Anthony McCarten: „Funny Girl“

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Roman über die wundersame Karriere einer jungen muslimischen Frau.

Die zwanzigjährige Azime lebt mit ihren kurdischen Eltern und Geschwistern in dem Londoner Bezirk Hackney und folgt brav den strengen Sitten ihrer Familie, die einst vor den Verfolgungen der Türken nach Westeuropa floh. Sie arbeitet im Möbelgeschäft ihres Vaters mit und erwehrt sich mit viel List und Hartnäckigkeit aller der Heiratskandidaten, die ihre Mutter für viel Geld anschleppt. Denn obwohl sie keine feste Vorstellung ihres künftigen Lebens hat, will sie auf keinen Fall irgendeinen ungeliebten Mann heiraten und sich künftig nur der Familie widmen. Da sie eine witzige Ader besitzt, notiert sie auf ihrem Computer in der Firma immer wieder lustige Einfälle oder ironisch-satirische Bemerkungen über ihre Umwelt, vorzugsweise über die Doppelmoral der muslimischen Männer.

1410_funny_girlMehre aus Langeweile denn aus Interesse begleitet sie einen Freund zu einem Comedian-Kurs und gewinnt Spaß daran. Als sie sich bei einer Proberunde selbst beteiligt, erntet sie gleich Applaus und Lob. Ihrem Vater gegenüber muss sie diese Besuche jedoch verheimlichen, weil eine muslimische Frau abends nicht allein ausgeht und schon gar nicht öffentlich „Witze reißt“. Während sie einerseits ihrem langweiligen Alltag mit Büroarbeit, häuslichem Herumsitzen und intelligentem Abwimmeln von Heiratskandidaten nachgeht, tritt sie heimlich in kleinen Lokalen als Komikerin auf, wobei sie sich zur Tarnung in eine Burka kleidet. Was sie nicht ahnt, ist, dass ein Reporter einer größeren Zeitung ihren Auftritt sieht, davon begeistert ist und einen entsprechenden Artikel einschließlich ihres vollen Namens schreibt, den ihr vollmundiger Bekannter und selbsternannter „Manager“ dem Journalisten verraten hat.

Am nächsten Tag ist zu Hause die Hölle los, da sie alle Regeln für das öffentliche Auftreten einer Muslima gebrochen hat. Hausarrest – für eine Zwanzigjährige! – ist da noch die geringste Strafe. Sie muss sich sogar die Beschimpfung und eine Ohrfeige ihres pubertären Bruders gefallen lassen, der vom Vater die Aufgabe erhält, Azime künftig zu überwachen. Doch Azime wäre nicht Azime, ließe sie sich so leicht einschüchtern. Doch ein Überfall wütender junger Muslime nach einem Auftritt und wüste Drohungen über das Internet lassen sie schwanken. Zum ersten Mal verspürt sie so etwas wie eine existenzielle Bedrohung. Sowohl die Angst als auch die harschen Vorwürfe und strengen Vorschriften ihrer Eltern lassen sie ernsthaft überlegen, mit der öffentlichen Komik aufzuhören, aber sowohl ihr Kollege als auch ihre Lehrerin ermutigen sie, sich den Mund nicht verbieten zu lassen.

Wie in einem guten Roman üblich, eskaliert sie Situation sowohl familiär als auch öffentlich, so dass Azime schließlich eine Entscheidung treffen muss. Dazu kommen noch zwei Parallelhandlungen, die sie letztlich entscheidend beeinflussen. In dem einen Fall geht es um eine ehemalige Klassenkameradin – auch Muslima -, die wegen einer unstatthaften Liebe zu einem Nicht-Muslim vom Balkon der elterlichen Wohnung im achten Stock „gestürzt“ ist. Niemand weiß Genaueres, und alle im Viertel schweigen. Der andere Fall betrifft ihre beste Freundin, die verheiratet ist und sich von ihrem Ehemann alles gefallen lässt, vom Einsperren bis zur Tätlichkeit. Nach einige Gesprächen mit den Beteiligten an diesen Vorfällen steht ihr Entschluss fest, sich nicht brechen zu lassen, sondern ihren Weg zu gehen und ihre Meinung öffentlich zu sagen.

Dem Autor geht es dabei nicht nur um die strengen Regeln in muslimischen Familien und die Unterdrückung der Frau, sondern auch um die Vorurteile der Nicht-Muslime und ihre tendenzielle Ausgrenzung aller Fremden mit ungewohnten Sitten und Gebräuchen. Die Ghetto-Bildung der einzelnen Ethnien greift der Autor zwar nicht als offiziellen Vorwurf an die Behörden auf, er schwingt jedoch in allen Äußerungen der Protagonisten mit. In Azimes Auftritten als Komikerin findet McCarten viele Gelegenheiten, die Eigenarten und Vorurteile alle Beteiligten aufs Korn zu nehmen.

Adriana Altaras und Rufus Beck lesen diese Geschichte mit viel Anteilnahme, ja Herzblut. Dabei vermeiden sie konsequent jegliches Klischee, etwa gebrochene Ausdrucksweise, und verleihen allen Figuren menschliche Züge, selbst der größte Heuchler ist bei ihnen kein Bösewicht, sondern ein fehlgeleiteter Mensch. Eine wirklich hörenswertes Hörbuch mit viel Komikpotential und Spannung.

Das Hörbuch „funny girl“ ist im Diogenes-Verlag erschienen, umfasst 8 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 615 Minuten und kostet 24,90 €.

Frank Raudszus

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