Zwei Stunden Bach in hoher Konzentration

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David Fray präsentiert beim Rheingau Musik Festival bei der „Bach-Klaviernacht I“ im Laiendormitorium des Klosters Eberbach eine breite Werkpalette.

Die „Bach-Klaviernacht“ hat sich beim Rheingau Musik Festival mittlerweile zu einer festen Tradition entwickelt. Während bei anderen pianistischen Abenden unterschiedliche Komponisten zu Gehör kommen, stehen an diesen Abenden ausschließlich Werke von Bach auf dem Programm. Abgesehen davon, dass diese Festlegung schon wegen der Konzentration auf einen Musikstil hohe Aufmerksamkeit vom Publikum verlangt, bieten die Klavierwerke von Johann Sebastian Bach alles andere als unterhaltsame oder gar schmissige Musik. Eine solche „Klavier-Nacht“, die natürlich eher ein Abend ist (21 bis 23 Uhr), eignet sich daher im Grunde genommen nur für Liebhaber der Klaviermusik und des Leipziger Thomaskantors. Eine genaue Kenntnis der einzelnen Musikstücke ist ebenfalls sehr dienlich, und die mehr oder minder ausgeprägte Beherrschung des Klaviers hilft darüber hinaus beim Verständnis der Schwierigkeiten und der gezeigten Leistungen außerordentlich.

David Fray

David Fray

Für die erste „Bach-Klaviernacht“ hatte man den jungen französichen Pianisten David Fray gewinnen können, der bereits im Jahr 2012 mit Sonaten von Mozart und Beethoven überzeugt hatte. Sein Programm hatte er allerdings umgestellt: statt der Toccata und Partita in c-Moll hatte er die ersten acht Präludien und Fugen aus dem „Wohltemperierten Klavier, Band I“ ins Programm genommen und sie gleich an den Anfang gestellt, denn diese ursprünglich zu klavierpädagogischen Zwecken geschriebenen Stück eignen sich hervorragend, um einen Klavierabend einzuleiten. Wer jedoch darin nur eine Sammlung von Etüden für Klavierschüler sieht, irrt gewaltig. Diese 24 Präludien und die zugehörigen 24 Fugen stellen eine einzigartige Sammlung höchst anspruchsvoller Musikstücke dar, die nicht nur technisch sondern auch interpretatorisch hohe Anforderungen an den Pianisten stellen. Nicht umsonst haben die meisten großen Pianisten diese Stücke in ihr Repertoire aufgenommen.

Der besondere Reiz dieser Sammlung besteht darin, dass sie systematisch durch alle Tonarten gehen und dabei für jeden Grundton – c, cis, d, …usw. – sowohl die jeweilige Dur- und Moll-Variante durchspielen. Darüber hinaus legt jedes Stück den Schwerpunkt auf andere technische und musikalische Aspekte, so dass ein Pianist, der alle 48 Stücke des ersten Bandes fehlerlos spielen kann, schon zu der Spitzengruppe gehört. Erschwerend kommt hinzu, dass man heute von den Solisten verlangt, die Folge dieser Präludien und Fugen aus dem Gedächtnis zu spielen.

David Fray verzichtete bei seiner Interpretation auf besondere Effekte. Das Einzige, was auffiel, war der durchaus bewusste Einsatz des Pedals. Eine stakkato-haftes, kompromisslos kühl aus den Tasten gemeißeltes Spiel ist seine Sache nicht. Man kann sogar sagen, dass er dem einen oder anderen Präludien oder sogar mal einer Fuge einen frühromantischen Aspekt abgewann, etwa mit einem vollen Legato-Klang oder einigen gezielt gesetzten Ritardandi. Nun liefert die Interpretation des „Wohltemperierten Klaviers“ schon seit langem viel Stoff für anhaltende, teilweise heftig geführte Diskussionen. Da sind die Puristen, die diese Stücke am liebsten ganz ohne Pedal und mit deutlich voneinander abgesetzten Noten hören wollen, und da sind ihre Gegner, die dahinter emotionslose Kälte sehen, die Bach so sicher nie gewollt hätte. Aber kennt jemand wirklich die Absichten des Komponisten? David Fray hat sich seinen eigenen Reim auf Bachs Präludien- und Fugensammlung gemacht und stellte eine eher gemäßigte Variante vor. Schon das C-Dur-Präludium kommt mit zurückgenommenem Tempo, deutlichen Pedaleinsätzen und einigen bewussten Ritardandi daher, und die verwandte Fuge ebenfalls mit deutlichem Pedal und einem forcierten Schluss. Das Präludium in c-Moll spielte er wesentlich langsamer als zum Beispiel Daniel Barenboim, teilweise akzentuiert und gestochen scharf, am Ende erstaunlich verhalten, und in der c-Moll-Fuge setzte er die einzelnen Töne deutlich voneinander ab.

Mit dem Cis-Dur-Duo nahte dann der erste Höhepunkt, weist doch das Präludium erhebliche technische Schwierigkeiten auf – die Fray natürlich bravourös meisterte -, während der Solist bei der doppelt langen Fuge den Spannungsbogen wesentlich länger als üblich aufrecht erhalten muss. Das cis-Moll-Präludium wiederum bietet sich in seinem langsamen, fast verträumten Gestus für eine gewisse Romantisierung an, während bei der zugehörigen Fuge fünf Stimmen voneinander zu trennen und doch miteinander zu vereinen sind. Diese wegen der Anordnung der Anfangstöne auch „Kreuz-Fuge“ genannte Fuge ist wohl eine der introvertiertesten und tiefgründigsten. Auch hier erfordert die Überlänge wieder höchste Konzentration des Pianisten, um den Spannungsbogen nicht abreißen zu lassen. Das D-Dur-Präludium bringt dann wieder etwas Leben und Leichtigkeit in die Folge, und auch die Fuge ist von spielerischem Reiz, fast ein wenig rokokohaft.

Mittlerweile war die musikalische Aufmerksamkeit des Publikums – so es denn bereit und in der Lage war, die musikalische Struktur nachzuvollziehen – bereits bis an die Grenze gefordert. Es folgten jedoch noch – nach dem Duo in d-Moll – zwei Präludien und zwei Fugen in Es-Dur und es-Moll, die in ihrer Komplexität – vor allem die Fugen – das Fassungsvermögen des normalen Zuhörers fast ein wenig überforderten. Als David Fray schließlich den letzten Akkord der es-Moll-Fuge setzte, ging erst ein fast leises Aufatmen durch die Reihen der Zuschauer, bevor der begeisterte Beifall einsetzte. Auch David Fray wirkte ein wenig erschöpft nach dieser konzentrierten Parforce-Tour durch die acht Präludien und Fugen, und man gönnte ihm die ausgedehnte Pause, die es auch den Zuhöreren erlaubte, wieder zu sich zu finden.

Der zweite Teil war dann etwas gefälliger als der erste. Er begann mit der Toccata in e-Moll, BWV 914, die sich durch freie Improvisationen auszeichnet, die nach einem expressiven Adagio schließlich in einer Fuge enden. Doch erscheinen sogar diese Fugen leichtgängiger als ihre Schwestern im „Wohltemperierten Klavier“ und fordern wegen ihrer Einbettung in einen eingängigere Umgebung nicht die gleiche hohe Konzentration des Zuhörers wie die kompakte Folge des „Wohltemperierten Klaviers“. David Fray präsentierte dieses Stück fast wie ein kleines Intermezzo, das dem Publikum nach der Anstrengung des ersten Teils und der Pause die Möglichkeit gab, sich wieder in der Musik zurechtzufinden. Nach diesem relativ kurzen Stück öffnete Fray dann jedoch mit der Partita in e-Moll, BWV 830, wieder einen neuen, langen und anspruchsvollen Spannungsbogen.  Das Stück beginnt mit einer strahlenden Toccata, die in eine weitgespannte Fuge übergeht. Dann folgt eine streckenweise fast verträumte Allemande mit vielen Verzierungen, anschließend eine vorwärts drängende Corrente (Courante). Die langsame Air setzt einen Ruhepunkt in dem komplexen Spiel der Variationen und Fugato-Elementen, bevor Bach in den letzten drei Sätzen – einer Sarabande, einer Gavotte und einer Gigue – mit einer ununterbrochenen, äußerst dichten Folge von musikalischen Höhepunkten noch einmal alle musikalischen Register zieht. Hier fühlte man sich wieder an die Komplexität des ersten Teils erinnert, und David Fray musste alle Konzentration aufbieten, um die Spannung in diesem komplexen Geflecht der Akkorde, Läufe und fugischen Verschränkungen aufrecht zu erhalten. Das gelang ihm allerdings auf hervorragende Weise, und durch sein kompromissloses, meist vorwärts drängendes und nur in ausgewählten Momenten zurückgenommenes Spiel hielt er das Publikum bis zum letzten Akkord in Atem.

Begeisterter Applaus eines am Schluss doch leicht ermüdeten Publikums dankte ihm  für seinen außergewöhnlichen Auftritt, und dafür bedankte er sich wiederum mit Ferruccios Busonis Bearbeitung von Johann Sebastian Bachs Kantatate „Nun komm, der Heiden Heiland“, das dem Publikum eine etwas modernere und weniger strenge Version Bachscher Musik nahebrachte.

Frank Raudszus

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