Die Deutsche Oper Berlin spielt Verdis „La Traviata“ unter der Regie von Götz Friedrich

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Spiel mir das Lied vom Tode  

Die Deutsche Oper Berlin spielt Verdis „La Traviata“ unter der Regie von Götz Friedrich
La Traviata – die vom rechten Wege abgekommene – „(…) wir dagegen sind verlassen, sobald wir der Eitelkeit oder der Begierde unserer Liebhaber nicht mehr genügen (…)“ – so sagt Marguerite, die Kameliendame des gleichnamigen Romans von Alexandre Dumas Sohn. La Traviata ist – wie so typisch für ihre Zeit – die bildhafte Darstellung eines Romans, der wiederum auf einer wahren Begebenheit beruht. Wie heute Ereignisse und herausragende Persönlichkeiten zur Verfilmung anregen, so waren dies im 19. Jahrhundert das Schauspiel und die Oper, welche die bürgerliche Mitte erreichten. Die Deutsche Oper Berlin hat Giuseppe Verdis Oper „La Traviata“ in dieser Saison auf den Spielplan gesetzt.

Marie Duplessis ist eine der berühmtesten Kurtisanen von Paris, und Dumas kann sogar auf eine Affäre mit ihr zurückblicken, als er ein Jahr nach ihrem Tod seinen Roman „La dame aux camélias“ veröffentlicht. Marie litt bereits im jungen Alter von 23 Jahren an Schwindsucht und erlag schließlich ihrem Leiden. Sie wird als eine der schönsten Damen ihrer Zeit beschrieben – unendlich elegant – und war deshalb sehr begehrt. Über sich selbst: „Warum ich mich verkauft habe? Weil ehrliche Arbeit mir niemals den Luxus erlaubt hätte, nach dem ich mich doch so sehnte. (…)“. Das Leben der Madmoiselle Duplessis war wohl äußerst flüchtig – wechselnde Liebhaber, die sie als Kokotte beeinflussen konnte, um sich schließlich zum Rang einer Demi-Mondaine zu erheben. Ihren Ruf besiegelte sie damit, dass Männer sich ihretwegen ruinierten – Dumas resignierte noch rechtzeitig und, so sagte er, erwirkte die Trennung.     
     
In Verdis Oper „La Traviata“ ist es die bezaubernde Violetta, welche dem Sohn des Giorgio Garmont, dem jungen Alfredo, die Sinne verwirrt. Noch in Liebschaft mit dem Baron Douphol lernt sie Alfredo kennen und gibt ihm eine Kamelie mit, die er, wenn sie verblüht ist, zurückbringen darf. Der erste Akt umspielt das Kennenlernen, die Verführung und die Eifersucht des bisherigen Liebhabers. Alfredo gesteht seine Liebe und Violetta ist hin- und hergerissen zwischen dem Impuls des Vergnügens und der Sehnsucht nach unbeschwerter Liebe.

Im zweiten Akt ziehen sich Violetta und Alfredo auf einen Landsitz zurück. Als Alfredo bemerkt, dass Violetta ihr Vermögen zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts verkauft, flieht er aus Verachtung in die Stadt. Sein Vater Giorgio Garmont nutzt die Gelegenheit, um Violetta die Trennung von seinem Sohn ins Gewissen zu reden. Er ist besorgt um den Ruf seiner Familie und die darum in Gefahr stehende Hochzeit Alfredos jüngerer Schwester Flora. Violetta schreibt schließlich den Abschiedsbrief.

SzenenbildDas zweite Bild selbigen Aktes ist ein Fest Floras, die einen Ball ausrichtet, auf dem die Männer in den Kostümen spanischer Matadore und die Frauen als Zigeunerinnen erscheinen. Wundersamerweise taucht auch Violetta an der Seite ihres neuen alten Liebhabers Baron Douphol auf. Es kommt zur ersten Herausforderung, wenn auch nur am Spieltisch, zwischen Alfredo und Douphol. Entrüstet springt Alfredo jedoch plötzlich auf und wirft das gewonnene Geld Violetta zu Füßen – als „Lohn für ihre Liebesdienste“.

Im dritten und letzten Akt verweilt Violetta verarmt in ihren Gemächern und leidet unter der sich intensivierenden Schwindsucht. Nur Dr. Grenvil besucht sie einmal täglich. Alfredo ist ins ferne Ausland gegangen, und ein Brief des Vaters Garmont bleibt Violetta als einzige Erinnerung. Schließlich offenbart Giorgio Garmont seinem Sohn die wahre Geschichte darüber, welches Opfer Violetta für die Familie erbracht hat. Doch trotz Alfredos Rückkehr und Bitten um Verzeihung versinkt Violetta in Hoffnungslosigkeit und Trauer. Nach der Übergabe eines Porträts als Erinnerung stirbt sie.

Es heißt, „La Traviata“ sei eine Oper des Sterbens. Sie ist zum Sterben schön. In der Tat hat sich Götz Friedrich als Regisseur für eine Inszenierung mit dem Tod als Mittelpunkt entschieden. Von Anfang bis Ende, durch alle Bilder hindurch, ist das Sterbebett Violettas präsent. Im Vorspiel liegt Violetta in ihren düsteren, gruftähnlichen Gemächern in weiße Laken und ein weißes Nachtkleid gehüllt auf ihrem Bett. Wie in Fieberträumen stürmt eine illustere Gesellschaft hinein und hinaus und verwandelt die Szenerie in eine unwirkliche Mischung aus Jenseits und Phantasie.

Auch in der Szene auf dem Land und bei Floras Ball ist die Sterbeliege präsent, wenn auch teils an den Rand gerückt. Es scheint also, als sei alles eine Spur von Traum – ein Rückblick in das Leben einer jungen Dame, die nun in völliger Einsamkeit dem Dasein entflieht. Violetta, verkörpert durch Dinara Alieva, lebte nach dem Bild „Wenn ich mich schone, sterbe ich erst recht. Was mich hält, ist gerade, dass ich wie im Fieber drauf los lebe. (…) [Ist die Attraktivität vergangen, sind wir verlassen] und lange Abende stellen sich ein nach langen Tagen.“ Alfredo Germont (Georgy Vasiliev) und Giorgio Germont (Etienne Dupuis) erscheinen in ebenso schlichter Tracht wie Violetta. Einzig Flora (Rachel Hauge) fällt durch ihren extravaganten Stil und die mutige Bühnenpräsenz auf. Wenn sie nicht gar etwas Teuflisches im Vergleich zu Violetta hat, die doch in schlichtes Weiss gehüllt auch eine Form der Unschuld verkörpert. So ist sie auch maßgeblich Opfer ihrer Selbst und Ihrer Schönheit. Wie sprach das Original zum Libretto – Marie Duplessis: „Dabei bin ich weder verderbt noch neidisch. Ich wollte nur die Freude, die Genüsse und die Feinheiten einer eleganten und kultivierten Umgebung kennenlernen…“.

Neben Libretto und Darstellung stehen selbstverständlich auch der Gesang und die orchestrale Umsetzung im Zentrum der Oper. Die Leitung des Orchesters der Deutschen Oper gelingt Gérard Korsten mit seiner großen Empathie für das Stück in seiner wechselnden Dynamik der Szenen sehr überzeugend. Besonders eindringlich sind die luziden Streicherklänge des Vor- und Nachspiels. Sie lassen die Grenzen zwischen Leben und Tod, Wirklichkeit und Traum sowie Sehnsucht und Not verschwimmen. Durchgehend erscheint Verdis Komposition sehr leicht und fluoreszierend, stehts um Zurückhaltung bemüht, um dem Geschehen auf der Bühne den Fokus der nötigen Aufmerksamkeit zu überlassen. Das Erlebnis der gesanglichen Kraft und des Ausdrucks mag auch immer eine ganz persönliche Erfahrung sein. Es kann jedenfalls mit Nachdruck berichtet werden, dass das Publikum die Opernsänger in den Hauptrollen mit tosendem Applaus beglückt und höchst respektvoll verabschiedet hat.                              
                                                                                 
Malte Raudszus

 

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