Die britischen „King´s Singers“ gastieren im Staatstheater Darmstadt

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Die King´s Singers mit (v.l.n.r.) Christopher Bruerton, Jonathan Howard, Paul Phoenix, David Hurley,Christopher Gabbitas, Timothy Wayne-Wright
Ein Kunstwerk aus Stimmen  

Die britischen „King´s Singers“ gastieren im Staatstheater Darmstadt
Die Kunst des „A capella“-Gesangs stellt für Sänger eine der größten Herausforderungen dar, da sie – vor allem beim ersten Einsatz – auf keine Instrumentalunterstützung hoffen können. Die Sänger müssen vom ersten Augenblick an den Ton hundertpozentig treffen, um Missklänge zu verhindern. Wenn dann noch eine polyphone Liedstruktur mit verschiedenen Anfangstönen dazukommt, wird es besonders schwer.

Auf diesem Gebiet spielen die „King´s Singers“ eine herausragende Rolle. Im Jahr 1968 im King´s College (Cambridge) gegründet, haben sie sich im Laufe der Jahrzehnte wie ein lebendiger Organismus mehrere Male erneuert und treten heute als sechsköpfige Gruppe meist jüngerer Männer auf. Der Countertenor David Hurley ist sowohl an Lebens- als auch an Dienstjahren der älteste und gehört seit 1990 zu der Gruppe. Christopher Bruerton (Bariton) trat dagegen erst im Jahr 2012 in die Gruppe ein und ist damit der dienstjüngste Sänger. Neben diesen beiden gehören noch Paul Phoenix (Tenor), Timothy Wayne-Wright (Countertenor), Christopher Gabbitas (Bariton) und Jonathan Howard (Bass) zu dem Ensemble.

Der Schwerpunkt der „King´s Singers“ liegt natürlich bei der originalen „a capell“-Literatur. Dazu gehören vor allem die Madrigale des 16. Jahrhunderts. Diese Gattung befasste sich mit der gesanglichen Gestaltung weltlicher Texte und löste sich damit von der Dominanz des Kirchengesangs. Doch obwohl die Renaissance als Wiedergeburt der lebensbejahenden Antike gilt und die Texte meist von weltlichen Themen handeln, sind sie von einer erstaunlichen Traurigkeit und Schwermut. Oft geht es um verschmähte oder unglückliche Liebe oder gar um den Tod. Selbst hymnische Liebeslieder haben etwas Verzweifeltes an sich. Das mag auch an dem traumatischen Urerlebnis der Pest gelesen haben, das sich in den Gemütern der Epoche festgesetzt hatte.

Einer der führenden Madrigal-Komponisten war Carlo Gesualdo (1566-1613), ein Adliger mit fundierter Musikausbildung. Er reizte die musikalischen Möglichkeiten weit über die damaligen harmonischen Grenzen aus, und daher wirken seine hoch-artifiziellen Madrigale oftmals ausgesprochen modern. In Darmstadt interpretierten die „King´s Singers“ zu Beginn des Konzertes zu beginn das „O vos omnes“ (Jesu´Worte am Kreuz) und anschließend drei „Tenebrae-Responsorien für Gründonnerstag“, in denen Jesus auf dem Ölberg zu seinem Vater spricht, mit seinen Jüngern redet und schließlich diese über sein Leiden klagen. Diese drei Responsorien sind von außerordentlicher Dichte und Schwere und geben die existenzielle Situation musikalisch überzeugend wieder. Dabei hat Gesualdo sowohl polyphone als auch homophone Techniken eingesetzt und beide in einer komplexen Struktur mieinander verwoben. Für die Sänger erforderte das höchste Konzentration, weswegen sie vorher auch das Publikum – in druckreifem Deutsch! – darum baten, den Beifall bis zum Schluss des dritten Stücks zurückzuhalten. Das Publikum hielt sich daran und applaudiertete anschließend um so kräftiger.

Im Anschluss daran präsentierte die Gruppe vier geistliche Lieder von Francis Poulenc (1899-1963), die den Madrigalen von Gesualdo in vielem ähneln. Auch hier spielt die Mehrstimmigkeit wieder eine große Rolle, und die sechs Sänger bestachen dabei durch ihre hohe Transparenz, die jede Stimme zur Geltung kommen ließ. Jede einzelne Stimme ließ sich identifizeiren und verfolgen, und je nach musikalischer Intensität trat mal der Countertenor, dann wieder der Tenor oder der Bass in den Vordergrund. Zwei lateinische Motetten, die Jesu´ Angst und Leiden am Kreuz zum Gegenstand haben, schlossen diesen Zyklus ab. Auch hier brachten die sechs Sänger das elementare Leid des Gekreuzigten durch höchste Intensität und feinste stimmliche Nuancen zum Ausdruck.

Den Abschluss der ersten Hälfte bildeten vier Lieder von Benjamin Britten (1913-1976), die deutlich temperamentvoller waren und auch deutlich humoristische Züge trugen. Das trifft vor allem für das „Carol“ aus dem 14. Jahrhundert zu, das wie ein Kehrreim den Tag einer jungen Frau beschreibt und vor Witz geradezu sprüht. Die „King´s Singers“ brachten diesen Witz nicht nur stimmlich sondern auch mit Gestik und Körpersprache zum Ausdruck und ernteten nach dem ernsten Beginn des Abends jetzt auch einige Lacher.

Im zweiten Teil ging es dann wesentlich lockerer zu. Das eigentlich auf die alte Musik spezialisierte Ensemble hat sich in den letzten beiden Jahren für Jazz-Standards erwärmt und eine Reihe von Songs aus dem „American Song Book“ arrangiert und eingeübt. Von diesen präsentierten sie an diesem Abend neben Einzelstücken verschiedener Komponisten das bekannte „The Lady is a Tramp“ von Richard Rogers  (1902-1979) sowie fünf Songs des unerreichten Cole Porter: „Begin the Beguine“, „I´ve got you under my skin“, „It´s de-lovely“, „Night and Day“ und „Let´s misbehave“. Wer die Stücke kannte, durfte nicht erwarten, sie hier im Stile eines Frank Sinatra oder Dean Martin zu hören. Den „King´s Singers“ geht es nicht darum, eine weitere flotte Jazz-Nummer zu präsentieren, sondern das musikalische Material der gehobenen Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts nach den Regeln der mehrstimmigen Gesangskunst  zu bearbeiten. Dabei ergaben sich völlig neue Versionen dieser „Evergreens“, die den meisten der älteren Generationen noch in den Ohren klingen mögen. Den Rhythmus simulierten die sechs Sänger durch skandierte Tonfolgen und die Begleitinstrumente durch variantenreiches Summen. Auf diese Weise bildeten sie den Orchesterklang der ursprünglichen Einspielungen dieser Songs nach. Dabei weiteten sie sowohl den metrischen wie auch den harmonischen Rahmen aus und schufen ganz eigene, originelle Varianten der bekannten Ohrwürmer. „I´ve got you under my skin“ zum Beispiel machten sie zum fast lasziven Bossa Nova, und „Night and Day“ wirkte eher melancholisch als strahlend wie bei Frank Sinatra.

Das Publikum war am Ende derart angetan von diesem Potpourri bekanner Melodien, dass die sechs Gesangskünstler noch zwei Zugaben draufpackten, ehe sie sich endgültig winkend verabschiedeten.

Frank Raudszus

 

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