweile historische Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“) souverän ausblenden. Die bereits mehrere Male spektakulär gescheiterten linken Utopien werden einfach nicht wahrgenommen, ihr Vokabular unreflektiert und ideologisiert weiterverwendet. Die beiden Autoren erwähnen diese Tatsache, gehen jedoch auf die Ideologiestruktur nicht näher ein, da sie sich auf das Thema „linke Gewalt“ konzentrieren.

Das Fazit und der Ausblick fallen gemischt aus, da angesichts der Polarisierung in Europa und den USA kein Abflauen der (linken) Gewalt zu erwarten ist, eher ein Anwachsen. Die Autoren weisen mehrere Male darauf hin, dass die rechte Gewalt in ihrer ganz eigenen Ausprägung ebenfalls ein großes Problem darstellt, weigern sich aber aus guten Gründen, in diesem Buch die beiden Gewaltformen gegeneinander aufzurechnen. Gewalt, vor allem die „in Kauf genommene“ oder gezielte gegen Menschen, kann in einem Rechtsstaat kein Mittel oppositioneller Gruppen sein. Ein Gemeinschaftswesen kann nach ihrer (und nach unser) Sicht nur funktionieren, wenn das Gewaltmonopol in rechtlich eingehegter Form beim Staat liegt. Alles andere führt letztlich zu Anarchie und Bürgerkrieg und mündet erfahrungsgemäß in der Diktatur des Rücksichtslosesten.

Den beiden Autoren haben mit dieser mutigen Analyse eines im linksliberalen System Deutschlands gern klein geredeten Problembereichs ein heißes Eisen angefasst und werden dafür nicht nur Lob einfahren. Falls die Linke das Buch nicht totschweigt, wird sie es mit Häme übergießen. Es sei allen politisch Interessierten empfohlen, die sich einen klaren, ideologiefreien Blick auf die politischen Verhältnisse und Entwicklungen bewahren wallen.

Eine redaktionelle Kritik sei noch angemerkt: auf Seite 117 wird Rudi Dutschke zitiert mit dem Ausspruch „Revolutionäre Gegengewalt ….. als Zerstörung von Menschen ….. schein[t] mir ein adäquates Moment …. darzustellen.“ Statt „Menschen“ stand hier – ausgehend vom Kontext – mit hoher Wahrscheinlichkeit „Maschinen“. Das sollte schnellstens geändert werden, um kein weiteres Einfallstor für Lügenvorwürfe zu öffnen.

Das Buch ist im Herder-Verlag erschienen, umfasst 299 Seiten und kostet 26 Euro.

Frank Raudszus

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