Abgründe zwischen Schwarz und Weiß

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Mozarts „Don Giovanni“ in einer neuen Inszenierung des Staatstheaters Darmstadt.

Wenige Opern haben die Gemüter so bewegt und die Dikussionen so angeheizt wie Mozarts „Don Giovanni“. Mag sein, dass manche – modernere – Opern aktuelle Zeitumstände provokanter oder schärfer thematisieren, in der Mehrdeutigkeit jedoch kommen wenige an diese wohl bedeutendste Oper Mozarts heran. Nicht umsonst wurde sie zu ihrer Zeit als „Oper aller Opern“ bezeichnet. Deshalb auch finden Neu-Inszenierungen dieses Werkes besonderes Interesse.

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Christoph Begemann (Leporello) und Janice Dixon (Donna Elvira)

Im „Don Giovanni“ wächst vieles zusammen, was nach klassischer Opernsicht nicht zusammen gehört. So war die „Opera seria“ – die ernste Oper – thematisch immer den höheren Gesellschaftsschichten – vorzugsweise dem Adel – gewidmet, denn tiefe Gefühle waren kein Attribut der einfachen Leute, und der Versuch, so etwas zu behaupten, hätte die meist adligen Zuschauer brüskiert. Das Volk wiederum kam hauptsächlich in der „Opera buffa“, dem mal lustigen, mal derben Singspiel zu Wort. Mozart jedoch vermengte diese beiden Welten in einer Oper, die er auch noch „Opera jocosa“ nennt. Im „Don Giovanni“ wechseln sich burleske, handfeste Szenen mit solchen tiefster Seelenpein und höchster Liebessehnsucht ab. Mal ist einem zum Lachen, mal zum Weinen zumute.

Und noch etwas Neues wagten Mozart und Da Ponte, sein Librettist. Sie führten den Typ des schrankenlosen, außerhalb aller Ordnung stehenden Libertins ein, der nur dem Augenblick lebt und seine gesellschaftliche Stellung skrupellos bis zur Neige auf Kosten seiner Mitmenschen auslebt. Jetzt versteht man auch, dass diese Oper an einem Ort wie Prag, weit ab vom Wiener Hof, Triumphe feiern konnte, während sie im Zentrum der Adelsmacht eigentlich nur Befremden auslöste.

Die Handlung sei hier noch einmal kurz zusammengefasst. Der Erotomane Don Giovanni ist maskiert nächtens bei der schönen Donna Anna mit eindeutigen Absichten eingestiegen und tötet im Duell deren zur Hilfe herbeieilenden Vater, den Komtur. Donna Anna bittet ihren Verlobten Don Ottavio um Rache an dem noch unbekannten Täter, während dieser sich mit seiner verflossenen Ehefrau Donna Elvira herumschlagen muss, die ihm überall hin folgt. Geschickt schiebt er sie seinem leidgeprüften Diener Leporello zu, der ihr dann genüsslich in der „Register-Arie“ die erotischen Erfolge seines Herrn vorblättert. Anschließend gerät Don Giovanni in eine Bauernhochzeit und beginnt sofort, die junge Braut Zerlina zu umgarnen. Die vor dem bekannten „Reich mir die Hand zum Leben“ dahin Schmelzende wird gerade noch von der hinzukommenden Donna Elvira gerettet und aufgeklärt. Bei einem zufälligen Treffen mit dem bekannten Edelmann Don Giovanni erkennt Donna Anna in ihm den Mörder ihres Vaters und beschließt zusammen mit Don Ottavio, die Rache selbst in die Hand zu nehmen. Bei dem von Don Giovanni für die Hochzeitsgesellschaft veranstalteten Fest – eigentlicher Grund ist die Braut Zerlina – erscheinen die Rächer vermummt und entlarven Don Giovanni, doch ein aufkommendes Gewitter treibt die ganze Gesellschaft auseinander. Als Don Giovanni in Leporellos Kleidung auch noch Elviras Zofe verführen will – die fängt man nicht als Edelmann – und derweil der sichtlich überforderte Leporello als Don Giovanni mit Donna Elvira flirten muss, zieht sich die Schlinge zu. Der falsche Don Giovanni wird von der rächenden Truppe unter der Führung des fast gehörnten Bräutigams Masetto gefasst und entgeht dem Tod nur durch das Eingeständnis des Kleidertausches. Don Giovanni selbst hat – als Leporello – die Häscher auf seinen vermeintlichen Herrn gehetzt. Bei einem zynischen Gelage am Grabe des Komturs lädt Don Giovanni dessen lebensgroße Statue zum Abendessen ein und erhält eine deutliche vernehmbare Zusage. Ungerührt bereitet er das Gastmahl vor und lässt sich auch nicht von einem letzten Rettungsversuch Donna Elviras erschüttern. Schließlich tritt die Statue des Komturs durch die Tür und verdammt den bis zuletzt reuelosen und selbstbewussten Don Giovanni zur Höllenfahrt. Der abschließende Epilog der Überlebenden fasst dann noch einmal die „Moral von der Geschichte“ zusammen.

Nach der Ouvertüre ist das Bühnenbild der erste Eindruck einer Inszenierung. Das Sehen kommt vor dem Hören. In Darmstadt hat Hartmut Schörghofer eine bewusst enge Stadtkulisse mit einem Turm-Torso auf die Bühne gestellt, mit der er zwar den Spielraum auf eine kleine Fläche an der Rampe verengt, aber dennoch immer wieder Wege in das Innere der Kulissen eröffnet. Geschickt sucht sich vor allem Don Giovanni durch dieses Labyrinth immer wieder einen Zugang zu neuen Abenteuern und Fluchtwege aus prekären Situationen. Die Drehbühne verändert die Umgebung auch während der Handlung und gibt dadurch immer wieder andere Blickwinkel frei. Besonders beeindruckend zeigt sich die Kombination von Kostümen und Bühnenbild in den dramatischen Szenen mit dem Standespersonal – Donna Anna, Donna Elvira, Don Ottavio. Die schwarzen Gewänder vor weißen oder auch mal schwarzen Wänden spiegeln den katholischen Hintergrund der spanisch-österreichischen Kultur wider und verbreiten geradezu eine klerikale Beklemmung. Das Zeitkolorit wird durch die historischen Kostüme ausdrücklich unterstützt.

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Lorenzo Da Ponte, Librettist des „Don Giovanni“

Friedrich Meyer-Oertels Inszenierung verzichtet auf jegliche Zugeständnisse an Modernisierungsfreunde. Neben Bühnenbild und Kostümierung bleibt das Stück strikt in seiner Zeit und – seltsam – wirkt gerade dadurch zeitlos. Dies erreicht Oertel mit einer zugespitzten Konturierung der Charaktere. Da ist vor allen anderen Don Giovanni zu nennen, der hier nicht – wie so oft – als mehr oder minder akzeptabler Lebemann auftritt, sondern als skrupelloser, mit allen Wassern gewaschener Verführer. Dass es sich bei den Objekten seiner Begierde um Frauen handelt, ist fast nebensächlich. Im Mittelpunkt steht seine Gier, den Augenblick zu genießen, und seine Leugnung jeglicher Schranken. Insofern steht Don Giovanni auch für den skrupellosen Machtpolitiker oder Medienstar heutiger Tage, ohne das dies plakativ ausgebreitet werden muss. Werner Volker Meyer bringt diesen Wesenszug Don Giovannis meisterhaft zum Ausdruck, so wenn er nach zwei, drei „Augenblicken“ Zerlina mit geradezu professioneller Kunst und zynischen Lügen zu verführen trachtet, oder wenn er die wütende Donna Elvira vor aller Augen als verrückt darstellt. Sein Don Giovanni ist bis zum Schluss immer Herr der Lage, geht über Leichen, notfalls auch über die seines treuen Dieners Leporello, und hat Spaß daran, die Welt zum Tanzen zu bringen. Selbst der finalen Todesdrohung der Komturstatue tritt er noch lachend entgegen.

Als Gegenentwurf zu dieser Welt einer entgrenzten Libertinage baut Oertel das Trio um Donna Anna auf, die ihre beiden Gefährten Don Ottavio und Donna Elvira deutlich überragt. Im Gegensatz zur wütenden und doch liebenden Donna Elvira folgt sie einem Plan, für den sie Don Ottavio benötigt. Dieser soll nicht nur den Tod des Vaters rächen sondern auch die Flamme der erotischen Begierde löschen, die sie in Don Giovannis Augen entdeckt und in sich selber gespürt hat. Diese Begierde verstößt gegen den katholischen Sittenkodex und ist daher radikal zu vernichten. In Don Ottavio sieht Anna einerseits den willfährigen weil hingebungsvollen Vollstrecker, andererseits einen faden Langeweiler ohne das Feuer, das sie innerlich gefangen hat. Ihre geradezu überirdische Trauer und Rachsucht sind nur als selbstzerstörerischer Reflex einer erzkatholischen Erziehung zu verstehen.

Don Ottavio bleibt auch bei Meyer-Oertels Inszenierung der sittsame Spießer, wie wir ihn kennen, auch wenn er die gefühlvollsten Seufzer-Arien über die stets vertagte Erfüllung seiner Sehnsüchte von sich gibt. Donna Elvira dagegen ist ein wahres Pulverfass voller liebesgetränkter Wut. Bis kurz vor Don Giovannis Ende hofft sie noch auf seine Bekehrung und Rückkehr zu ihr. Auch die schlechteste Behandlung seitens des Wüstlings können dieser Liebe nichts anhaben. Diese beiden Frauen, und mit Abstrichen auch Zerline, stehen für den tief sitzenden Hang der Frauen zu skrupellosen Machos, den man noch heute beobachten kann.

Als dritte Gruppe stehen die Bauern für eine pragmatische und unverstellte Weltsicht. Vor allem Zerline lässt sich zwar durch die Möglichkeit, Schlossherrin zu werden, zur Untreue verleiten, gewinnt aber nach der Enttäuschung überraschend schnell ihre pragmatische Weltsicht zurück und erobert Masetto in einer betörenden Schmeichel-Arie wieder zurück. Als einzige der Frauen geht sie schadlos aus dem Geschehen hervor.

Bei Meyer-Oertel gewinnt der „Don Giovanni“ Dimensionen über eine moralische Lehrfabel hinaus. Hier tun sich Abgründe zwischen den weißen Mauern Spaniens und den schwarzen Kleidern der Edlen auf. Don Giovanni selbst trägt entweder schwarz oder weiß – außer wenn er seinen Diener imitiert – und dazwischen eröffnen sich Abgründe an Gemeinheit und skrupelloser Selbstverwirklichung auf. Dass diese am Ende scheitert, ist eher eine Randbemerkung, auslöschen lässt sich diese Grundhaltung nicht.

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Friedhof mit Komtur-Statue und Don Giovanni

Die ganze Inszenierung lebt von einem hohen Tempo, das sich weniger in der Abfolge der Szenen als in der Intensität der Gefühle dokumentiert. Die äußerst akzentuierte und konturierte Musik des Orchesters trägt wesentlich zu dem Gefühl der Verdichtung bei. Da kommt kein Akkord breit daher, von den ersten düsteren d-Moll-Akkorden der Ouvertüre bis zu den stürmischen, fast heiteren des Endes wirkt jeder wie gemeißelt. Die einzelnen Instrumente kommen transparent zur Geltung und unterstützen die Handlung durch ihre Dynamik wirkungsvoll. Obwohl die Musik nie dominiert und den Sängern genügend Raum gibt, scheint sie omnipräsent.

Die Akteure werden dem hohen Anspruch durchweg gerecht. Allen voran bilden Volker Werner Meyer als Don Giovanni und Christoph Begemann ein perfekt aufeinander abgestimmtes Paar. Beide werfen sich die Bälle zu wie Jongleure und scheinen sich blind zu verstehen. Meyer überzeugt jedoch nicht nur schauspielerisch als lustbetonter Zyniker sondern auch stimmlich, obwohl seine Rolle keine großen, gefühlsbetonten Arien zu bieten hat. Christoph Begemann spielt die Rolle des unterdrückten und doch bauernschlauen Dieners mit wahrer Wonne. Sein Leporello schimpft, poltert, klagt seinen Herrn an und schafft ihm doch Freiraum für seine erotischen Abenteuer. In jeder Szene spürt man den Spaß, den Begemann an dieser Figur hat. Herrlich die Register-Arie, mit der er Donna Elvira in subaltern-triumphierender Art die Wahrheit über ihren Gatten enthüllt. Auch er glänzt außerdem mit einer überzeugenden gesanglichen Leistung.
Mary Anne Kruger verleiht der Donna Anna den tiefen Schmerz und die ganze lyrische Breite, derer sie fähig ist. In den stillen, verzweifelten Momenten ihrer Figur überzeugt sie mit einer Intensität, die an diesem Abend auch den letzten Huster verstummen ließ, um in den Rache-Arien das gesamte Potential ihrer Stimme zu entfalten. Andreas Wagner als Don Attavio kann in dieser Rolle seinen strahlenden Tenor entfalten, der sich vor allem in den höheren Lagen durchsetzt. Es bereitete ihm sichtlich Vergnügen, sich wieder einmal dem Publikum mit einer großen Rolle präsentieren zu können. Als Dritte im Bunde der Rächer vertritt Janice Dixon als Donna Elvira den temperamentvollen Part. Ihre Wut und Enttäuschung wirken jederzeit wahrhaftig, genauso wie das Umkippen in Liebe und Hoffnung. Ihre Stimme strahlt eine durchdringende Kraft mit viel Fülle aus und wirkt dabei nie angestrengt.

Andrea Bogner spielt die Zerlina mit viel Leichtigkeit und einem fast spitzbübigem Zug. Ihre größten Momente sind das Duett mit Don Giovanni („Reich mir die Hand…“ ) und das Einfangen des durch – berechtigte – Eifersucht abgängigen Bräutigams Masetto. In beiden Szenen spielt sie ihr gesangliches wie schauspielerisches Können aus, das der Figur der Zerline ihre Glaubwürdigkeit verleiht. Jürgen Orelly als Masetto kann dagegen mehr als Schauspieler denn als Sänger brillieren, ist ihm doch keine große Arie vergönnt. Kurze Ausbrüche der Wut und der Eifersucht kennzeichnen diese Rolle, die Jürgen Orelly jedoch mit viel Gespür für die Situation meisterte.

Friedemann Kunder hat als Komtur nur zu Beginn eine kurze und am Schluss die statuarische Rolle zu spielen. Vielleicht hätte man diese Rolle – vor allem am Schluss – mit einen größeren Darsteller besetzen sollen, denn ihm fehlt die Wirkung der schieren körperlichen Größe. Außerdem wäre ein schlichteres Kostüm besser gewesen als die martialische Ritterrüstung, die eigentlich gar nicht zu der Zeit passt. Aber sei´s drum, dies sind kleinere Einwände, die den Gesamteindruck der Inszenierung nicht beeinträchtigten.

Die Jauch-Frage: "Wer ist wer?"

Die Jauch-Frage: „Wer ist wer?“

Bleibt noch der Chor zu nennen, der bis zur Pause seine Auftritte absolviert und die Hochzeitsgesellschaft darstellt. Diesmal sind vom Chor eher szenische als gesangliche Leistungen größeren Ausmaßes zu erbringen, was dem geübten Ensemble jedoch problemlos von der Hand geht.

Das Publikum zeigte sich begeistert und sparte schon bei den Szenen nicht mit Beifall. Bei den einzelnen Darstellern – vor allem Werner Volker Meyer, Christoph Begemann und Anne Mary Kruger – erklangen Bravo-Rufe, die dann für die Regietruppe unter Friedrich Meyer-Oertel und für das Orchester unter Raoul Grüneis noch einmal auflebten. Zum Schluss erhob sich das Publikum zu „standing ovations“, um anschließend diesen großen Opernabend in einhelliger Begeisterung bei der Premierenfeier ausklingen zu lassen.

Frank Raudszus

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