Eine abwechlungsreiche Bergtour durch die Tiroler Berglandschaft

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Blick auf den Wilden Kaiser vom Hotel in der Morgenröte

Wandern am Wilden  Kaiser

Eine abwechlungsreiche Bergtour durch die Tiroler Berglandschaft

Wenige Kilometer östlich von Kitzbühel liegt Oberndorf. Der kleine Ort hat trotz der Nähe zu dem bekannten Nachbarn nichts von dessen mondänem Wesen, sondern zeichnet sich durch ein eher dörflich-beschauliches Ambiente aus. Gerade diese Eigenschaft macht Oberndorf jedoch für jeden Wanderfreund attraktiv. Hier glitzert kein falsches Lametta, hier legt man Wert auf Bodenständigkeit. Das zeigt sich auch im „Rosenhof“, einem Wellness-Hotel am Hang oberhalb des Ortes, dessen Vorderfront mit seinen schönsten Zimmern auf das Kitzbüheler Horn schaut. Wer Aussicht nach links -nach Osten – hat, kann die spitzen Zacken des „Wilden Kaiser“ sehen. Wer es lieber rustikal hat, nimmt eines der kleinen Ferienhäuser aus Holz, die unmittelbar vor dem Hotel dicht am überdachten Schwimmbad stehen. In dem gemütlichen, hellen Aufenthaltsraum an der Rezeption stehen den Gästen am Nachmittag kostenlos Getränke und Gebäck zur Verfügung,wenn sie über das ebenfalls kostenlose WLAN ihre Mails abholen – oder einfach nur entspannen.

Austieg im KaiserbachtalDoch nur zum Entspannen weilt man nicht in Tirol. Außerhalb der Wintersaison bieten sich Bergwanderungen aller Schwierigkeitsgrade an. Da kann man von Oberndorf aus entweder eine gemütliche Wanderung im Tal nach Kitzbühel oder eine vierstündige Rundwanderung am Hang unterhalb des Kitzbüheler Horns unternehmen, um nur zwei Beispiele von 25 ausgewiesenen Wandervorschlägen zu nennen.

Man kann sich natürlich auch an anspruchsvollere Touren, vor allem, wenn man glaubt, die kurze zur Verfügung stehende zeit nutzen zu müssen. Eine solche Wanderung bietet sich im Naturschutzgebiet Kaiserbachtal unterhalb des Feldbergs an. Der Startpunkt der mit der Nummer 23/24 gekennzeichneten Rundwanderung  liegt am Eingang zur Mautstraße kurz hinter Griesenau. Dorthin gelangt man von Oberndorf über St. Johann und Gasteig.

Blick auf den Wilden Kaiser von der RanggenalmWenn man sich den Wanderplan anschaut, scheint es anfangs bis zur Griesner Alm steil bergan zu gehen. Danach schraubt man sich noch ein wenig zur Ranggenalm hoch, um von dort aus in langen Bögen über die Obere und Untere Scheibenbichlalm zurück zum Ausgangspunkt zu gelangen. Die Wanderung ist zwar mit fünf Stunden Dauer ausgewiesen,trägt jedoch nur den Schwierigkeitsgrad „mittel“.

Mit diesen Informationen ausgestattet, machen wir uns an einem bedeckten Morgen auf den Weg. Wir parken den Wagen vor der Mautstelle, wechseln von den leichten Laufschuhen zu Wanderschuhen und begeben uns auf den Weg nach oben. Da es nicht nach Regen aussah, haben wir für diesen Fall keine besonderen Vorkehrungen getroffen.

Die erste Überraschung ist der Weg, der als breite Schotterpiste in mäßiger Steigung neben dem Bachbett nach oben führte. Die perspektivische Verkürzung der dreidimensionalen Karte hat uns einen steilen Pfad vorgegaukelt. Nun, das ist immerhin eine angenehme Überraschung. Neben dem bergab gurgelnden Bach geht es zügig bergan. Links neben uns ragen die senkrechten Felswände des Wilden Kaiser in geradezu dramatischer Majestät in den grauen Himmel. In regelmäßigen Abständen queren wir große Geröllfelder, die von Erd- und Gesteinslawinen übrig geblieben sind. Man kann noch sehr gut den Weg nachvollziehen, den die Steinlawinen damals genommen haben. Ganz oben zwischen den zackigen Bergspitzen sieht man riesige steile Geröllfelder, die geradezu prädestiniert sind, irgendwann mit Getöse und tödlicher Wucht zu Tale zu gehen.

Aufstieg im Kaiserbachtal

Aber nicht heute! Wir erreichen in der angegebenen Zeit die Griesner Alm, an der auch die Mautstraße endet. Viele Wanderer fahren mit dem Auto bis hierher und beginnen ihre Wanderung dann von hier aus. Schon in den letzten Minuten hat es vom Himmel getröpfelt, und kaum haben wir den Gasthof erreicht, fängt es richtig an zu regnen. Nach einer Warteschleife mit heißer Zitrone und Suppe geht es dann bei fast trockenem Wetter weiter Richtung Ranggenalm.
Wie erwartet geht es gleich in engen Serpentinen steil bergan. Allerdings sind es deutlich mehr als die drei bis vier, die der grobe Plan anzeigt. Schier endlos reihen sich die Kurven aneinander, und jedes Mal, wenn man denkt, nun sei der Scheitel erreicht und es gehe bergab, folgt wieder eine weitere Steigung. Nach endlos erscheinenden eineinhalb Stunden erreichen wir endlich die Ranggeralm, die aus einem einsamen Bauernhof besteht. Dahinter verweist der Wegweiser auf den „vordere Ranggeralm“. Wir haben diesen „Haltepunkt“ also noch gar nicht richtig erreicht. Jetzt ändert sich der Weg von der befahrbaren Schotterpiste zu einem Trampelpfad mitten durch die steil ansteigenden Hänge. War es bisher nur unsere Kondition, die gefragt war, sind es jetzt Körperbeherrschung, Balance und schiere Kraft, denn es geht in steilen Kurven und auf engsten Pfaden am Hang hoch und entlang. Hin und wieder gähnt ein Abgrund rechts, nur einen Meter von dem schmalen Trampelpfad entfernt, der uneben, schlüpfrig und voller Wurzeln und Steine ist. Auch hier wieder hoffen wir von Buckel zu Buckel, von Kurve zu Kurve, aber die „vordere Ranggeralm“ lässt sehr lange auf sich warten. Zwischendurch halten wir einfach, essen unser Brot oder genießen die Sicht auf die Felsenwand des „Wilden Kaisers“. Denn trotz der körperlichen Mühen ist es ein intensives Erlebnis für uns, hoch am Hang auf engsten, zeitweise kaum erkennbaren Pfaden unseren Weg zu suchen.

Endlich erreichen wir die vordere Ranggeralm, wieder ein unbewirtschafteter Hof. Jetzt zeigt der Plan mit einem geraden Strich auf die Scheibenbichlalm. Das muss also ein Spaziergang werden. Doch leider ist dieser Strich nur als Abstraktion der Verbindung zweier Punkte zu verstehen. Denn tatsächlich kommt jetzt der härteste Teil der Wanderung, der nur noch aus ausgetretenen Pfaden besteht und fast senkrecht über Wurzeln und Felsen den Hang hinaufführt. Zeitweise zeigt uns nur noch das rot-weiße Wegezeichen, dass wir noch richtig sind, und unaufhaltsam geht es steil aufwärts. Die Unterhaltung ist längst auf wenige Worte geschrumpft, die Augen folgen nur noch den Füßen, die mühsam ihren Weg durch die unwegsame Stein- und Wurzelfelder suchen. Auch jetzt wieder sagen wir uns vor jeder unüberschaubaren Anhöhe, das müsse der endgültige Scheitelpunkt sein, nach dem es nur noch abwärts gehe, nur, um nach Umrundung einer solchen Kurve oder nach Überwindung eines Buckels festzustellen, dass es gnadenlos weiter bergauf geht. Am Ende erreichen wir die Baumgrenze und marschieren dicht am Rand einer gähnenden Schlucht auf den tatsächlichen Scheitelpunkt zu, nach dem es endlich, endlich abwärts zur Oberen Scheibenbichlalm geht.

Danach geht es alles ganz einfach, wenn auch noch lange nicht das Ende der Wanderung erreicht ist. Denn die Abwärtsstrecke zieht sich in endlos langen Serpentinen dahin. Dazu setzt anfangs schwacher, dann intensiver Dauerregen ein. Den Versuch, auf dem offiziellen Wanderweg – steil durch den Wald – abzukürzen, geben wir bald auf, da der Abstieg auf dem schmalen und unwegsamen Pfad wegen des Regens und der daraus folgenden Glätte des Untergrunds geradezu gefährlich wird. Also bringen wir den Abstieg auf dem breiten Schotterweg hinter uns und erreichen nach fast sechs Stunden endlich wieder unseren Ausgangspunkt, erschöpft aber stolz, diese Herausforderung gemeistert zu haben. Während der Wanderung haben wir des Öfteren mehr oder minder still geflucht, jetzt fühlen wir eine deutliche Genugtuung darüber, dass wir diese schwierige Wanderung ohne Wehleidigkeit – und ohne Blessuren – hinter uns gebracht haben. Bergwandern ist doch etwas anderes als Spazierengehen. Diese eigentlich triviale Erkenntnis muss man des Öfteren an der Wirklichkeit verifizieren, und außerdem haben wir heute gelernt, dass man Wanderpläne nie „wörtlich“ nehmen sollte.

Wer am frühen Abend hungrig und durstig am Ausgangspunkt ankommt, dem empfehlen wir, das kulinarische Defizit im nahen „Gasthof Griesenau“ zu kompensieren, der gegenüber der Abzweigung zum Kaiserbachtal liegt. Der Gasthof hat sich ein ursprüngliches Ambiente erhalten, das von der niedrigen Gaststube mit viel Holz und Hirschgeweih einhergeht, und bietet eine vorzügliche Küche. Die „Forelle blau“  fällt buchstäblich von den Gräten und überzeugt durch ihre fast puristische Zubereitung ohne modischen (Gewürz-)Schnickschnack. Auch Dauergästen bietet der Gasthof ein hervorragendes Preis-/Leistungsverhältnis.

Frank Raudszus

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