Swetlana Alexijewitsch: „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“

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Eine so eindringliche wie erschreckende Hommage an die russischen Frauen im Zweiten Weltkrieg.

Dieses Buch ist das erste der im letzten Jahr mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichneten russischen Schriftstellerin, und schon hier beweist sie, dass man ihr den Preis – über vierzig Jahre später – zu Recht verliehen hat. Denn zu einer Zeit, als es die Sowjetunion noch gab und die dortige Zensur darüber wachte, dass nur „positive“, das heißt heldische Literatur über den „großen vaterländischen Krieg“ erschien, wagte sie es, die Situation während des Krieges ungeschminkt zu zeigen. Dabei ist es geradezu bittere Ironie, dass sie tatsächlich „Heldinnen“-Geschichten schreibt, nur nicht in dem beschönigenden Wunschformat der Zensurbehörden, sondern vor allem das Leid, das Elend und die Brutalität des Krieges in den Mittelpunkt stellt.

1601_FrontfrauenSwetlana Alixejewitsch verzichtete im Gegensatz zu ihren Kolleg(inn)en konsequent auf jegliche Fiktion, sondern beschränkte sich auf eine Dokumentation mit Originaltönen. Dazu führte sie Hunderte von Interviews, die sie auf Tonbändern festhielt und später zu diesem Buch verarbeitete. Das Besondere an diesem Buch ist jedoch, dass sie sich dabei auf die Frauen im Krieg beschränkte. Im öffentlichen Bewusstsein nicht nur der Sowjetunion stehen die (männlichen) Soldaten der Roten Armee im Vordergrund. Jährliche Veteranentreffen stetig schrumpfender Gruppen von Überlebenden zeigen dies deutlich. Dagegen wurden die Frauen an der Front fast systematisch ignoriert. Den Grund dafür kann man nur in einem vorgeformten Frauenbild vermuten, dass Weiblichkeit und kriegerischen Kampf nicht miteinander in Einklang bringen kann. Auch männliche Eitelkeit mag eine Rolle spielen, da Männer das Militär noch heute als ihre – letzte – ureigene Domäne betrachten und die Konkurrenz durch Frauen ablehnen (und fürchten). Doch auch die Frauen selbst sind schuld an dieser Einstellung, haben doch die daheim gebliebenen Frauen nach dem Krieg die Frontfrauen pauschal als „Schlampen“ beschimpft, die an der Front die Männer reihenweise verführt hätten. Dass gerade diese Unterstellung haltlos war, zeigen die Interviews mit schlagender Eindeutigkeit.

Als die Autorin die Interviews führte, waren mehr als dreißig Jahre nach dem Krieg vergangen. Die meisten Frauen waren da bereits Großmütter, falls sie es nach dem Krieg geschafft hatten, eine Familie zu gründen. Das war nicht selbstverständlich, weil nicht nur die „Heimatfrauen“ sie ausgrenzten, sondern auch die männlichen Frontkameraden, die sich diese Frauen – aus welchen Gründen auch immer  – in vielen Fällen nicht als Ehefrauen vorstellen konnten und ihnen aus dem Weg gingen. Diese Frauen waren also doppelt gezeichnet: einmal durch die unmittelbare Kriegsteilnahme, andererseits durch die fast systematische Ausgrenzung nach dem Krieg.

Wie kam es zu der für die damalige Zeit ungewöhnlich hohen Zahl von Frauen an der Front? Die Berichte der betroffenen Frauen geben dazu eine deutliche Antwort. Anfang der vierziger Jahre herrschte in der Generation der Halbwüchsigen eine geradezu religiöse Verehrung der Heimat und der politischen Führung, die natürlich durch eine entsprechende (Schul-)Erziehung forciert wurde. Die Vierzehn- bis Achtzehnjährigen verfügten weder über Lebenserfahrung noch über Informationsmittel jenseits der staatlichen Medien und glaubten diesen uneingeschränkt, und während der stalinistischen Säuberungen von 1936 bis 1938 waren sie noch Kinder. Der unerwartete Überfall Hitlers im Juni 1941 traf gerade diese Generation wie ein Schock, und als die – durch eben diese Säuberungen demoralisierte und „enthauptete“ – Armee von Niederlage zu Niederlage zurückwankte, drängten sich auch die jungen Frauen freiwillig zur Verteidigung des Vaterlandes. Aus den Interviews geht dabei deutlich hervor, dass vor allem das Militär diese Mädchen – sie waren noch nicht einmal volljährig – nicht an die Front schicken wollte und jegliche militärische Verwendung kategorisch ablehnte. Diese Mädchen bestanden jedoch mit einer derartigen Hartnäckigkeit auf ihren Einsatz und setzten so viele unterschiedliche Tricks ein – falsche Altersangaben, schriftliche Eingaben, Proteste bis zu Hungerstreiks -, dass man ihnen schließlich nachgab. An der Front selbst versuchte man, sie in rückwärtigen Dienststellen und Stäben unterzubringen, aber selbst dort wollten diese Mädchen in vorderster Front nicht nur helfen sondern auch aktiv kämpfen, ein Phänomen, das man wohl in keiner anderen Kriegsgesellschaft in dieser Massierung kennt.

Die jungen Frauen wurden überwiegend als Sanitäterinnen, Krankenschwestern oder Ärztinnen, Telefonistinnen und Nachrichtenoffiziere eingesetzt, doch auch als Scharfschützinnen oder gar in eigenen, weiblichen Schützenkompanien und als Pioniere, deren Überlebenswahrscheinlichkeit bekanntlich die geringste ist, da sie zwischen den Linien Minen räumen oder legen mussten. Die jungen Frauen rissen sich förmlich um die gefährlichsten Aufgaben und ernteten dafür anfangs Kopfschütteln und Spott ihrer männlichen Kameraden, später deren höchste Anerkennung und geradezu Verehrung. Leider hielt diese Achtung nach dem Krieg selten an.

Was diese Frauen in den Interviews berichten, ist nicht für zarte Gemüter gedacht. Ungeschminkt geben sie die Brutalität des Krieges wieder, von sterbenden Verwundeten im Niemandsland und in den Notlazaretten über brutale Tötungen von Gefangenen und Verwundeten durch den (deutschen) Feind bis hin zu dem Knirschen und Krachen der Knochen beim Nahkampf. So dicht waren die Frauen am Kampfgeschehen! Immer wieder kommen auch die besonders für Frauen unerträglichen Zustände an der Front zur Sprache. Das fängt an mit der viel zu großen (Männer-)Kleidung, zu weiten Stiefeln, zu schweren Gewehren und generell unerträglichen Strapazen, setzt sich fort in den – nicht existierenden – sanitären Bedingungen und endet noch lange nicht bei fehlenden Hygieneartikeln wie Binden für den weiblichen Zyklus – von der Kälte des russischen Winters und dem Hunger wegen fehlenden Nachschubs ganz zu schweigen. Welchen Bedingungen diese Frauen ausgesetzt waren, lässt sich aus den Aussagen der Frontfrauen nur erahnen.

Eine besonders schreckliche Variante des Krieges kommt in den Berichten der Partisaninnen zum Ausdruck. Nicht nur erschossen die Deutschen die Familien – Eltern, Geschwister und Kinder – der Partisan(inn)en öffentlich, sie ließen sie in anderen Fällen auch vor den eigenen Soldaten durch Minenfelder oder auf die vermuteten Verstecke der Partisanen vorangehen und zwangen diese dazu, auf die eigenen Familien zu schießen. Der schlimmste Bericht handelt von einer jungen Partisanin, die ihr Neugeborenes im Sumpf ertränkte, weil die Hungerschreie des Säuglings den deutschen Soldaten den Standort verraten hätten. Doch andere, ähnliche Berichte sind nur graduell weniger grausam.

Alle diese Kriegserlebnisse wurden die Frauen erst Dekaden später los, nachdem niemand von ihnen in der Sowjetunion hören wollte, weil das Frauenbild des sozialistischen Realismus nicht dazu passte. Eben deshalb konnte Swetlana Alixejewitsch dieses Buch erst nach der Auflösung der Sowjetunion veröffentlichen, und man darf annehmen, dass dieses Buch heute aus ähnlichen Gründen wiederum auf dem putinschen Index stehen würde, obwohl es – wie bereits angeführt – die Frontfrauen als eine spezielle Art von allerdings verkannten Heldinnen preist. Das Problem ist, dass die Autorin – wie auch ihre Interviewpartnerinnen – den Krieg als solchen verurteilt und als einen Rückfall in die absolute Barbarei ablehnt. Das passt natürlich nicht zu der heldischen Überhöhung in der (post-)stalinistischen wie in der putinschen Ära.

Das Buch ist im Suhrkamp-Verlag erschienen, umfasst 360 Seiten und kostet 12 Euro.

Frank Raudszus

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