Alain Badiou: „Wider den globalen Kapitalismus“

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Eine eigenwillige Interpretation der Terroranschläge von Paris.

1605_badiouNach den islamistisch motivierten Massakern von Paris am 13. November entbrannte vor allem in Frankreich eine emotionale und streckenweise hitzige Diskussion über die Ursachen und Konsequenzen. Dabei lag nahe, dass bestimmte politische Lager die Situation für ihre Zwecke nutzen würden, seien es die Rechte, die Linke oder auch muslimische Organisationen. Mit einiger Verzögerung hat sich jetzt mit Alain Badiou ein renommierter französischer Linksintellektueller zu Wort gemeldet. Dazu sollte man wissen, dass gerade die französische intellektuelle Linke lange zum real existierenden Marxismus der Sowjetunion gestanden hat und teilweise noch nicht einmal dem Stalinismus abgeschworen hatte. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und ihres Machtbereiches hat diesen Intellektuellen für eine gewisse Zeit die Sprache verschlagen, aber mittlerweile haben sich die versprengten Truppen wieder gesammelt und die Linke bzw. den Marxismus neu erfunden – oder glauben es zumindest. Badiou, Jahrgang 1937, hat alle diese Zeiten miterlebt und führt in gewisser Weise auch heute noch das Wort bei der Linken.

Bereits in seinen Vorbemerkungen setzt er einige kritische Behauptungen in die Welt, die zwar nicht sachlich falsch sind aber mit einer geschickten, populistischen Formulierung die Interpretation in eine bestimmte Richtung lenken. Die empörte Erschütterung des Westens – als Beispiel nennt er Obama – über die Pariser Attentate beweist für Badiou ein westzentriertes Selbstverständnis. Über ähnliche Massaker in Afrika, dem Irak oder Syrien regt sich der Westen angeblich viel weniger auf, als wenn die vermeintlichen Kernländer der Zivilisation und Kultur angegriffen werden.

Dem kann man erst einmal nicht widersprechen, aber der einseitige Vorwurf an den Westen trifft den Kern nicht. Es ist eine typisch menschliche Eigenschaft, Katastrophen im eigenen Lebensraum intensiver zu erfahren als in fremden Umgebungen. Wer einmal Zeitungen in Asien oder Südamerika gelesen hat, weiß, welch geringe Rolle Ereignisse in Europa dort spielen, bis hin zu Attentaten. Man meldet sie zwar, aber durchaus nicht auf der Titelseite und nicht im Tonfall elementarer Erschütterung. Doch Badiou fokussiert diese menschliche Eigenschaft – oder Schwäche – allein auf den Westen und ruft dann „Quod erat demonstrandum“.

Im zweiten Kapitel beschreibt er den heutigen Zustand der Welt, und der ist für ihn eindeutig durch den globalisierten Kapitalismus gekennzeichnet. Dabei benutzt er den Kapitalismus als Kampfbegriff, als sei unbezweifelbar klar, dass der Kapitalismus (a) ein moralisch verwerfliches System und (b) an allen Missständen der Welt schuld ist. Er wartet weder mit einer Definition des Kapitalismus auf noch belegt er seine Behauptung nachvollziehbar an beispielhaften Handlungen oder Firmen. Stattdessen führt er den Handel des IS mit Öl über die türkische Grenze und die Niederlassungen westlicher Firmen in Nigeria gegen den Kapitalismus ins Feld. Dass hinter dem Ölhandel des IS schlicht kriminelle Elemente stecken könnten und dass die Niederlassungen westlicher Firmen in einem ölreichen Land erst einmal eine nachvollziehbare Investition darstellen, kommt ihm nicht in den Sinn. Er müsste erstens beweisen, dass westliche Firmen in großem Stil in kriminelle Machenschaften verwickelt sind, und zweitens, dass dies ein inhärenter Wesenszug des Kapitalismus ist. Eben das tut er jedoch nicht, sondern suggeriert einfach, dass es so ist.

Ebenso beklagt er die Schwächung der Nationalstaaten durch weltweit agierende Konzerne. Das mag zwar im Hinblick auf die Steuervermeidung bis zu einem gewissen Grad stimmen, ist dann aber ein Problem eben dieser Nationalstaaten, die – wie Luxemburg, die Niederlande oder früher Irland – geradezu in einen Steuerwettbewerb treten, um große Firmen anzulocken. Man kann nicht ein lukratives Bordell bauen und sich dann über die Freier aufregen!

In diese Denkmuster passt auch die von ihm angeführte Verteilung des weltweiten Ressourcenbesitzes. Danach verfügt 1% der Weltbevölkerung über 46% aller Resourcen und 10% verfügen über 86%. Dagegen verfügen 50% über keinerlei Ressourcen. Demnach verfügt eine Mittelschicht von 40% über gerade einmal 14% aller Ressourcen. Abgesehen davon, dass er die Quellen dieser Zahlen nicht nennt und dass man mit Statistiken durch geschickte Interpretation von Zahlen so gut wie jede Behauptung und ebenso ihr Gegenteil belegen kann, werden hier weder die „Besitzer“ noch die „Ressourcen“ näher spezifiziert. Sind es Länder, Privatpersonen, Konzerne? Geht es um Land, Bodenschätze oder Produktionsmittel? Solche Fragen werden nicht gestellt, geschweige denn beantwortet. Im Mittelpunkt stehen nur die „skandalösen“ Zahlen. Und auch hier stellt sich wieder die Frage, warum die Regierungen der Nationalstaaten – von den USA über China, Russland und Indien bis hin zu Saudi-Arabien oder Brasilien – dieses zulassen. Man sollte also nicht die Klage über die Marginalisierung der nationalen Politik erheben, sondern eben letztere als Problem erkennen.

Durchaus nachvollziehbar geht Badiou bei der Analyse der „Subjektivitäten“ vor, d. h. dem Lebensgefühl gewisser Bevölkerungsgruppen. So schreibt er dem Westen ein Siegerdenken zu, das die eigenen Werte durch den eigenen Erfolg rechtfertigt. Da ist sicher etwas dran, doch gilt diese Selbstüberschätzung nicht nur für den Westen, sondern für alle erfolgreichen Gesellschaften. Da es derzeit keine erfolgreichen „linken“ Gesellschaften gibt, läuft Badiou auch nicht Gefahr, die eigenen Leute mit in diesen Topf zu werfen.
Die 50% Mittellosen unter der Weltbevölkerung teilt er in zwei Gruppen: die eine bewundert und beneidet den Westen und sehnt sich nach eben diesem Leben. Die andere gesteht sich dies nicht ein und kompensiert diese Sehnsucht durch fundamentalistischen Hass. Dieser ist umso größer, je stärker die Sehnsucht nach dem westlichen Leben ist. Die Religion dient dann laut Badiou nur als Vorwand, um den Hass zu rechtfertigen. Diese Analyse kann man durchaus diskutieren, und sie ist ja auch nicht neu, sondern bereits von Slavoj Zizek und anderen – linken! – Intellektuellen erarbeitet worden. Sie ermöglicht nebenbei die vermeintlich elegante Vermeidung des Vorwurfs der Islamophobie, denn jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Islam als Hintergrund des Terrors könnte zu unangenehmen Schlussfolgerungen führen.

Am Schluss kommt Badiou auf die Gegenstrategie der Linken zu sprechen, und hier wartet man gespannt auf neue, originelle Politikentwürfe. Doch Badiou fällt außer abwertenden Nebenbemerkungen über die Demokratie (wie übrigens auch Zizek!) nichts anderes ein, als den Massen die Verweigerung der Wahl zu empfehlen. Darüber hinaus hat er lediglich den Ratschlag für die Linke parat, sich mit den depravierten Massen zu verbünden.Wie das allerdings angesichts des entsprechenden Desasters in den späten Sechzigern und angesichts der Entwicklung in Venezuela – und neuerdings Brasilien – praktisch erfolgen soll, kann er auch nicht sagen. Außer schwammigen Solidaritätsadressen kann er nicht viel bieten. Sein Aufruf hört sich zwar engagiert und revolutionär an, bietet jedoch keinerlei konkrete Handlungsempfehlungen. Badiou liefert sozusagen seinen Anhängern „von der Galerie“ eben das, was sie hören wollen und was sie selbst bereits glauben. Außer Selbstvergewisserung und Berauschung an der eigenen Ideologie kann er der Linken keine neuen Impulse verleihen.

Das Buch ist im Ullstein-Verlag erschienen, umfasst 64 Seiten und kostet 7 Euro.

Frank Raudszus

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