Axel Simon: „Eisenblut“

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Im Fernsehen feiert mit „Babylon Berlin“ seit einiger Zeit der historische Kriminalroman anhaltende Erfolge. Die spannenden Geschichten um Kommissar Rath aus der Weimarer Republik und dem Dritten Reich haben sich geradezu zu einem Kult entwickelt. Das hat andere Autoren jetzt zu ähnlichen Entwürfen motiviert.

Axel Simon, der Autor des vorliegenden Romans, hat sich die Zeit nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 vorgenommen. Mittlerweile sind seit diesem Waffengang siebzehn Jahre vergangen, und Kaiser Wilhelm I. ist Anfang 1888 verstorben. Sein Sohn und Nachfolger Friedrich III. überlebt seinen Vater wegen Kehlkopfkrebses nur um gut ein Vierteljahr.

In den letzten zwanzig Tagen vor seinem Tod spielt der Krimi um Gabriel Landow, der gegen Frankreich als Soldat gekämpft hat, aber wegen angeblicher Unterschlagung unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde. Sein Vater, ein ostpreußischer Gutsbesitzer, hat diese Schande nicht ertragen und seinen Sohn aus seinem Gesichtskreis verbannt. So schlägt er sich in Berlin als Gelegenheitsdetektiv mehr schlecht als recht durch und huldigt an einsamen Abenden dem Cointreau. Ein ehemaliger Kriegskamerad und Freund ist sein einziger Freund nach dem Prozess, in dem Landow seine Schuld stets bestritten hat.

Derweil übernimmt Landows nur neun Minuten älterer Zwillingsbruder Perikles nach dem Tod des Vaters die Leitung des Gutes in Ostpreußen. Aus Gabriels Erinnerungen erfährt der Leser, dass die beiden als Kinder ein eingeschworenes Team waren, der wegen eines Klumpfußes eingeschränkte Perikles jedoch eine tief sitzende Eifersucht gegen seinen Bruder hegte. Als die beiden Brüdermit einem selbst gebastelten Tauchfahrzeug waghalsige Experimente unternehmen, kommt dabei eines Tages ihre Schwester zu Tode, die statt Gabriel eingestiegen ist. Dem Leser kommt bei dieser traurigen Erinnerung – im Gegensatz zu Gabriel – sofort der Verdacht, dass Perikles eigentlich seinen Bruder umbringen wollte, jedoch unwissentlich die Schwester traf. Damit ist unterschwellig sofort das schwierige Verhältnis der beiden Zwillingsbrüder gesetzt, das Gabriel als solches gar nicht wahrnimmt. Franz und Karl Moor der Kaiserzeit. Unter diesen Vorzeichen – eineiige Zwillinge! – gewinnt auch Gabriels vermeintliche Unterschlagung sofort eine ganz eigene Gewichtung, die jedoch seitens der Protagonisten nie thematisiert wird.

In dieser Situation erhält Gabriel von hohen staatlichen Stellen auf ungewöhnliche Weise den Auftrag, die Hintergründe dreier Todesfälle mittlerer Beamter im Kriegsministerium zu klären. Offiziell sind die drei bei Unfällen gestorben, aber für Gabriel waren es klare Morde: bei einem war sein guter Freund zufällig (fast) zugegen, den zweiten hat er bei einer detektivischen Recherche selbst beobachtet, und nur der dritte ist ihm unbekannt.

Selbst Landows beschränkte Recherchemöglichkeiten ergeben bald, dass seine Auftraggeber offenbar gar keine Aufklärung wollen, denn sie behindern ihn bei seinen Untersuchungen im Arbeitsbereich der Toten. Doch Landow merkt, dass es hier um die Entwicklung neuer Waffen – Maschinengewehre, Tauchboote und Luftfahrzeuge – und vor allem um Spionage geht. Dabei kommt ihm eine so geheimnisvolle wie attraktive Frau in die Quere, die alle Mittel einsetzt, um seine Arbeit zumindest auszuspionieren. Außerdem gerät auch Landows Bruder in diese Affäre, da er versucht, an dem großen Waffengeschäft der Zukunft teilzuhaben, indem er das elterliche Gut bis über die Halskrause beleiht. In diesem Zusammenhang schildert der Autor diskrete Berliner Clubs, in denen sich die Hochfinanz und die Waffenhersteller zu geheimen Treffen und anschließender erotischer Entspannung treffen. Auch Perikles taucht hier auf.

Der Showdown am Ende sorgt zwar für klare personelle Verhältnisse, stellt aber hinsichtlich der Aufklärung der Hintergrunde nur eingeschränkt zufrieden. Zwar wird deutlich, dass Vieles aus politisch-taktischen Gründen inszeniert wurde, aber nicht, wer nun wirklich wen aus welchen Gründen umgebracht hat. Außerdem werden die Verantwortlichkeiten und vor allem die Ziele der verantwortlichen Institutionen nicht klar. Es bleibt zuviel im Nebel der bloßen Vermutungen verborgen. Es scheint, als habe der Autor sehr schnell einen Schluss finden müssen, ohne alle losen Handlungsfäden aufzunehmen und sauber zu Ende zu führen.

Das Thema hätte das Zeug für eine Serie à la „Babylon Berlin“, doch leider lässt der Autor die wichtigsten „Bösewichte“ am Schluss sterben, so dass keine wirklichen Feinde für weitere Folgen bleiben. Der Autor müsste also für eine Serie neue Themen und neues Personal erfinden, doch Serien leben von der Kontinuität der Personen. Dennoch liest sich der Krimi flott und spannend, und man erfährt nebenbei auch noch etwas über das Kaiserreich am Ende des 19. Jahrhunderts.

Das Buch ist im Kindler-Verlag erschienen, umfasst 413 Seiten und kostet 20 Euro.

Frank Raudszus

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