Martha Gellhorn: „Das Gesicht des Krieges“

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Ungeschminkte Berichte über das Leiden der Bevölkerung in den Kriegen des 20. Jahrhunderts

Der Krieg ist konstituierendes Element der menschlichen Geschichte, und schon immer haben die von ihm verursachten Leiden engagierte Chronisten gefunden, sei es in Form von Heldengeschichten oder als Klage über die Grausamkeit der Welt und speziell des Krieges. Homers „Ilias“ gehört ebenso zum Kreis der Kriegsberichte wie Grimmelshausens „Simplicissimus“.

Im 20. Jahrhundert ist die erhöhende oder satirische Kriegsberichterstattung einer an den reinen Fakten orientierten Schreibweise gewichen. Das ist einerseits auf die Aufklärung, andererseits auf eine eher objektive, fast naturwissenschaftliche Betrachtungsweise gesellschaftlicher Prozesse zurückzuführen. Der Typus des Kriegsberichterstatters ist zu einer eigenen journalistischen, wenn nicht literarischen Spezies geworden. Seine ganz spezielle Eigenart ist, das Geschehen nicht am sicheren heimischen Schreibtisch aus zweiter Hand aufzuschreiben, sondern sich im wahrsten Sinne des Wortes an die Front zu begeben und dort den Krieg mit all seinen Auswüchsen bei Gefahr des eigenen Lebens selbst zu erleben. Man hat bisweilen den Kriegsberichterstattern einen gewissen Voyeurismus vorgeworfen, dem das Schauen und Fotos des Grauens wichtiger sind als unmittelbare Hilfe, doch auf der Habenseite steht dennoch stets die Tatsache einer – hoffentlich – ungeschminkten Schilderung der Grausamkeit des Krieges.

Martha Gellhorn, Jahrgang 1908, widmete sich schon früh dem Phänomen des Krieges und kam dann nie wieder davon los.  Von 1937 bis Ende der achtziger Jahre besuchte sie eine Reihe zentraler Kriegsschauplätze, teilte Leben und Risiko Beteiligter wie Leidtragender und berichtete ohne jegliche Beschönigung über deren Leiden.

Das Buch beginnt mit dem spanischen Bürgerkrieg, den die Autorin ausschließlich aus der Perspektive der Zivilbevölkerung von Madrid und Barcelona erlebt. Hunger, Kälte, mangelnde medizinische Versorgung und Gefahr für Leib und Leben sind das tägliche Brot, und viele Kinder sterben Hungers, weil sie nicht über die körperlichen Reserven der Erwachsenen verfügen. Dennoch ist die Bevölkerung überzeugt, dass die Republik gewinnen wird, was sich später – nach dieser Berichtsperiode – als folgenschwerer Irrtum erweisen wird. Martha Gellhorn kommentiert nicht den politischen Hintergrund dieses Krieges, und ihre eigene Meinung dringt nur zwischen den Zeilen durch. Sie beschränkt sich konsequent auf die Beschreibung der Leiden des Volkes.

Von Spanien zieht es die Autorin nach Finnland, wo Martha Gellhorn Ende 1939 den Verteidigungskampf des kleinen Landes gegen die Sowjetunion erlebt. Sie lernt dort eine hochmotivierte und gut ausgebildete finnische Armee kennen, die mit ihrer beweglichen Kriegsführung den schlecht ausgerüsteten und demoralisierten Sowjets große Probleme bereitet. Sie ahnt nicht, dass diese Eigenschaften dem kleinen Finnland wenig helfen werden und dass es sich bereits wenige Monate später der übermächtigen sowjetischen Armee wird beugen müssen.

Das nächste Ziel ist China, wo sie im Jahr 1941, kurz vor dem Kriegseintritt der USA, den japanisch-chinesischen Krieg erlebt und schildert. China ist zu dieser Zeit im Gegensatz zu Japan ein zurückgebliebenes Land, das sich allein mit der Masse seiner Menschen gegen die technologisch hoch gerüsteten Japaner wehrt. Dabei spielen Menschenleben keine Rolle, vor allem für die Japaner, die in den Chinesen keine vollwertigen Menschen sehen und mit erbarmungsloser Brutalität vorgehen. Das chinesische Volk friert, hungert und stirbt an den typischen Krankheiten des Krieges: Erschöpfung, Unterernährung und Infektionen. Doch mit fast übermenschlicher Leidensfähigkeit erträgt die Bevölkerung alle Übel in der stillen Hoffnung, dass irgendwann die Feinde vertrieben werden können. Der Bericht über diesen Krieg leidet trotz aller Lebendigkeit der Schilderungen sowohl unter der Sprachbarriere, die stets einen Dolmetscher erfordert, als auch unter dem Misstrauen, das die Chinesen nicht ohne Grund den weißen Besuchern gegenüber zeigen.

Umfassend berichtet Martha Gellhorn über den zweiten Weltkrieg. Mit den US-Truppen zieht sie von Süden durch Italien und erlebt die harten Kämpfe gegen die kompromisslos kämpfenden Deutschen. Dank der großzügigen Einbettung in die US-Armee kommt sie der Front sehr nahe und kann die Kämpfe fast von einem Logenplatz aus verfolgen. Teilweise erinnert ihr Bericht an ein Computerspiel oder einen Kriegsfilm, wenn sie aus sicherer Entfernung die Vernichtung eigener oder fremder Panzer beschreibt, und der Vorwurf des Voyeurismus wird dann wieder verständlich. Hier beschreibt Martha Gellhorn vorrangig das Leiden und die Moral der Soldaten aus den verschiedenen Ländern – USA, Polen u. a.m. -, wobei ihr heute mit Vorsicht verwendete Worte wie tapfer und todesmutig locker aus der Feder fließen. Das ist offensichtlich auf die tiefe Überzeugung zurückzuführen, hier einen gerechten Krieg gegen Faschismus und für die Demokratie zu führen. Dabei werden dann sowohl der Gegner als politisches System – das Dritte Reich – als auch der einfache Soldat über einen Kamm geschoren. Die deutschen Soldaten werden pauschal als kalt und böse eingeschätzt – auch die Gefangenen! – und die Versorgung verwundeter Deutscher als eine ihnen eigentlich nicht zustehende Wohltat betrachtet. Rache- und Hassgefühle der US-Soldaten gegenüber verwundeten deutschen Soldaten entschuldigt die Autorin nicht nur, sondern teilt sie offensichtlich auch.

Die Kriegsreise gegen Deutschland endet in Dachau, und dort bestätigt sich ihr Urteil gegen die Deutschen natürlich – mit Recht. Die grauenhaften Zustände – Berge nackter Leichen und halbverhungerte Gefangene – erträgt Martha Gellhorn nur mit Mühe, und die spontane Erschießung der deutschen Wachmannschaft notiert sie lakonisch als natürliches Ereignis. Das Verhalten der deutschen Zivilbevölkerung widert die Autorin an, denn sie trifft nur auf selbsternannte Nazigegner und Widerstandskämpfer. Die Nazis waren immer die anderen, und die Besiegten freuen sich über den Einmarsch der Sieger wie über den Besuch von guten Freunden. Angesichts dieser Stimmung in den ersten Tagen des Sieges über und in Deutschland erscheint die Vorstellung einer engen Partner- und sogar Waffenbrüderschaft innerhalb weniger Jahre geradezu abstrus.

Nach einem kurzen Zwischenspiel auf der indonesischen Insel Java, wo sie den ungleichen Kampf des von der Freiheitsidee aufgehetzten Volkes gegen die bereits von den Japanern enteigneten und internierten Holländer erlebt, wendet sie sich in den sechziger Jahren schließlich dem Vietnamkrieg zu. Hier zeigt sie der eigenen Regierung gegenüber die gleiche Kompromisslosigkeit und Entrüstung wie gegenüber den Deutschen. Den flächendeckende Bombenkrieg, der den Vietcong meint und die einfachen Bauern trifft, weckt ihre ungeteilte Empörung. In geradezu erschreckender Detailgenauigkeit schildert sie die Massaker der US-Luftwaffe mit Napalm und Phosphorbomben an der vietnamesischen Zivilbevölkerung. Die südvietnamesische Regierung entlarvt sie als korruptes System einer kleinen Oberschicht, die es sich mit amerikanischer Hilfe im sicheren Saigon gut gehen lässt und jeden Protest aus der Bevölkerung sofort als kommunistische Agitation denunziert. Der US-Regierung wirft sie offen und ungeschminkt vor, dieses Regime aus einer geradezu krankhaften Kommunistenfurcht wirtschaftlich und militärisch unbegrenzt zu unterstützen und in jedem Bauern sofort den Vietcong zu vermuten. Martha Gellhorns Berichte über die mit Verbrennungsopfern überfüllten und mangelhaft bis gar nicht ausgestatteten Krankenhäuser und die Waisenhäuser mit den tausenden von verwundeten, verstümmelten und halbverbrannten Kindern nehmen jeden Leser schwer mit – von den Menschen ganz zu schweigen, die es nicht bis in ein Krankenhaus oder eine Waisenhaus geschafft haben sondern in den Dörfern oder im Dschungel gestorben sind.

In gewisser Weise zeigt sich der „Sechstage-Krieg“ zwischen Israel und den arabischen Staaten im Jahr 1967 als Lichtblick, denn hier berichtet Martha Gellhorn aus israelischer Sicht und damit – fast – nur Positives. Es findet ihre uneingeschränkte Bewunderung, wie das kleine Israel die dreifache Übermacht der arabischen Armeen innerhalb weniger Tage in eine vernichtende Niederlage und anschließende Bedeutungslosigkeit treibt. Die militärischen Gründe für den schnellen Sieg führt sie nicht weiter aus, sondern geht dafür auf die Reaktion der Gegner ein, die aus der Frustration der Niederlage sofort die Legende brutaler Übergriffe der Israelis auf die Zivilbevölkerung machten. Detailliert geht sie den vielfältigen Anschuldigungen nach und stellt fest, dass die angeblich Tausenden von zivilen Opfern nach Untersuchungen „vor Ort“ auf knapp zweihundert zusammenschrumpfen, da die israelische Armee ihre Angriffe auf militärische Ziele konzentriert hat. Wie im Zweiten Weltkrieg schlägt sich Martha Gellhorn hier eindeutig auf die Seite der Sieger, und das wohl mit einigem Recht. Damit lag sie zu der damaligen Zeit im Trend der internationalen Meinung, von arabischen Staaten abgesehen.

Danach widmet sie sich wieder den Bürgerkriegen in kleinen Staaten, in diesem Fall Mittelamerika, wo die USA in San Salvador und Nicaragua – wieder aus panischer Kommunismusfurcht – korrupte Diktatoren bedingunslos unterstützen. Zwar treten die USA hier nicht selbst wie in Vietnam mit eigenen Truppen und Bombern auf, sie stützen jedoch die Diktatoren mit Geld und politischer Rückendeckung. Auch hier verdeutlicht Martha Gellhorn, dass die kleinen Oberschichten über fast den gesamten Grundbesitz verfügen und die Bauern zu Hungerlöhnen für sich arbeiten lassen. Wer aus Hunger und Elend dagegen protestiert, wird entführt, eingesperrt oder gleich umgebracht. Meist kommen die ersten beiden Maßnahmen dabei der dritten gleich. Dabei machen die „Todesschwadronen“ und das der Oberschicht (und den USA) ergebene Militär keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, Kindern und alten Menschen, und ein Mord kann nicht nur wegen Protest oder angeblicher Subversion, sondern einfach wegen Missliebigkeit eines Bügers – vor allem Intellektueller und Priester – erfolgen. Hier kommt wieder der Abscheu vor der Grausamkeit des Menschen gegen Seinesgleichen und vor der Unterstützung durch die USA deutlich zum Ausdruck. Am Ende bleibt jedoch ein schwacher Hoffnungsschimmer, wenn die einfachen Leute aus diesen Ländern sagen, sie seien „keine Mäuschen mehr“, und weiterhin Widerstand leisten. Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass es auch in diesem Gebiet der Welt mit Demokratie und Menschenrechten langsam aufwärts geht.

Martha Gellhorn ist im Jahr 1998 als Neunzigjährige in den Freitod gegangen. Das war letztlich ein Segen für sie, hat sie doch „9/11“ und die darauf folgenden Kriege gegen den Irak und Afghanistan nicht mehr erlebt.

Wer das Wesen des Krieges einmal aus einer ganz anderen Perspektive als der der Schlachten und der Strategie kennenlernen will, nämlich aus der Sicht der Opfer, sollte sich dieses Buch über das kriegerische 20. Jahrhundert vornehmen.

Das Buch „Das Gesicht des Krieges“ ist im Dörlemann-Verlag unter der ISBN 978-3-908777-77-9  erschienen, umfasst 568 Seiten und kostet 24,90 €.

Frank Raudszus

 

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