Die Kunsthalle Schirn zeigt in der Ausstellung „Géricault: Bilder auf Leben und Tod“ Werke eines frühen Außenseiters

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Grenzüberschreitungen der Malerei des 19. Jahrhunderts

Die Kunsthalle Schirn zeigt in der Ausstellung „Géricault: Bilder auf Leben und Tod“ Werke eines frühen Außenseiters

Théodore Géricault lebte zur Zeit Napoleons und fällt damit in die Zeit der beginnenden Romantik. In seinem kurzen Leben – er wurde nur 32 Jahre alt – setzte er dennoch Zeichen für die Malerei des 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu seinen malenden Zeitgenossen, die als Romantiker die Natur und das Übermenschliche, Unfassbare in den Vordergrund stellten, beschäftigte er sich als ein Vorläufer des Realismus mit den Alltäglichkeiten des Lebens und hier vor allem mit den Extremen menschlicher Existenz: Leiden, Krankheit und Tod. Seinen Bildern wohnt jedoch weder Verklärung noch existenzieller Abscheu inne, sondern er betrachtet den Menschen mit dem kühlem Blick des Mediziners, der Krankheiten zu erkennen und zu heilen versucht.

Théodore Géericault:
Der Kunsthalle Schirn hat in dieser ersten Einzelausstellung zu Théodore Géricualt in Deutschland 62 Werke des Künstlers zusammengestellt. Dabei gelang es wider Erwarten, vier selten verliehene Werke aus der Reihe „Monomanes“ von verschiedenen Museen als Leihgaben zu erhalten. Als Kontrast und Ergänzung zu Géricaults Werken hat die Schirn Werke von seinen Zeitgenossen – Francisco de Goya und Eugène Delacroix – sowie einer heutigen Künstlerin (Marlene Dumas) dazu gehängt.

Géricaults Gemälde hatten zu seiner Zeit durchaus Provokationscharakter. Anatomische Darstellungen waren zwar schon früher üblich, bemühten sich aber stets um einen nüchternen, distanzierten Blick auf Details. Dahinter war deutlich die – religiöse und ästhetische – Scheu zu spüren, menschliche Körperteile in abgetrenntem Zustand zu zeigen. Der Mensch durfte nur als Ganzes gedacht und dargestellt werden, ob nun tot oder lebend. Die Desintegration des Körpers war ein Tabu. Géricault bricht dieses Tabu auf geradezu revolutionäre Weise. Er malt die Gliedmaßen einschließlich ihrer blutigen Trennstellen, verleiht ihnen aber dennoch eine Art Lebendigkeit, die sie als unveräußerliche Teile des menschlichen Körpers zeigen. Auch als „tote“ Einzelteile stehen diese Glieder noch für Lebenskraft und Schönheit. Géricault zeigt damit, dass der Tod ein natürlicher Bestandteil menschlicher Existenz ist und nicht länger in das Reich des Tabus verwiesen werden darf. Géricault setzt auch auf anderen Gebieten neue Zeichen. Geisteskrankheiten wurden bis Ende des 18. Jahrhunderts als „Abartigkeiten“ betrachtet und die darunter Leidenden wie Aussätzige behandelt. Künstlerische Darstellungen übernahmen diese Sicht in Gestalt rollender, hervorquellender Augen und ungewöhnlicher Verrenkungen. Doch die Medizin entdeckte Anfang des 19. Jahrhunderts, dass die menschliche Psyche ein Kontinuum bildet und keine klaren Zäsuren kennt. Das bekannte Sprichwort über die enge Nähe von Genie und Wahnsinn lässt sich insofern auf den normalen Menschen anwenden, als geistige Erkrankungen alle Stadien einnehmen können, von der leichten Skurrilität bis hin zur Lebensunfähigkeit. Géricault, der auch auf diesem Gebiet mit Medizinern Kontrakt hielt, setzte diese Erkenntnis künstlerisch um: seine „Monomanen“ sind auf den ersten Blick ganz normale Menschen. Erst das intensive Studium dieser Portraits fördert dann kleine aber ausschlaggebende Abweichungen zu Tage: beginnende Verwahrlosung der Kleidung, ungesunde Gesichtsfarben oder – und das ist die wesentliche künstlerische Leistung – eine gewisse Dumpfheit und Verlorenheit des Blickes.

Théodore Géericault:

Kurator Gregor Wedekind hat die Ausstellung in vier übertitelte Bereiche eingeteilt:
In „Kämpfe“ stehen Kriegsbilder im Vordergrund. Auch hier hat Géricault die Realität des Krieges dargestellt, weit entfernt von Heldentum und -tod. Die – wenigen – aus Russland zuirückkehrenden Soldaten Napoleones sind ein wahres Bild des Jammers und führen dem Betrachter die Wirklichkeit des Krieges vor Augen. Solche Bilder hat man zwischen 1800 und 1815 sicher nicht gerne gesehen.

In „Körper“ hat Wedekind alle Bilder zusammengefasst, die den menschlichen Körper in Extremsituationen zeigen, so etwa die abgetrennten Gliedmaßen (s. oben) oder die Sterbenden und Toten auf dem „Floß der Medusa“. Mit diesem Bild hat Géricault außerdem die französische Regierung kritisiert, die nach der Strandung der Fregatte „Medusa“ den auf einem Floß dahinvegetierenden Schiffbrüchigen keine Hilfe zukommen ließ.

Théodore Géericault:
Der Bereich „Köpfe“ zeigt Portraits von Menschen und Tieren, wobei zum Beispiel der „Kopf des weißen Pferdes“ fast menschliche Züge annimmt. Die damals populäre Phrenologie, die Schädelformen mit Charaktermerkmalen verband, findet hier in Gestalt abgeschlagener Köpfe oder nackter Knochenschädel ihren Niederschlag, obwohl Géricault dieser wissenschaftlich fragwürdigen Theorie kritisch gegenüberstand.

Der vierte Bereich, „Krise“ übertitelt, zeigt schließlich in mehreren Portraits die bereits erwähnten „Monomanen“. Nur eines der fünf „Monomanen“-Bilder findet man in dieser Ausstellung nicht, da es grundsätzlich unverleihbar ist.

Die Kunsthalle Schirn holt mit dieser Ausstellung einen Künstler in die Erinnerung zurück, der in Deutschland nur Fachleuten bekannt war. Mit dieser Ausstellung zeigt die Schirn auch die gesellschaftspolitische Bedeutung, die dieser avantgardistische Künstler in Frankreich annahm. Dass er für seine gewagten Bilder zu seinen Lebzeiten viel Kritik einstecken musste, liegt in der Natur der Sache. Doch das reiht ihn in die Gemeinde vieler großer Künstler ein, die erst nach ihrem Tode entdeckt wurden.

Die Ausstellung „Géricault: Bilder auf Leben und Tod“ ist vom 18. OKtober bis zum 26. Januar 2014 dienstags sowie freitags bis sonntags von 10 bis 19 Uhr, mittwochs und donnerstags von 10 bis 22 Uhr geöffnet.

Frank Raudszus

 

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