Petri Tamminen: „Meeresroman“

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Im Finnland des mittleren 19. Jahrhundert – auf genaue Jahreszahlen verzichtet der Autor bewusst – wächst Vilhelm Huurna  als Sohn eines einfachen Fischers auf. Schon als Kind erleidet er bei der Überführung eines kleinen Segelbootes einen fast tödlichen Schiffbruch. Die ländliche Einsamkeit und die schlichte gesellschaftliche Situation wecken in ihm keinerlei Ehrgeiz, und so verläuft seine Entwicklung vom Schiffsjungen bis zum erfahrenen Matrosen auf Segelschiffen eher nach dem üblichen Muster. Erst als Gleichaltrige an ihm vorbeiziehen, fühlt er sich bemüßigt, ebenfalls zur Seefahrtsschule zu gehen. Der erfolgreiche Abschluss überrascht ihn, da er über kein ausgeprägtes Selbstvertrauen verfügt. Diese bescheidene Selbsteinschätzung wird ihn sein Leben lang nicht verlassen und ihn jeden Erfolg als unerwartet und eigentlich unverdient erleben lassen. Der Autor knüpft dabei an die oftmals zitierte Selbsteinschätzung erfolgreicher Menschen an, die angeblich nur darauf warten, dass irgend jemand endlich ihre Inkompetenz entlarvt.

Huurnas Karriere als Segelschiffskapitän beginnt dann auch weitgehend ohne sein eigenes – ehrgeiziges – Zutun. Die Gutsherren der Umgebung, die ihre Waren in die Welt verkaufen wollen, kennen ihn als ruhigen und zuverlässigen jungen Mann und geben ihm sein erstes Kommando mit hohem Vertrauensvorschuss, was ihn eher verwundert als erfreut. Nach dem ersten Schiffbruch im Sturm vor Skagen sieht Huurna das Ende seiner Karriere vor sich, doch die Gutsherren drängen ihm das nächste Kommando förmlich auf, da sie Schiffbruch für Schicksal halten, zumal das Seegericht Huurna freigesprochen hat.

So geht es weiter von Schiff zu Schiff und Schiffbruch zu Schiffbruch, wobei von den insgesamt sechs Schiffsverlusten nur drei detailliert beschrieben werden. Bei den anderen begnügt sich der Autor mit der lakonischen Feststellung, das jeweilige Schiff sei einfach gesunken. Diese Begründung reicht einem seemännisch versierten Leser natürlich nicht, doch darum geht es dem Autor nicht. Er überlässt dem Leser die Einschätzung, dass wohl auch hier der Kapitän nur Pech gehabt habe – oder vielleicht auch nicht -, weil es ihm um das Grundsätzliche bei dieser Lebensgeschichte geht. Letztlich ist Huurna ein moderner Odysseus im Sinne des „Duldens“ und die Seefahrt mit ihren Schiffbrüchen nur eine Metapher für das Leben mit seinen vielfältigen Varianten des beruflichen und privaten Scheiterns. Doch Huurna ist nicht der listenreiche und tätige Dulder sondern ein fast demütiger Dulder eines Schicksals, das er zwar nicht als von Gott gegeben aber als unveränderbar akzeptiert. Seine Schiffbrüche nimmt er ebenso stoisch hin wie die trotz aller Misserfolge fortgesetzte Karriere als Kapitän. Dabei verfällt er jedoch nicht einem passiven Fatalismus, sondern tut alles in seiner Macht Stehende, um seine Aufgabe so gut wie möglich zu erfüllen. Dies kommt deutlich darin zum Ausdruck, dass er nach jedem Schiffbruch bei seinem Heimweg nach Finnland die letzte Strecke von den Aland-Inseln bis nach Hause zu Fuß über das Eis zurücklegen muss, weil ihm die Gutsherren kein Reisegeld mehr schicken. Er trägt diese Demütigung eines Kapitäns wie eine gerechte Strafe für seinen Schiffbruch. Bis zum Schluss hält er sein Leben für ein unverdientes Geschenk des Schicksals, und auch der frühe Tod seiner Frau und des frisch geborenen Säuglings können an dieser inneren Demut nichts ändern. Auch ein Stück des späten Hiob ist in dieser Figur.

Der Autor Petri Tamminen hat laut Klappentext keinen ausgeprägten maritimen Hintergrund. Dennoch gelingt es ihm hervorragend, die Atmosphäre an Bord eines Segelschiffes des 19. Jahrhunderts sowie die besondere Situation des Kapitäns wiederzugeben. Sein Stil ist frei von jeglichem Pathos, und gerade dieser karge Stil bringt den metaphorischen Charakter des Romans überzeugend zum Ausdruck.

Der Roman ist im Mare-Verlag erschienen, umfasst 108 Seiten und kostet 18 Euro.

Frank Raudszus

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