Martin Walser: „Tod eines Kritikers“

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Annäherung an ein „Skandal“-Buch

Die Rezension dieses Buch stellt sich als nicht einfach heraus, da der Blick verstellt ist durch die Aufregungen in Presse, Funk und Fernsehen. Wie immer man auch zu Autor und Gegenstand steht, eine neutrale, nur neugierige Haltung will und kann sich nicht einstellen, auch wenn man es sich einredet. Und doch: wer immer strebend sich bemüht….. In diesem Sinne wollen wir eine möglichst unvorbelastete Sicht auf dieses teilweise so hart gescholtene Buch vermitteln.

Vorab zwei Bemerkungen oder, besser gesagt, Feststellungen, die Manchem trivial erscheinen mögen, aber dennoch zu treffen sind:

Tod_KritikerErstens ist das Buch alles Andere als antisemitisch, und wer diese Haltung dort zu entdecken meint, sieht schon in der Kritik an einem Menschen, der zufällig einer bestimmten Gruppe angehört, eine Pauschal-Kritik. Eine solche Immunisierungsstrategie würde letztlich jegliche Kritik an Menschen oder Gesellschaftssystemen verbieten, die zufällig oder aus historischen Gründen in einer Tabuzone leben. Darüber hinaus fällt in dem ganzen Buch etwa zweimal eine Bemerkung über den jüdischen Hintergrund der Hauptperson, und das auch nur im Nebensatz als Feststellung einer Tatsache.

Zweitens ist der Hauptzweck dieses Buches die Entlarvung des Systems „Reich-Ranicki“ und kann aufgrund dieser eingeschränkten Zielsetzung keinen hohen literarischen Anspruch stellen. Literatur lebt vor allem von der Fiktion, die das reale Leben abbildet, aber eine eigene Welt schafft. Beschreibung einer realen Umgebung mit realen Personen, und sei es auch unter anderen Namen, gehört in den Bereich der Schlüsselromane, die eher zur Gattung der dokumentarischen Biografie oder – wie hier – der Abrechnungsliteratur als des Kunstwerks gehört.

Neben dem nie bestrittenen Portrait der historischen Persönlichkeit Marcel Reich-Ranicki in der Figur des André Ehrl-König – man beachte die Ähnlichkeit der Namensstruktur – präsentiert Walser ein fast satirisch zu nennendes Abbild der Kulturgesellschaft und fügt damit der Charakterisierung des Protagonisten noch eine Reihe weiterer wahrscheinlich sehr lebensnaher Charakterstudien hinzu. Da die Hauptperson als dokumentarisches Abbild der Realität skizziert wird, müssen zwangsläufig auch die anderen Personen weit gehend der Wirklichkeit entsprechen. Es bleibt Insidern überlassen, die dahinter sich verbergenden Einträge im Münchner Telefonbuch zu entlarven.

Obwohl den meisten Lesern dieser Zeilen der Inhalt in groben Zügen schon bekannt sein dürften, hier noch einmal das Wichtigste im Zeitraffer. Ehrl-König hat in seiner ich-fixierten Einmann-Literaturshow – ein treffgenaues Abbild der neuen MRR-Veranstaltung im Fernsehen – den Schriftsteller Hans Lach verrissen, obwohl er in den Wochen vorher durch typische Anmerkungen eine Erhebung in den literarischen Adelsstand angedeutet hatte – nichts Anderes ist eine enthusiastische Beurteilung durch den allgewaltigen Kritiker. Hans Lach erscheint uneingeladen auf der üblichen Privatparty nach dem Fernsehauftritt des Meisters im Hause dessen Verlegers und rechnet verbal mit dem literarischen Henker ab, bevor er hinausgeworfen wird. Am nächsten Morgen findet man im Schnee vor eben diesem Haus des Kritikers blutbeschmierten Pullover, findet keine Leiche aber sucht auch den Kritiker vergeblich. Der Fall scheint sonnenklar, zumal Lach auch kein Alibi aufzuweisen hat. Im Gefängnis versucht man, in geduldigen Verhören das Geständnis des bereits vorverurteilten Verdächtigen zu erarbeiten.

Ein Kollege Hans Lachs, der eher akademisch orientierte Sachbuchautor Michael Landolf, macht sich in der festen Überzeugung von Lachs Unschuld daran, diese zu beweisen. Dazu befragt er die Besucher der Party sowie andere Personen der Literaturszene und der Umgebung von – vermeintlichen – Opfer und Täter. Diesen Weg durch die literarischen Zirkel Münchens nutzt Walser zu einer Abrechnung mit der Szene und den Trabanten des Meisters. Da ist die esoterisch angehauchte Ehefrau des Verlegers, die sich fernab einer faden Realität mit saturnischem Okkultismus beschäftigt und nebenbei still und beharrlich die Anerkennung des Meisters als große Lyrikerin ersehnt. Da ist der innerlich zerrissene und krampfhaft abgeklärte Schriftsteller-Kollege Streiff, der sich von seiner Frau managen lassen muss. Und da sind auch die nie gehörten Experten des Literaturbetriebes, die selbst gerne die Rolle des großen Zampanos eingenommen hätten und die mangelnde Eignung dazu durch eifrige Souffleurtätigkeit im Hintergrund ersetzen. Fast liebevoll skizziert Walser diese unter der Welt und der immer zu geringen Wertschätzung der eigenen Person leidenden Möchtegern-Literaten und Verlegenheitskritiker.

Darüber hinaus schildert er auch die problematische Welt des Schriftstellers Hans Lach, der immer kurz vor dem Durchbruch steht, sich in private Probleme verstrickt und schließlich angesichts der ihn zur Ohnmacht verdammenden Abläufe ins absolute Schweigen verfällt. Dass sich zum Schluss seine Unschuld erweist und der tot Geglaubte quietschvergnügt an der Hand einer adligen Verehrerin wieder auftaucht, fügt sich logisch in dieses Buch ein, das wahrhaftig kein Kriminalroman ist.

Doch was Walser auch deutlich markiert, sind die Auswüchse von Macht und Eitelkeit, die zu Selbstläufern werden, wenn jemand erst einmal eine gewisse Position errungen hat. An diesem Punkt wagt bei Strafe der eigenen Demütigung niemand mehr, den Kaiser zu kritisieren, ja, viele spielen sogar die Rolle des treuen Kampfhundes, der sich für sein Herrchen in den Kampf wirft, um von ihm bemerkt und goutiert zu werden. Das wiederum verstärkt Eitelkeit und Egozentrik, so dass sich am Schluss nur ein großer, aufgeblasener Popanz präsentiert, der selbst mit Unwahrheiten und wechselnden Sottisen seine Lacher erzielt. Das Publikum ist immer dabei und liebt es, Hinrichtungen zuzusehen, solange Andere ihren Kopf unter das Fallbeil beugen. Da achtet man nicht auf Widersprüche und Unlogik, Hauptsache, man kann durch möglichst frühes Lachen und Klatschen angesichts der allgegenwärtigen Fernsehkameras die eigene Beschlagenheit und das geputzte Gesicht präsentieren.

Das Buch ist im Suhrkamp-Verlag unter der ISBN 3-518-41378-3 erschienen und umfasst 218 Seiten.

Frank Raudszus

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