So lässt man sich den Untergang gefallen….

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Freche Schlager gegen den Untergang  – Annette Postel präsentiert in ihrem Programm „Champus Violett – Titanic 2“ Schlager der zwanziger Jahre
Auf der „Titanic“ hat angeblich – wir waren nicht dabei – die Bordkapelle bis zum letzten Augenblick Kaffeehaus- und Operettenmusik gespielt, um die Menschen von der bevorstehenden Katastrophe abzulenken. Die ausgebildete Opernsängerin Annette Postel sieht offensichtlich und nicht zu Unrecht die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts als Spiegelbild der ersten und letzten Reise der „Titanic“. Die Weimarer Republik war gerade erst „in Dienst gestellt worden“ und fuhr auf ihrer gut zehnjährigen Jungfernfahrt in die Weltpolitik auf einen braunen Eisberg zu, den man schon lange hätte entdecken oder zumindest voraussehen müssen. Die Zeit bis zum Untergang vertrieb sich die Gesellschaft mit einer fast verzweifelten Lebenslust, die für die Entbehrungen und Verluste des Ersten Weltkrieges Ausgleich schaffen musste.

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Annette Postel und Jan Röck

Folgerichtig arrangiert Annette Postel ihr Programm der zwanziger Jahre ebenfalls als Kreuzfahrt auf einem Schiff, das sinnigerweise „Titanic 2“ heißt und auf dem es violetten Champagner zu trinken gibt. Fast möchte man sagen: wir zelebrieren den Untergang auf exquisite Art und Weise.

Als Begleiter hat sich Annette Postel den Jazz-Pianisten und Korrepetitor Jan Röck an das Klavier der Bordbar geholt, und damit die musikalische Vielfalt nicht auf Gesang und Klavier beschränkt bleibt, hat sie gleich noch ein ganzes Streichquartett auf das zum Untergang verdammte Kreuzfahrtschiff engagiert. Bernhard Metz und Nils Schad (jeweils Violine), Wolfgang Berg (Viola) und Manuel von der Nahmer (Violoncello) spielen alle bei den Münchner Philharmonikern und daneben noch zusammen als Streichquartett. Wie es die „Titanic“-Tradition verlangt, spielen sie alle vier bei der Fahrt durch die Eisberge des Weinguts Diefenhardt in Martinsthal bis zum letzten Augenblick.

Annette Postel hat ein „freches Maul“, wie man so schön sagt, aber nicht mit dem bodenständigen Dialekt einer Claire Waldorf sondern mit dem eloquenten Sarkasmus einer emanzipierten Frau, die sowohl die Welt als auch besonders die Tricks und Schwächen der Männer kennt. Historisch hat sich diese weibliche Emanzipation aus der Ernüchterung des Ersten Weltkrieges und aus der Verantwortung ergeben, die die Frauen im Krieg übernehmen mussten. Annette Postel tritt denn auch ganz als selbstbewusste Diva im langen roten Kleid und gelber Federboa auf.

Doch trotz aller Emanzipation zieht sich die Sehnsucht nach Liebe durch fast alle Lieder dieser Zeit. Es beginnt gleich mit dem Geständnis, was man („frau“) fühlt, „wenn man verliebt in jemand ist“. Beim „Wo sind deine Haare, August?“ hat sie schnell ihren Favoriten im Sponsorenblock entdeckt, den sie wegen seiner zum Schlagertext passenden Frisur für den Rest des Abends zu ihrem Liebling erkürt.

Nach dem frechen „Neandertaler“-Lied betreten die vier Frackträger des Streichquartetts die Bühne und präsentieren einen kurzen Querschnitt durch verschiedene Epochen, angefangen bei Mozart und endend in den zwanziger Jahren. Mit spanischem Temperament kommt „O Donna Clara“ daher, das Annette Postel anschließend noch einmal mit der gequetschten Fistelstimme intoniert, wie sie aus den Grammophonen der zwanziger Jahren quäkte. Nach einem weiteren Zwischenspiel des Streichquartetts mit ungarischen Klängen sowie „Summertime“ aus „Porgy & Bess“ beschließt Annette Postel den ersten Teil des Abends mit dem Klassiker „Für eine Nacht voller Seligkeit“. Bei diesem ausgesungenen – nicht frech gesprochenen – Lied kann sie ihre stimmlichen Qualitäten zeigen.

Annette Postel und das StreichquartettDer zweite Teil beginnt gleich wieder mit dem nostalgischen Dauerbrenner „Bei dir war es immer so schön“, der längst Eingang in alle Jazz-Repertoires gefunden hat und den Annette Postel voller schmerzlicher Erinnerung interpretiert. Man leidet wegen der verlorenen Liebe förmlich mit. Frecher wird die Sängerin dagegen wieder mit „Haben Sie schon mal im Dunkeln geküsst“, wobei sie alle Musiker des Streichquartetts und vor allem den Ersten Geiger (streng nach Liedtext auf der abgedunkelten Bühne!) „anmacht“. Mittlerweile hat sie das rote Kleid gegen ein goldgelbes getauscht, was ihr mindestens genauso gut steht, und eine knappe Kappe um die Haare im Stil der zwanziger Jahre lässt sie besonders mondän erscheinen. Fehlt nur noch die lange Zigarettenspitze. Mit „Komm; Casanova, Komm Casanova, küss mich“ und „Meine Lippen die brennen so heiß“ kommt die mit Bühnensekt scheinbar alkoholisierte Gesangskünstlerin so in Fahrt, dass sie anschließend umfällt und wie ein Brett von den Streichern von der Bühne transportiert werden muss.

Eine musikalischer Höhepunkt, bei dem Annette Postel ihre ganze stimmliche Bandbreite zeigen kann, ist die neue Textfassung der Arie von Mozarts „Königin der Nacht“, in der sie sich über ihre singende Nachbarin aufregt, und das alles mit Mozarts Koloraturen, die sie mit Leichtigkeit meistert, wobei sie den falschen Gesang der Nachbarin – die meistert die höchsten Lagen nicht – treffend karikiert. Zum Schluss garniert sie das noch ein bisschen mit Sarastro und sammelt dann den begeisterten Beifall für diese Extra-Gesangsnummer ein.

Anschließend beschwört sie sehnsüchtig das Glück, das es „Irgendwo auf der Welt [gibt´s ein kleines bisschen Glück]“ gibt, und dann nahen auch schon die Zugaben. Da sich die Fahrt der Titanic durchs Weingut ihrem Ende nähert, singt sie die Carmen – wieder mit eigenem Text – schon mit starker Schlagseite, und die Veranstaltung nimmt dann zumindest andeutungsweise das Ende, das einer „Titanic“-Veranstaltung vorherbestimmt ist. Mehr verraten wir aber nicht.

Wenn dann der Wind über das nunmehr leere Meer streicht, erklingt leise und sehnsüchtig „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“. Jetzt müssen wir nur auf das nächste Jahr warten, wenn die „Titanic 2“ gehoben und die musikalische Belegschaft reanimiert worden ist. Dann können wir den nostalgischen Dampfer wieder besteigen wie den „Fliegenden Holländer“, nur dass es hier lustiger zugeht als bei Wagner.

Frank Raudszus

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