Don Winslow: „Vergeltung“

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Ein Thriller über den modernen Terrorismus.

Dave Collins war lange Zeit Elite-Soldat in verschiedenen Spezialeinheiten des US-Militärs und hat im Irak und in Afghanistan gekämpft. Dort hat er den Terrorismus in all seinen Facetten kennengelernt und die Scheu vor dem Töten verloren. Nun hat er sich auf den Job eines Sicherheitsverantwortlichen am Flughafen JFK in New York zurückgezogen und genießt sein Privatleben mit Frau und kleinem Sohn. Da stürzt kurz nach dem Start ausgerechnet die Boeing 747 ab, mit der seine Frau und sein Sohn zum Weihnachtsfest bei  den Schwiegereltern fliegen wollten. Es gibt keine Überlebenden, und beim Absturz auf einen viel befahrenen Autotunnel kommen auch noch Hunderte von New Yorker Autofahrer ums Leben.

1403_vergeltungDie Untersuchungen der TSA (Transport Security Administration) kommt zu dem Schluss, dass sich durch einen Kabelschaden ein explosives Gemisch im Tank entzündet und zur Explosion geführt hat. Doch Collins erfährt bald durch Augenzeugen andere Dingen, so, dass eine Rakete von einem Boot in einem kleinen Hafen gestartet worden sei. Ein Fischer berichtet von einem Trümmerstück, dass ganz anders ausgesehen habe als bei der Prsäsentation durch die Untersuchungsbehörden. Diese Berichte gelangen über Dritte zu Collins, die ihn nicht nur als Betroffenen sondern auch als Kämpfer für „Gesetz und Recht“ kennen. Schnell kommt Collins zu der Erkenntnis, dass hier etwas verheimlicht wird, und geht der Sache nach.

Der Leser erfährt aus der höheren Sicht des Erzählers, dass die maßgeblichen Stellen mit allen Mitteln den Eindruck eines Terroraktes vermeiden wollen, da diese niederschmetternde Erkenntnis politisch nicht zu vermitteln wäre. Bald haben diese Stellen auch Collins und seine Nachforschungen im Visier, und als er mit Hilfe der anderen Hinterbliebenen und deren Abfindungssummen eine Aktion zur Aufklärung des Unglücks und Bestrafung der Schuldigen ankündigt, greifen die Behörden rigoros ein.

Im „echten“ Leben würde die Geschichte hier enden, weil man Collins mit allen – legalen und illegalen – Mitteln aus dem Verkehr ziehen würde. In diesem Roman gelingt es ihm jedoch, einem Heer von Verfolgern und Bewachern in bester Bond-Manier ein Schnippchen zu schlagen und sich allen Nachstellungen zu entziehen. Doch schon hier sieht man den Unterschied zu den frühen Bond-Filmen, die immer ein Stück Selbstironie enthielten, frei nach dem Motto: „Das ist doch alles nur modernes Märchen und Unterhaltung“. Diese Jagd „Alle gegen Einen“, bei der natürlich der Eine gewinnt, ist jedoch frei von Ironie und Humor. Winslow spürt intuitiv, dass Ironie den typischen Leser nur verunsicher würde. Der Leser – und hier ist einmal wirklich der männliche Leser gemeint – will sich mit dem Helden als omnipotentem Rächer für alle Ungerechtigkeit identifizieren können, und da stört Selbstironie nur. Also müssen die Leser Collins´ reichlich unwahrscheinliche Flucht und seine Unbesiegbarkeit als notwendigen Teil eines spannenden Thrillers hinnehmen.

Collins kennt aus alten Tagen noch andere ehemalige Elite-Soldaten. Einer von ihnen hat aus solchen Ehemaligen eine internationale Söldnertruppe gebildet, die für Geld alle „impossible missions“ erfolgreich ausführt. Auch dabei geht es Winslow nicht um geschriebenes Recht und Gesetz sondern darum, dass endlich einmal jemand die Probleme löst, die die – seiner Meinung nach – feigen und nur in wahltaktischen Dimensionen denkenden Politiker unter den Teppich kehren. Und da Winslow mit seiner Geschichte natürlich nicht auf der falschen Seite stehen will, nimmt er den Terrorismus als Grundlage, der sich ja bekanntlich hauptsächlich gegen die USA richtet und daher per definitionem „böse“ ist. Aus diesem Blickwinkel sind dann auch die Gewalt in all ihren Spielarten und der Bruch internationaler Regeln und Gesetze legitim; denn es geht ja darum, das Böse auszurotten und das Gute zu retten.

Man muss den Roman deshalb nicht durch die ideologische Brille sehen und dem Autor seinen literarischen Vergeltungsschlag vorwerfen; man sollte sich aber der Tatsache bewusst sein, dass der auf die Spannung der „tödlichen Action“ ausgerichtete Thriller nicht auf völkerrechtliche und nationale Gesetze oder grundlegende ethische Regeln Rücksicht nehmen kann. Anders ausgedrückt: dieser Roman ist kein juristischer oder ethischer Essay, dafür aber ausgesprochen spannend.

Die Truppe um Collins muss gegen zwei Fronten kämpfen: einmal gegen die muslimischen Terroristen, die nach ihrem ersten Erfolg noch furchtbarere Aktionen planen und über umfassende Ressourcen an Geld und Material verfügen, und gegen die US-Behörden, die die Söldner-Aktion unbedingt verhindern wollen, um sich nicht international zu blamieren. Der smarte Anführer der Terroristen, kein langbärtiger Salafist in muslimischer Kleidung sondern ein Technokrat der neuen Generation im Maßanzuzg, hat eine klare Vision sowohl seiner persönlichen als auch der islamischen zukünftigen Macht und und verfolgt seine Ziele mit äußerster Konsequenz. Von seinem effizienten Nachrichtendienst erfährt er auch bald, dass ihn die Söldnertruppe verfolgt.

Jetzt beginnt ein Zweikampf, der sich nur mit einem Schachspiel vergleichen lässt. Zwar setzen beide Seiten konsequent auf Gewalt, um die jeweilige andere Seite zu vernichten, aber sie wissen auch, dass ein offener Krieg zweier völkerrechtlich nicht autorisierter Kombattanten nicht möglich ist. Also stellen sie sich gegenseitig Fallen, in die es den Gegner hineinzulocken gilt. Und auch die US-Behörden – natürlich wiederum clandestin! – spielen hier mit, wenn  auch nicht ganz so kompromisslos, weil sie sich bis zu einem gewissen Grad mit dem Völkerrecht und den internationalen Regeln arrangieren müssen.

Zwar beginnt jede Aktion gegen die Schuldigen der Flugzeugkatastrophe mit strategischen und taktischen Überlegungen sowie deren Vorbereitung, es endet jedoch jedes Mal in einer Gewaltorgie, in der die menschlichen Figuren nur so purzeln und diverse Glieder und Organe und schließlich ihr Leben verlieren. Dabei führt Winslow das gesamte Waffenarsenal heutiger infanteristischer Kriegführung vor. Intelligente Munition, die selbst ihr Ziel sucht, Panzerabwehrwaffen, die auch die ausgefeiltesten Abwehrmechanismen eines Panzers überwinden, Maschinengewehre mit einer unglaublichen Feuerrate und Sprengstoffe, die keine Befestigung stehen lassen. Winslow feiert eine wahre Orgie der Gewalt, der Explosionen und des Dauerfeuers, die er aber geschickt orchestriert und langsam steigert. Werden die Hilfskräfte des Flugzeugattentats noch in einer vergleichsweise moderaten Aktion zur Strecke gebracht, steigern sich die Anforderungen in jeder Hinsicht, je näher die Gruppe dem Chef der Terroristen kommt. Sowohl der Waffeneinsatz als auch die persönlichen Anforderungen an die Söldner – unter anderem ein Fallschirmsprung aus 9000 Metern – steigern sich von Kapitel zu Kapitel und damit auch die Spannung.

Die Söldner sind eine verschworene Gemeinschaft, die einander aus der Erfahrung früherer Einsätzen blind vertrauen, niemals aufgeben und auch noch in der ausweglosesten Situation eine Lösung wissen. Sie haben „das Herz auf dem rechten Fleck“ und bieten sich geradezu als Identifikationsobjekte an. Allerdings ist der Autor klug genug, sie als internationale Truppe  zu konstruieren und nicht nur als eine Gemeinschaft unbesiegbarer US-Bürger. Da sind der deutsche KSK-Mann, der ehemalige britische SAS-Kämpfer, ein israelischer Einzelkämpfer und sogar ein Palästinenser. Die Spannung zwischen letzteren beiden wird dabei gründlich ausgespielt, endet aber in einer posthumen Verbrüderung. Fast allen sind menschliche Größe und Edelmut eigen, die sich in ihrer Tapferkeit und Todesmutigkeit zeigen. Hier transportiert Winslow eine ganze Menge Klischees, wie wir sie noch aus den Landser-Heften kennen, aber er weiß, dass eben diese Klischees sich zur Identifikation seitens der (männlichen) Leser sehr gut eignen.

Überflüssig zu sagen, dass das „Gute“ am Ende ganz, ganz knapp siegt, aber dann richtig, und dass die „Bösen“ alle zur Hölle fahren. Man kann dieses Buch mit Abstand lesen, auch mit einem gewissen Widerwillen, aber eines kann man nicht: die Spannung bestreiten, die sich im Laufe des Romans immer weiter steigert und sogar ganz am Schluss, wenn die Schlacht schon geschlagen scheint, noch einmal einen letzten „Cliff Hanger“ produziert. Wer sich – zum Beispiel am sommerlichen Strand – gut unterhalten will, der findet hier eine spannende Lektüre. Er wird das Buch bis zur letzten Seite nicht mehr aus der Hand legen.

Das Buch „Vergeltung“ ist im Suhrkamp-Verlag unter der ISBN 978-3-518-46500-4 erschienen, umfasst 491 Seiten und kostet 14,99 e.

Frank Raudszus

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