Zermürbender Exkurs über eine verblichene Philosophie

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Gerade im Theater haben sich im Laufe der Jahrhunderte „Klassiker“ herauskristallisiert, die trotz ihrer anfänglichen Zeitgebundenheit Allgemeingültigkeit gewonnen haben und immer wieder durch ihren Verweis auf grundlegende individuelle oder gesellschaftliche Strukturen beeindrucken. Das Staatstheater Darmstadt hat dies in der laufenden Saison mit Maria Stuart von Friedrich Schiller eindrucksvoll bewiesen.

Daneben hat es jedoch auch immer wieder Literaten gegeben, die zwar zu ihrer Zeit ebenfalls richtungsweisende oder erschütternde Werke geschaffen haben, die jedoch dreißig Jahre später seltsam blutleer oder verkrampft wirken. Jean-Paul Sartre gehört zu dieser Kategorie. Mit glasklarem Verstand und hohem Engagement hat er vor allem in seiner philosophisch-politischen Literatur der 50er und 60er Jahre Maßstäbe gesetzt. Er gilt als einer der maßgebenden Schöpfer des „Existentialismus“. Nach zwei fürchterlichen Weltkriegen hatte seine Generation den Glauben an alles Höhere – Religion – und Planvolle – Marxismus – im Weltenbau aufgegeben. Das Leben war und ist ohne jeglichen Sinn, sein einziges Ziel ist der Tod.

Nach den Erfahrungen der ersten Jahrhundert-Hälfte war diese Reaktion verständlich, sie reichte jedoch nicht als Grundlage für eine längerfristig gültige Ideologie. Der Existenzialismus hat seinen bescheidenen Platz in der Geschichte der Philosophie gefunden und wird dort vorrangig von historisch Interessierten aufgesucht. Das Staatstheater Darmstadt hat dennoch den Versuch gewagt, mit „Geschlossene Gesellschaft“ ein Stück dieser Zeit auf die Bühne zu bringen, das 1944 unter dem Eindruck des 2. Weltkriegs entstand.

Zwei Frauen, die reiche Estelle und die Postangestellte Ines, und der Journalist Garcin finden sich nach ihrem Tod in einem geschlossenen Raum der Hölle wieder. Außer einem zwielichtigen Kellner, der ihnen als Führer dient und sich bald verabschiedet, läßt sich keiner der Höllenbewohner blicken, vor allem nicht die befürchteten Folterknechte. Die drei Personen sind sich von Anfang an angstvoll der Tatsache bewußt, daß sie sich in der Hölle befinden, und sind auf das Schlimmste gefaßt. Tastend versuchen sie voneinander den Grund für die Höllenfahrt zu erfahren, ohne jedoch ihre eigene Schuld zu offenbaren. Sehr bald jedoch entdecken sie, daß sie zu ihren eigenen Folterknechten bestimmt sind, indem sie sich gegenseitig die Lebenslügen entreißen. Ein kurzes Aufflackern von Solidarität erlischt unter der Angst und dem gegenseitigen Haß. Dabei überlagern sich allgemein menschliche mit erotischen Motivationen, so wenn sich Ines eindeutig Estelle nähert, diese jedoch sich Garcin an den Hals wirft. Diese Koalitionen zerbrechen jedoch sehr schnell wieder, da jeder zu sehr mit sich beschäftigt ist und die anderen nur zur Stärkung der eigenen Position benötigt.

Völlig sinnlos dreht sich das Karussell gegenseitiger Erniedrigung und eigener Verzweiflung – „homo homini lupus“. Nacheinander proben alle den natürlich vergeblichen Ausbruch aus diesem Gefängnis, indem sie schreien oder an die Tür schlagen. Als dann plötzlich die Tür sich öffnet, erschrecken sie alle vor der vermeintlichen Falle der Freiheit und drängen sich wieder aneinander – ein Symbol für die Unfähigkeit der Menschen, sich wirklich aus dem inneren Gefängnis zu befreien.

Wenn nach eineinhalb Stunden die letzten Worte „also – weitermachen“ verklingen, hat sich ihre Lage um kein Deut verändert. Sie werden ihre Notgemeinschaft schlecht und recht auf ewig aufrechterhalten, ohne wirklich voranzukommen.

Natürlich ist diese Hölle nichts weiter als eine Metapher auf die menschliche Gesellschaft, die nichts aus ihren Katastrophen lernt und ohne Sinn und Ziel dahinvegetiert, jedoch wirkt diese Erkenntnis heute etwas altbacken wie der gesamte Existentialismus. Eine Erkenntnis im eigentlichen Sinne ist dem Stück nicht zu entnehmen.

Dazu ist anzumerken, daß Sartre nie ein Dramatiker war. Sein intellektuelles Sprechtheater erschöpft sich in radikalen Abrechnungen mit einer heruntergekommenen Welt, ohne jedoch ein dramatisches Handlungsgerüst aufzubauen, wie man es vom Theater erwartet. Bietet Brecht in seinem epischen Theater noch den großen Handlungsbogen – „Mutter Courage“ -, so beschränkt sich Sartres „Dramatik“ auf die Darstellung intellektueller oder philosophischer Positionen. Dies macht die Rezeption eines Stückes wie „Geschlossene Gesellschaft“ anstrengend und fragwürdig zugleich.

Die Schauspieler holten aus diesem „Zimmerdrama“ das Menschenmögliche heraus. Mit großem Einsatz und hoher Konzentration zeichneten sie Exaltationen und Wechselbäder der Gefühle ihrer Rollen nach. Besonders Katharina Hoffmann überzeugte als Estelle, hatte jedoch auch die optisch dankbarste Rolle. Gabriele Drechsel dagegen mußte die immer zurückgewiesene Ines gegen ihre beiden Mitspieler positionieren. Ihre Rolle war eindeutig die undankbarste. Christian Wirmer bildete immer wieder den Dreh- und Angelpunkt zwischen den Frauen – auch von der Raumaufteilung bildete er meist den Mittelpunkt – und mußte sich abwechselnd mit den beiden Frauen auseinandersetzen. Er fiel streckenweise etwas ab, auch war die schuldhafte Verstrickung seiner Rolle für den Zuschauer nicht unbedingt nachvollziehbar.

Das Personal der Hölle wurde durch einen transsexuellen Kellner karikiert. Damit wurde sowohl das Groteske der Hölle symbolisiert als auch jegliche sinnschwere Deutung der Umgebung im Ansatz erstickt. Die Hölle sind die Menschen selbst, nicht irgendwelche angsteinfößende Teufel.

Das Bühnenbild zeigte im Gegensatz zur Buchvorlage einen trostlosen, gekachelten Kellerraum, wo z.B. in einer Klinik die Toten abgestellt werden. Hoch an der Wand loderten etwas vordergündig die Flammen der Fegefeuers auf Fernsehmonitoren, und angedeutete rote Fenster lassen dahinter das Höllenfeuer erahnen.

Trotz hervorragender schauspielerischer Leistungen wirkt diese Inszenierung als Ganzes eher fragwürdig, was wohl weniger der Dramaturgie als dem Stück selbst anzulasten ist. Der kräftige Beifall am Schluß galt dann offensichtlich auch hauptsächlich den Darstellern und weniger dem Stück und seiner Aussage.

Frank Raudszus

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