Einmal Deutschland für alle!

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Die Kabarettisten der Distel singen, tanzen und lassen lachen zu Deutschlands Wertekanon

Nun, da unser beschauliches Land täglich Flüchtlingsströme in ungeahnten Ausmaßen bei sich aufnimmt, ist es an der Zeit, noch einmal einen Blick auf unsere Kultur zu werfen. Wer sind wir eigentlich, und wie wirken wir nach eigenem Glauben auf die Welt und die, die zu uns kommen? Das Berliner Kabarett „Distel“ hat das Thema der deutschen Lebensweise aufgegriffen – bekannt unter Bürgerlichen als deutsche Spießigkeit, konservativ streng als deutsche Leitkultur bezeichnet oder modern und politisch korrekt als den deutschen Wertekanon. Wie auch immer man es nennt – typisch deutsch bleibt eben typisch deutsch. Gerade im vergangen Jahrzehnt ist Deutschland vom Erfolg verwöhnt worden – wirtschaftlich zu herausragender Stärke gewachsen und dann auch noch die Fußballweltmeister geworden. Und bei dieser für manch nichtdeutschen Weltbürger ehrfürchtig beobachteten Erfolgsserie haben wir auch noch unsere ewige Kanzlerin Mutti Angela, die nicht entthronbar zu sein scheint und täglich an globaler Beliebtheit gewinnt. Was für ein wunderbares Märchen!

v.l. Michael Nitzel, Dagmar Jaeger, Sebastian Wirnitzer Foto: Jörg Metzner

v.l. Michael Nitzel, Dagmar Jaeger, Sebastian Wirnitzer
Foto: Jörg Metzner

Als Beispiel dieses neuen Deutschland hat sich das kabarettistische Trio einen neuen Pizzalieferservice in der Hauptstadt Berlin ausgesucht. In der innovativen deutschen Metropole, die ihre Aufholjagd zu den Weltstädten Paris, London und New York nun wirklich ernst nimmt, sind die Triebe der deutschen Agilität doch besonders ausgeprägt. Ein jeder mit Mut und Willen gründet ein kleines Unternehmen, neudeutsch „Startup“, und begibt sich auf die Reise der Selbstverwirklichung. An diesem Abend begegnen wir einem recht ausgefallenen Trio – ein smarter Yuppie, der sein „must-have“-iPhone aus dem Dispokredit finanziert, eine ehemalige FDP-Abgeordneten, die ihr prominentes Bundestagsleben etwas unfreiwillig gegen neue Bodenständigkeit getauscht hat, und ein Altachtundsechziger, der einfach mal auf einen Zug aufgesprungen ist, der an ihm vorbei kam. Wir befinden uns also in einer ganz neuartigen Pizzabäckerei, die den Hauptstadttrend gesunder, bestenfalls natürlich veganer und von allen Zusatzstoffen befreiter Esskultur aufgegriffen hat. Während der Yuppie energiegeladen jeden Kundenanruf mit Freudenrufen begrüßt, träumt die FDP’lerin noch vom Wiedereintritt in eine renommierte Tätigkeit. Seit Jahren schreibt sie Bewerbungen für die kreativsten Berufe. Es sollte schon eine leitende Position in Kultur, Politik oder Wirtschaft sein, der es nicht an sozialem Gewicht und innovativer Reichweite fehlen darf. So freut sie sich schließlich, als Sie endlich zumindest die erste Rückantwort per Brief erhält. Aufmachen möchte sie ihn gar nicht sofort, denn dann wäre das Träumen ja gleich wieder beendet. Der Altachtundsechziger schuftet hingegen in der Lebensmittelsortierung und Warenauslieferung. Zu viel philosophischem Denken bleibt da keine Zeit. Als er einen Auftrag zur Lieferung in die Villenkolonie Dahlems erhält, freut er sich schon über ein saftiges Trinkgeld. Die noble Dame des Hauses arbeitet sich dann aber Euro für Euro und Cent für Cent an den exakten Rechnungsbetrag heran. Als er verwundert und enttäuscht nach dem Trinkgeld fragt, zückt sie sogleich die Referenz aus dem bürgerlichen Gesetzbuch, das Trinkgeld explizit als freiwillige Leistung des Kunden bezeichnet. Freiwillig mache sie aber nie etwas! Enttäuscht jammert der Lieferheld über sein niedriges Mindestlohngehalt und erweicht das Herz der Grande Dame. Allerdings nicht zu seinen Gunsten. Sie fragt ihn, ob er denn glaube, dass sie und ihr Mann sich die Villa in Dahlem leisten könnten, wenn sie ebenfalls diesen kläglichen Mindestlohn verdienen würden? Unter dem Gelächter des Publikums verneint er dies mit großer Einsicht! Und eben deshalb, so sagt die Dame, sei es die Pflicht, für faire Löhne zu kämpfen und nicht durch Trinkgeld auch noch diese Ausbeuterei zu unterstützen. Motiviert aber arm tritt der seniorige Pizzabote seinen Rückweg an.

v.l. Michael Nitzel, Sebastian Wirnitzer, Dagmar Jaeger Foto: Jörg Metzner

v.l. Michael Nitzel, Sebastian Wirnitzer, Dagmar Jaeger
Foto: Jörg Metzner

Szenenwechsel: ist es nicht so, dass viele von uns sich nun motiviert fühlen, gerade für die Kriegsflüchtlinge aus Syrien etwas Gutes zu tun? So geht es auch dem älteren Ehepaar Müller, dass sich bei der Kreisverwaltung Berlin Moabit gemeldet hat, weil sie nun bereit sind, einen syrischen Flüchtling bei sich in der Einliegerwohnung aufzunehmen. Alles ist bereits gerichtet für den großen Moment – Herr und Frau Müller in Schale geworfen, als plötzlich die Klingel läutet. Freudestrahlend wird die Tür geöffnet und dann – Oh Schreck, der junge Mann hat aber eine verdammt dunkle Hautfarbe für einen Syrer! Nun haben sie ihnen also doch einfach einen Afrikaner geschickt – ein junger Mann ohne Bildung und folglich ohne Perspektive – quasi schon auf direktem Wege in die Drogenkriminalität. Und dabei hatte man doch explizit um einen Syrer gebeten – insgeheim auf einen Arzt gehofft: gebildet, freundlich und zuvorkommend. Ein netter junger Mann eben, über den es sich doch auch ganz vortrefflich mit Nachbarn und Bekannt plaudern lässt. Herr Müller macht dem Herrn nochmal klar, dass es natürlich hierbei nicht um ihn persönlich gehe und er natürlich nichts gegen ihn habe. Aber er sei eben ein reiner Wirtschaftsflüchtling und da könnte ja wiederum ganz Afrika kommen. Die Diskussion zwischen Herrn und Frau Müller geht im Ping-Pong hin und her – der junge Mann setzt ab und an zum Reden an, bekommt aber keine wirkliche Chance. Für das Publikum eine furchtbar komische Geschichte – gut zum Lachen aber auch ein wenig traurig. Nicht wenige erkennen hier bestimmt auch ein Stück von sich selbst wieder. Wir Deutschen meinen es ja nicht böse, aber unsere Vorstellungen haben wir eben doch und die geben wir dann auch schon mal etwas zu deutlich preis. Wer der nette junge Mann dann am Ende tatsächlich ist, möchte ich nicht vorwegnehmen. Sie werden sich köstlich amüsieren!

v.l. Sebastian Wirnitzer, Dagmar Jaeger, Michael Nitzel Foto: Jörg Metzner

v.l. Sebastian Wirnitzer, Dagmar Jaeger, Michael Nitzel
Foto: Jörg Metzner

Am Ende läuft wieder alles auf Mutti Angela hinaus, die es richten  muss. Die beiden halbstarken Wichtigtuer Barack und Vladimir tanzen mit stolz geschwellter Brust ihrer Länder Hymnen und Volkslieder. Jeder für sich und dann doch gegeneinander bis es zur Rangelei zu kommen droht. Da springt Angie im roten Deutschlandblazer dazwischen und tanzt ihr eigenes Tänzchen. Schließlich takten sich die beiden Oberbefehlshaber der Supermächte wieder ein. In einem plötzlichen Coup rumpelt die Kanzlerin aber beide von der Bühne. Sie bleibt mal wieder als einzige übrig und freut sich mit hoch in die Luft gestreckten Armen, so wie sie es tat, als Deutschland Argentinien in Rio De Janeiro besiegte. Ein Auftritt, der mit großem Gelächter vom Publikum begrüßt wird. Deutschland hat mal wieder gewonnen!

Es spielen, singen und tanzen Dagmar Jaeger, Michael Nitzel und Sebastian Wirnitzer – musikalisch grandios unterstützt von Matthias Felix Lauschus und Fred Symann. Ein tolles Team, das mit viel Freude, Engagement und großem Talent für spitze Pointen und einer Garantie zum Lachen einen großartigen Abend ermöglicht hat. Vielen Dank!

 

Malte Raudszus

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