Die Angst des Models vor dem Daumen

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Jana Zöll trägt bei den Barfestspielen des Staatstheaters Darmstadt Theresia Walsers Monolog „Kleine Zweifel“ vor.

Jana Zöll in der Bar der Kammerspiele

Jana Zöll in der Bar der Kammerspiele

Diese Inszenierung in der Bar der Kammerspiele stellt eine Besonderheit dar. Die „Barfestspiele“ sind meist Ein- oder Zweipersonenstücke mit extremer Nähe zum Publikum. Das übt natürlich einen großen Reiz aus, birgt aber auch Risiken. Die bestehen in diesem Fall in der Person der Darstellerin. Wie in Darmstadt allgemein bekannt, ist Jana Zöll bei normaler Kopfgröße extrem kleinwüchsig. Bei Inszenierungen im Kleinen Haus oder auch in den Kammerspielen mit einem mehrköpfigen Ensemble werden die Zuschauer nicht unmittelbar mit dieser Besonderheit konfrontiert, bei den Barfestspielen jedoch schon. Jana Zöll selbst und die Theaterleitung sind dieses Risiko jedoch eingegangen, und der Erfolg gibt ihnen Recht. Es lohnt sich wirklich, diesen Monolog einer Frau aus unmittelbarer Nähe zu erleben.

In der Bar der Kammerspiele wurde extra für dieses Stück eine Rampe installiert, auf der Jana Zöll mit ihrem Rollstuhl auf den Tisch der Bar rollen kann. Dort sitzt sie knapp einen Meter vor den Zuschauern und nutzt diese Nähe dazu, eben diese in ihr Spiel einzubeziehen. Und das macht sie so gut, dass einerseits ein Reiz davon ausgeht, es andererseits aber nie peinlich für die so Angesprochenen wird.

1511_kleine_zweifelEine junge Frau beteiligt sich an einem Gesangswettbewerb – Sorry: „Song Contest“. Die ewige, zermürbende Warterei auf ihren Auftritt zusammen mit den anderen Bewerberinnen treibt sie hinaus ins Freie, um Luft zu schnappen. Dort trifft sie auf einen Mann, den sie einfach anspricht, um ihr aufgewühltes Innenleben loszuwerden. Lang und breit erzählt sie ihm von dem Wettbewerb, den anderen Bewerberinnen und ihrer eigenen Position. Vordergründig steht sie über den Dingen und macht sich über die Eigenarten ihrer Konkurrentinnen lustig. Zwischendurch singt sie dem anonymen Gesprächspartner sogar ihre Lieder vor, nur um sie schnell zu ironisieren und nur nicht zugeben zu müssen, dass die Situation für die existenzielle Züge trägt. Die mit Ängsten und Unsicherheiten aufgeladene Situation hat für sie ganz plötzlich eine neue, schärfere Perspektive entwickelt: die Jury hat ihr mitgeteilt, man habe bei ihr noch „kleine Zweifel“. Natürlich marginalisiert sie diese „kleinen Zweifel“ und deutet sie eher positiv, da nun die Aufmerksamkeit auf ihr liege. In Wirklichkeit wachsen diese „kleinen Zweifel“ in ihrem Inneren von Minute zu Minute weiter und überschatten den gesamten Monolog. Immer wieder kommt sie auf diese zwei Worte zurück, und die vorgeschobene Bagatellisierung will immer weniger gelingen. Zur Beruhigung greift sie anfangs in kurzen Abständen, dann öfter nach dem Flachmann und nimmt einen kräftigen Schluck, was ihre Formulierungen nicht unbedingt abgewogener erscheinen lässt und ihrem emotionalen Haushalt überhaupt nicht gut tut. Langsam aber stetig steigert sich ihre emotionale Erregung, und dabei lässt sie ihr halbes Leben samt Eltern und – echten oder vermeintlichen – Liebhabern Revue passieren. Auch die Mitbewerberinnen erfahren „in absentia“ immer schärfere Charakterisierungen, und zunehmend sieht sie auch hinter jeder harmlosen Bemerkung oder Handlung der Jury oder deren Sekretärin  verschwörerische, hinterhältige Absichten. Dabei wartet sie unterschwellig wie gebannt immer auf das Signal für ihren Vortrag. Als dieses bis zum Ende des Monologs nicht erfolgt ist, weiß der Zuschauer, dass es – frei nach Kafka – nie kommen wird und sie ewig vor den Toren der unbekannten Jury wird bangen müssen. Doch sollte dieses Signal kommen, wird sie aufgrund ihrer psychischen Situation kläglich versagen.

Theresia Walser hat in diesem Monolog offensichtlich ihrer eigenen Erfahrungen bei dem Aufbau einer künstlerischen Karriere verarbeitet und zeigt anschaulich, wie die Sehnsucht nach dem großen Erfolg die Seelen verbiegen kann und wie schwächere Charaktere daran scheitern können. Jana Zöll trägt den einstündigen Monolog mit Bravour und zeitweise zwingendem Augenkontakt zu einzelnen Zuschauern vor, so dass sich niemand ihrem Einfluss entziehen kann. Neben der Gedächtnisleistung sind vor allem die vielfältige Mimik und die stimmliche Variation hervorzuheben, die beide dazu beitragen, dass man am Ende nicht mehr die Darstellerin sondern nur noch die leidende Wettbewerbsteilnehmerin vor sich sieht.

Frank Raudszus

 

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