Castorfs langer Schatten

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Die Kammerspiele des Staatstheaters Darmstadt bringen Schillers „Räuber“ als lautstarke Groteske.

Über Schillers „Räuber“ lässt sich sicherlich kontrovers diskutieren. Das Erstlingswerk des großen Idealisten weist zwar einigen pathetischen Schwung und auch revolutionäres Feuer auf, doch lassen sich auch typische dramaturgische Schwächen erkennen. Die revolutionäre Stoßrichtung ist – wohl im Hinblick auf die Zensur – kaschiert durch einen individuellen Bruderkonflikt, und manche Figuren – so etwa Amalia – dienen nur als dramaturgische Füllmasse. Daher kann man dieses Stück natürlich nicht mehr mit der spontanen Naivität des 19. Jahrhundert aufführen, sondern muss es aus anderer Perspektive interpretieren. In Frankfurt hat Regisseur Peter Kastenmüller vor zehn Jahren eine moderne Umgebung mit Rockband und „coolem“ Karl gewählt, in Darmstadt nun setzt Regisseur Christoph Bornmüller – im Kielwasser Frank Castorfs – auf eine expressive Groteske mit plakativen Effekten. Dabei dekonstruiert er Schillers idealistisches Pathos sowohl szenisch als auch sprachlich.

Jeanne Devos, Jannik Nowak, Samuel Koch

Jeanne Devos, Jannik Nowak, Samuel Koch

Bereits das Bühnenbild zeigt, wo die Reise dieser Inszenierung hingeht. Das Bühnenbild von Claudia Charlotte Burchard besteht im wesentlichen aus übereinander gestapelten Pappkartons im XXL-Format, ergänzt durch einen weißen Schaukelstuhl und zwei Gartenstühle, ohne jeglichen Hinweis auf den historischen oder gesellschaftlichen Kontext. Am linken Bühnenrand sorgen einige musikalische Requisiten für die akustische Untermalung der jeweiligen Szenerie. David Kirchner betreut dieses Ensemble und spielt nebenher auch noch den Kosinsky. Die Kostüme verweisen die Figuren ebenfalls in das Reich der grotesken Archetypen ohne individuelle charakterliche Kontur. Nicolas Fethi Türksever erscheint als Franz von Moor gleich in der ersten Szene in einer seltsamen Mischung aus Bomberjacke, hautenger, knapp knielanger Lacklederhose, Kniestrümpfen und Schnürstiefeln. Äußerlich eher ein bayrisch angehauchter Punk denn ein eiskalt kalkulierender Intrigant. Ähnlich der alte Moor: Jörg Zirnstein sieht in seinem goldenen Overall und dem blauen Mantel mit Ärmelstreifen darüber ein wenig wie der Türsteher eines drittrangigen Etablissements aus und karikiert die Figur des Vaters damit von Beginn an als reine Abziehfigur. Die maskenhaft geschminkten Gesichter vervollständigen das Grundraster dieser Inszenierung.

Jörg Zirnstein, Maria Radomski, Nicolas Fethi Türksever

Jörg Zirnstein, Maria Radomski, Nicolas Fethi Türksever

Sprache und Spiel bestätigen und komplettieren diesen ersten Eindruck. Bornmüller hat Schillers Sprache durch einen beträchtlichen Anteil eigener Zutaten „angereichert“. Dazu gehören nicht nur Einprengsel aus dem heutigen Yuppie- und Straßenjargon à la „klar, machen wir“ oder „okay, okay“, sondern auch ganze Einschübe fremder, d. h. regie-eigener Texte. So regt sich Jörg Zirnstein – hier offensichtlich bewusst als Schauspieler außerhalb der Fiktion agierend – über die Verwechslung von „Blut“ und „Samen“ in Schillers Text auf, wodurch er natürlich, und wohl auch beabsichtigt, entsprechende sexuelle Assoziationen weckt. Aus dieser Suada muss ihn dann sein Kollege Türksever – nicht Franz von Moor! – mit einem „nun reicht´s aber“ herausreißen.

Schon nach dieser ersten Szene klärt sich die Stoßrichtung dieser Inszenierung. Es geht Bornmüller offensichtlich nicht darum, sich mit dem Inhalt des Stücks ernsthaft auseinanderzusetzen oder ihm eine neue Deutung zu verleihen. Hier geht es vielmehr darum, einer jungen Zielgruppe das zu geben, was sie vermeintlich sonst nur in Fernsehserien oder Kino-Blockbustern findet: Action, vordergründigen Spaß und die grobe Karikatur jeglicher Ernsthaftigkeit. Offensichtlich hat er die von bestimmtem Kreisen geäußerte – und durchaus diskussionswürdige – Theorie, unsere Spaßgesellschaft amüsiere sich zu Tode, ernst genommen und „gibt diesem Affen nun Zucker“.

Nicolas Fethi Türksever, Maria Radomski

Nicolas Fethi Türksever, Maria Radomski

Denn in diesem Stil setzt sich die Inszenierung fort. Wenn Amalia (Maria Radomski) auf der Bühne erscheint, dann nicht, wie bisher üblich, als still liebende und leidende junge Frau mit Grundsätzen, sondern als egozentrisches, verbal ungeniertes und angriffslustiges „It Girl“, das eher den besten Deal als den Mann fürs Leben sucht. Man nimmt ihr die leidende Liebe zu Karl nicht ab und wundert sich, was sie eigentlich gegen eine Heirat mit dem neuen Chef des Hauses Moor hat. Hier läuft Bornmüllers Personenregie voll gegen Schillers Text. Im Falle Amalia ist dies jedoch nur eine Randnotiz, da diese Figur sowieso nur als dramaturgische Randexistenz zu verstehen ist.

Anders verhält es sich mit Karl Moor, den hier Jannik Nowak spielt. Es wäre unfair zu behaupten, dass er äußerlich eher als Franz durchgehen würde, jedoch sind die Rollen in gewisser Weise (wieder einmal) überkreuzt besetzt worden: Nicolas Fethi Türksever – ein sportlicher und ausgesprochen gut aussehender junger Mann – nimmt man den – so oft und deutlich beschworenen! – hässlichen, missgestalteten Franz einfach nicht ab. Jannik Nowak ist sicherlich nicht hässlich, aber er hätte den Franz sicher wesentlich glaubwürdiger verkörpern können. Auch diese „Vertauschung“ der Rollen mag im Sinne der bereits erwähnten Dekonstruktion Schillers durchaus beabsichtigt sein. Und der Nowak lässt den Bornmüller nicht verkommen: er spielt den Karl nicht als edlen Räuber, der nur aus der seelischen Not zum Kriminellen wird, sondern als Choleriker, der sich schnell – und frei nach Castorf – über alles aufregt und seine Wut bei jeder Gelegenheit aus sich herausschreit. Es wäre ja mal eine Idee, Karls Übertritt ins Reich der Illegalität psychologisch oder (gesellschafts)politisch neu zu deuten. Doch das passt nicht in Bornmüllers Schiller-Räuber-Bild, das nur noch aus Fragmenten der traditionellen Komposition besteht. Nicht das „warum“ von Karls Entwicklung ist wichtig, sondern lediglich die Aktion und der arg strapazierte, weil laut herausgeschrieene Ruf nach „Freiheit“. Es sei noch einmal erwähnt, dass Schillers Stück keinerlei inhaltlichen Verweise auf staatliche Repression enthält und dass Karl Moors hohes Freiheits-Pathos daher ein wenig im luftleeren Raum schwebt. Nur unser Wissen um die Zeit und Schillers Biographie im Vorfeld der „Räuber“ schließt die Lücke zwischen Familiendrama und revolutionärem Ausbruch.

Jeanne Devos, Samuel Koch, Jannik Nowak

Jeanne Devos, Samuel Koch, Jannik Nowak

Auch in dieser Darmstädter Inszenierung darf natürlich – man denke an „Romeo und Julia“ – eine echte „Crossover“-Besetzung nicht fehlen. Jeanne Devos spielt Karl Moors mordgierigen Kumpanen Spiegelberg zwar mit viel Elan und Präsenz, ist aber dennoch eine Fehlbesetzung. Man nimmt dieser eleganten weiblichen Erscheinung mit blauer Pagenperücke den saufenden und mordenden Verweigerer jeglicher moralischen Grenzen einfach nicht ab. Und wenn Moor und Spiegelberg zusammen über den traurigen Lauf der Welt philosophieren und Spiegelberg von einer Karriere als rücksichtsloser Revolutionär schwadroniert, dann wird das zwischen Jannik Nowak und Jeanne Devos zu einem neckischen Duett mit erotischem Beigeschmack. Auch hier geht die Inszenierung großzügig über den Text weg, der zweifellos die unterschiedlichen Befindlichkeiten zweier ins Kriminelle abgleitenden Männer beschreibt.

Wenn sich die Dinge zu wenden beginnen – im Grunde genommen nur durch Karl Moors rebellierendes Gewissen nach dem Abfackeln der Stadt samt Frauen und Kindern -, löst sich auch die Wand aus Pappkartons auf. Aus einem fällt dann der vermeintlich tote Maximilian von Moor, den Franz schon in einem Behelfssarg zur Seite geschafft hatte, seinem geliebten Sohn Karl vor die Füße. Auch diese von Schiller rührend gemeinte Szene gerinnt bei Bornmüller zum Slapstick-Tod des Alten. Betroffenheit kommt im Publikum nicht auf, weil hier nur ein wimmernder Wurm aus dem Pappkarton verendet. Und auch das Ende mit Amalias Gnadentod von Karls Hand wirkt nicht ergreifend sondern knackig wie im Showdown eines US-Thrillers: zappelnde Beine – dann Ruhe. Dagegen bringt sich Franz von Moor hier noch mit einer gewissen Grandezza in der Umhüllung eines weißen Vorhangs um, aus dem unten nur noch die Beine heraushängen.

Christoph Bornmüller ist es gelungen, Schillers Stück vollständig in seine Einzelteile zu zerlegen und Charaktere wie Handlungselemente genüsslich zu denunzieren. Nichts ist ernst gemeint, alles möglich und letztlich sowieso egal, das scheint die „Moral von der Geschicht“. Die Dekonstruktion ist vollbracht, nur dabei nichts Neues entstanden. Die Darsteller tun noch ihr Bestes, aus dieser forcierten Farce etwas zu machen, doch es will nicht so recht gelingen.

Frank Raudszus

 

 

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