Joachim Bauer: „Arbeit“

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Untertitel: „Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht“ – Ein Plädoyer gegen „Burn-Out“

Der Titel dieses Buches suggeriert eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Arbeitsbegriffs, doch eigentlich geht es dem Autor um die Aufklärung seiner Leser über den viel zitierten „Burn-Out“ und vor allem um den Kampf gegen seine Ursachen. Dass dabei auch ein Exkurs in die Geschichte der Arbeit und ihre Bedeutung in den verschiedenen Epochen und Kulturkreisen anfällt, ist zwar verständlich und auch informativ, jedoch bleibt diese trotz eines sehr umfangreichen Literaturverzeichnisses und vieler Anmerkungen eher summarisch und populärwissenschaftlich.

Hauptgegner sind für Bauer die heutigen Arbeitsbedingungen, die mit der Digitalisierung eine immer höhere Arbeitsdichte und Beschleunigung erfahren haben. Damit liegt er zwar durchaus richtig, denn in Zeiten der schriftlichen Mitteilungen auf Papier wurden jede geschäftliche Korrespondenz und auch die Arbeitsabläufe zwangsläufig auf das Tempo des physischen Transports reduziert. Mit E-Mail und Online-Zugriffen zu allen benötigten Informationen werden Arbeitsabläufe in allen Bereichen, die nicht unmittelbar mit der Produktion physischer Güter zu tun haben, – vor allem in Vertrieb, Marketing und Verwaltung -, erheblich beschleunigt.

Aber Bauer suggeriert mit dieser Anklage gegen heutige Arbeitsbedingungen auch eine „gute alte Zeit“, die es natürlich nie gegeben hat. Öffentliche Statistiken belegen, dass die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit in Deutschland unter vierzig Stunden liegt, ein Wert, von dem bis in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts jeder Arbeiter und Angestellte nur geträumt hätte. Das heißt, die Beschleunigung und Arbeitsdichte betrifft nur einen kleinen Teil der arbeitenden Bevölkerung, und zwar die, die um der Karriere willen bereit sind, sich selbst auszubeuten. Bauer gibt dies auch implizit zu, wenn er auf den Gruppendruck vor allem bei jungen Leuten hinweist, aber weist dann doch auf den Finanzkapitalismus als den Hauptschuldigen. Seiner Meinung nach sucht seit den 80er Jahren das internationale Kapital nur noch den schnellen Gewinn und presst daher alle Firmen, in die es investiert, gnadenlos aus.

Nun hat sich die Finanzbranche – vor allem in den letzten Jahren – sicher nicht zum sozialen Musterknaben entwickelt, und für viele Missstände kann man sie durchaus verantwortlich machen. Doch die höheren Anforderungen im Arbeitsalltag und die geringere Arbeitsplatzsicherheit hat wohl auch gewichtige andere Gründe. Bis Ende der achtziger Jahre trat der gesamte sozialistische Block wegen seiner Ineffizienz nicht als Konkurrent auf den Weltmärkten, sondern nur als – unfreiwilliger – Konsument und Kunde auf, denn die benötigten Güter konnten diese Staaten nur im Westen erwerben. Dort hatte man es sich seit dem Zweiten Weltkrieg in einem durch die weltpolitischen Verhältnisse weitgehend geschützten Markt gemütlich eingerichtet und konnte in mehr oder minder gemächlichem Tempo mit üppiger Personalausstattung arbeiten. Mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme traten all diese Länder als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt auf, allen voran China, das zwar nicht zusammengebrochen war, aber in einem Scheinkommunimus einen Staatskapitalismus eingeführt hatte. Und auch die Schwellenländer hatten sich in der Zwischenzeit soweit entwickelt, dass sie nicht mehr nur Abnahmemärkte waren. Soviel zum Druck auf die westliche Industriewelt und die Gründe für die Verdichtung und Effizienzsteigerung der Arbeit.

Ein weiterer Gegner sind für den Mediziner Bauer die eigenen Kollegen, die den – arbeitsbedingten! – „Burn-Out“ schlichtweg negieren und ihn für eine modische Umbenennung der Depression halten. „Burn-Out“ suggeriere für viele Erkrankten angeblich große Verantwortung und hohes Arbeitsethos, kurz: ein „Burn-Out“-Opfer habe sich für die Firma und Mitarbeiter bis zur Erschöpfung überarbeitet, während ein Depressiver an einer vermeintlich genetisch bedingten Krankheit leidet, die ihn „à priori“ zu einem leistungsschwächeren Mitglied der Gesellschaft mache. Wer mag da schon an einer Depression leiden? Bauers Kritik an dieser Sicht ist durchaus berechtigt, da vor allem die klassische Sicht der Depression die aktuelle Arbeitsbedingungen des Erkrankten meist ausblendet. Doch begibt sich Bauer in eine gefährliche Argumentation, wenn er behauptet, „Burn-Out“ könne keine Depression sein, da diese gerade als unabhängig von der Arbeit definiert sei. Er zieht also eine Definition als Argument heran, obwohl er wissen müsste, dass eine Definition stets einen vorläufigen Charakter aufweist und anhand neuer Erkenntnisse adaptiert werden kann. Statt also Depression und „Burn-Out“ in  ein gemeinsames Krankheitsbild zu überführen und dieses zu diskutieren, trennt er weiterhin beide Erscheinungen, marginalisiert damit die Depression und beansprucht alle arbeitsbedingten Gründe für den „Burn-Out“. Das mag zwar kurzfristig seine Sicht stützen, hilft aber in der Sache wenig.

Natürlich sind schlechte Arbeitsbedingungen mit hohem Leistungsdruck und wenig Anerkennung – bis hin zum „Mobbing“ – ein wesentlicher Grund für solche Erkrankungen, und Bauer schlüsselt all die Ursachen dafür sehr gründlich auf.  Er sieht Arbeit für den Menschen als „Resonanzerfahrung“, das bedeutet, der arbeitende Mensch muss aus seiner Arbeit eine Rückmeldung – eine „Resonanz“ – erfahren, um seine psychische Stabilität zu erhalten. Aus diesem Modell entwickelt Bauer die einzelnen Symptome eines „Burn-Outs“ wie Zynismus, Verachtung der eigenen Arbeit und entsprechendes Nachlassen der Arbeitsqualität. Dabei identifiziert er mehrere Gründe: Überlastung und fehlende Gestaltungsmöglichkeit, Überlastung und fehlende Arbeitsmittel (Resourcen) sowie Überlastung und fehlende Anerkennung. Jede dieser drei Kombinationen führt nach seiner Sicht zu einem „Burn-Out“, in der Kombination natürlich noch schneller.

Abgesehen von seiner Ablehnung der Depressionstheorie und der Schuldzuweisung an den „bösen“ Finanzkapitalismus beschreibt Bauer die Tendenzen der heutigen Arbeitswelt und ihre Folgen für die Arbeitnehmer durchaus zutreffend. Auch seine Vorschläge für Therapien sind nachvollziehbar, da er die Therapie weniger für die Patienten als für das verursachende System als erforderlich betrachtet. Die Firmen müssen im eigenen Interesse und in dem ihrer Mitarbeiter (was letztlich dasselbe ist) für vernünftige Arbeitsbedingungen sorgen, notfalls mit mehr oder minder sanftem Druck der Politik. Auch die Selbstausbeutung der jungen Leute, die nicht gegen die „Workaholic“-Kultur zu protestieren wagen, weil dann die eigene Karriere gefährdet ist, muss seitens der Arbeitgeber verhindert werden.

Neben diesen diagnostischen und therapeutischen Ausführungen bietet Bauer noch den bereits erwähnten Gang durch die Geschichte der Arbeit an, angefangen von den ersten Versuchen der Sesshaftigkeit vor Hunderttausenden von Jahren, mit der sich angeblich die „Arbeit“ entwickelt hat (waren Jagd und Sammeln keine Arbeit???), bis hin zu den alten Griechen, die der Muße pflegten und die Arbeit von Sklaven (!!) machen ließen. Bis ins hohe Mittelalter galt die Arbeit mehr oder minder als Tätigkeit der Unterschicht – Bauern und Leibeigene – und war in der Oberschicht verpönt. Doch auch diese Sicht greift etwas zu kurz, denn die Kriegs- und Beutezüge der (Raub-)Ritter und ihrer Soldaten trugen ebenfalls alle Merkmale harter und gefährlicher Arbeit, und daher scheint Bauers Sicht der Arbeit etwas zu sehr verengt auf die Herstellung von Produkten und die damit zusammenhängende Verwaltung. Bauers historische Exkurse zum Thema „Arbeit“ lesen sich zwar recht schön, lassen aber viele Fragen offen. Für die Beschreibung des „Burn-Out“ und Entwicklung von Alternativen benötigt man auch keine historische Herleitung des Arbeitsbegriffes. Das scheint eher ein persönliches Hobby des Autors zu sein.

Joachim Bauer vermittelt in seinem Buch viele neue Erkenntnisse über die heutige Arbeitswelt sowie das Thema „Burn-Out“ und schärft das Bewusstsein der Leser hinsichtlich bedenklicher Tendenzen. Doch seinen breit angelegten Ausführungen muss man nicht immer zustimmen, und sein eigentliches Anliegen hätte er auch auf weniger Raum darstellen und entwickeln können.

Das Buch „Arbeit“ ist im Blessing-Verlag unter der ISBN 978-3-89667-474-6 erschienen, umfasst 270 Seiten und kostet 19,99 €.

Frank Raudszus

 

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