Honoré de Balzac: „Die große Hörspiel-Edition“

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Honoré de Balzac gilt nach wie vor als einer der größten Romanciers der Moderne, hat er doch das französisch Bürgertum auf unbestechliche Weise analysiert und ungeschminkt dargestellt. Geiz, Gier und Geltungsdrang stehen in dieser Gesellschaft im Vordergrund, womit sich die französische Gesellschaft von kaum einer vor und nach ihr unterscheidet. Die Beschränkung auf Frankreich ist lediglich auf Balzacs nationale Zugehörigkeit sowie die eingeschränkten Reisemöglichkeiten seiner Zeit zurückzuführen.

In diesem Hörbuch sind vier seiner wichtigsten Romane vereinigt, allen voran natürlich die berühmten „Verlorenen Illusionen“ und „Père Goriot“, dessen französischer Titel sich auch im Deutschen etabliert hat. Daneben sind zwei weniger bekannte Romane enthalten: „Eugenie Grandet“ und „Cousine Lisbeth“. Damit haben die Editoren sowohl die Frauen- als auch Männerschicksale in diesem Hörbuch gleichverteilt.

Eugenie Grandet ist die Tochter eines geizigen Winzers in der Provinz, der seiner Familie nicht nur die Nahrung abgezählt und auf das Nötigste reduziert zuteilt, sondern auch die Heizung auf wenige Monat im Jahr begrenzt und dann auch nur scheitweise erlaubt. Darüber hinaus wacht er eifersüchtig über seine einzige Tochter, der er auf dem erotischen Gebiet keinerlei eigene Entscheidung zugesteht und sie nur dem meistbietenden Bewerber überlassen will. Da sie auf den Handel nicht eingeht, bleibt sie unverheiratet. Nach dem frühen Tod der Mutter – sie starb an mangelnder Ernährung und fehlender weil teurer Medizin – muss Eugenie bis zum Tod des altersschwachen Vaters warten, um festzustellen, dass sie jetzt eine steinreiche Frau ist. Doch ohne jede Verbitterung geht sie mit dem Erbe verantwortungsvoll und freigebig um und erntet so auf ihre älteren Tage Freundschaft und Anerkennung.

Von ganz anderem Kaliber ist Lisbeth, unverheiratete und missachtete Cousine im Haushalt eines Barons. Doch mit Geduld, List und Tücke sowie den richtigen Verbindungen schafft sie es schließlich, sowohl die Ehe ihrer Ziehtochter Hortense mit ihrem – Lisbeths! – Geliebten scheitern zu lassen und die Familie des Barons ganz legal in den Ruin zu treiben. Sie muss dazu nur die Gier, die Verschwendungssucht und den Geltungstrieb des Barons nutzen. Am Ende hat sie sich erfolgreich an ihrer überheblichen Verwandschaft gerächt.

In „Vater Goriot“ kommt der junger Adlige Rastignac aus der Provinz nach Paris, um dort in die feinen (adligen) Kreise zu gelangen. Dieses Entrée misslingt jedoch, als er seine Gastgeber auf einen seiner Mitbewohner in der einfachen Pension anspricht, den er zufällig dort gesehen hat. Es handelt sich nämlich um einen ungelittenen weil bürgerlichen ehemaligen Fabrikanten, der seinen mit Adligen verheirateten Töchtern nach Paris gefolgt ist. Dort pressen die beiden Töchter den letzten Sous aus dem alten, kranken Mann, nur um ihre gesellschaftliche Stellung halten zu können. bei seinem Tod glänzen sie jedoch aus Dünkel durch Abwesenheit, da die einfache Pension für sie eine „No go area“ ist. Man könnte sie dort ja sehen. Der junge Rastignac erfährt seine große und wahrscheinlich dauerhafte Desillusionierung im schönen und großen Paris.

Ähnlich geht es dem jungen Lucien in „Verlorene Illusionen“, der – wie Rastignac – aus der Provinz kommt, dort den hohen und unverständlichen Etikette-Anforderungen des Adels nicht standhält und aussortiert wird. Als Journalist kämpft er sich hoch, erliegt jedoch in seiner moralischen Naivität den Intrigen der Großstadt und landet wieder dort, wo er hergekommen ist.

In allen vier Romanen hält Balzac seiner Zeit einen unbarmherzigen weil nichts kaschierenden Spiegel vor. in dem letzten Roman geht es vor allem um die korrupten Journalisten, die statt wahrhaftiger Kommentare nur politisch und persönlich motivierte Verrisse und Attacken verfassen.

Die einzelnen Romane sind in einer Mischung aus Lesung und Dialogen umgesetzt worden. Um der Werktreue nicht zu schaden, kann man Balzacs Romane nicht beliebig dialogisieren. Man kann jedoch die direkte Rede der Texte in verschiedene Stimmen verlegen und dabei die Rolle des Erzählers in den Mittelpunkt stellen. So geschieht es auch, wobei die Verteilung auf die beiden Varianten je nach Roman unterschiedlich ist. Als Ergebnis liegt eine Hörspielsammlung vor, die bei hoher Werktreue ein hohes Maß an Abwechslung und Realitätsnähe aufweist. Man folgt diesen Romanen gerne und vergisst dabei sogar die Unannehmlichkeiten einer durch lange Staus vergällten Autofahrt.

Das Hörbuch ist im Hörverlag erschienen, umfasst insgesamt zwölf CDs mit einer Gesamtlaufzeit von über dreizehn Stunden und kostet 22,63 Euro.

Frank Raudszus

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