Christian David: „Sonnenbraut“

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Ein desillusionierender Kriminalroman über die gesellschaftlichen Innereien Wiens.

Nur eine Kleinigkeit, aber eine symptomatische: der Rezensent hat über nahezu 500 Seiten vergeblich versucht, eine Beziehung des Romantitels zum Inhalt herzustellen. Das mag am Rezensenten liegen, zeigt jedoch zumindest eine nicht sofort eingängige Denkweise des Autors.

1504_sonnenbrautDie Handlung dieses Romans ist denkbar kompliziert und wird weiterhin dadurch vernebelt, dass der Autor möglichst viele Themen in die Handlung packen will: die Wiener Kunstszene, die – natürlich inkompetenten oder intriganten  – Politiker, die Eifersüchteleien und Revierkämpfe in der Polizei, die Psychiatrie, den Feminismus, eine erfolgsgeile Journaille, die organisierte Kriminalität und nicht zuletzt den wegen seiner Nonkonformität und Offenheit bei den höheren Rängen verhassten Polizeikommissar (der natürlich den Fall löst). Nach diesem Buch hat man den Eindruck, ganz Österreich – vor allem Wien – sei eine einzige Kloake der Korruption und Kriminalität.

Den Inhalt detailliert wiederzugeben, würde wegen der Komplexität den Rahmen einer Rezension sprengen. In einer psychiatrischen Praxis findet eine Geiselnahme statt. Der Geiselnehmer fordert ausdrücklich Kommissar Belonoz – den besagten Querkopf – als Verhandlungspartner an, obwohl das polizeiliche Einsatzkommando bereit steht. Trotz Belonz´Einsatz wird der Geiselnehmer erschossen, der sich jedoch nach Abnehmen der Maske als eine Geisel herausstellt. Kurz danach wird der bei der Geiselnahme nicht anwesende Psychiater ermordet aufgefunden. Dabei erinnern die Umstände an die grausamen Bilder mit männlichen Opfern, die eine vor zehn Jahren am Suizid gestorbene junge Künstlerin gemalt hat und die jetzt im Rahmen einer großen Ausstellung wieder an die Künstlerin erinnern sollen.

Parallel dazu meldet eine Frau die Entführung ihres minderjährigen Sohnes, den der geschiedene Ehemann von der Schule für Hochbegabte(sic!) hätte abholen sollen. Per SMS läuft eine hohe Lösegeldforderung ein. Kurz danach wird eben dieser Ehemann in derselben Art aufgefunden wie der tote Psychiater, und einen Tag später ein hoher Beamter. Es sieht ganz nach einer Racheaktion an Männern aus. Die Tatsache, dass die Mörder den Leichen das Zeichen einer feministischen Gruppe in die Stirn geritzt haben, legt eine weitere Spur.

Kommissar Belonoz wird von der Politik unter fadenscheinigen Vorwänden vom Dienst suspendiert, der Leser ahnt jedoch sofort, dass er diese unfreiwillige „Dienstbefreiung“ zu privaten Recherchen nutzen wird. An seiner Stelle soll sich eine noch junge Staatsanwältin, die im Sommer davor einen Fall zusammen mit Belonoz erfolgreich gelöst hat, um beide Fälle kümmern.

Jetzt beginnt eine Jagd nach Indizien und Zeugen, die vor allem von dem kriminalistischen Gespür der Staatsanwältin und dem kompromisslosen Wühlarbeit des suspendierten Kommissars geprägt ist. Die Staatsanwältin ahnt sofort – mitten in dem Mord- und Entführungschaos – die richtigen Zusammenhänge, doch der Leser erfährt keine Details ihrer Überlegungen sondern muss ihre intellektuelle Einzigartigkeit einfach akzeptieren. Zwar kennt auch sie anfangs nicht den Täter, aber folgt sofort der richtigen Spur. Der Autor verfolgt dabei eine zum üblichen Krimi gegensätzliche Strategie: wenn das Foto eines Verdächtigen gezeigt wird, weiß der Leser nie, um wen es geht, aber die handelnden Personen schon. Damit ist der Leser nicht den Akteuren voraus, sondern diese ihm. Die Vorgehensweise ist durchaus legitim, wirkt jedoch bei mehrfacher Anwendung etwas bemüht, da die Absicht, den Leser herauszuhalten, zu deutlich zutage tritt.

Natürlich löst die Staatsanwältin in heimlicher Zusammenarbeit mit dem urlaubenden Kommissar den Fall auf den letzten Seiten, und der Leser erfährt den Namen des Mörders auch erst hier. Es versteht sich von selbst, dass dieser zwar schon mehrfach aufgetreten ist, aber nicht als Verdächtiger. Wen man am wenigsten verdächtigt, der ist es. Alte Krimiweisheit. Darüber hinaus wird auch der große Strippenzieher im Hintergrund eingeführt, dessen man nicht habhaft werden kann, da er sich nicht selbst die Hände schmutzig macht. Auch dies ein durchaus übliches – ja – Klischee, vor allem, weil in dieser Person alles Kriminelle, Asoziale und Heuchlerische zusammenkommt, das man sich denken und als Metapher für den moralischen Verfall einer Gesellschaft verwenden kann.

Christian David verfügt über die Fähigkeiten, einen spannende und dichten Kriminalroman zu schreiben, und wendet diese auch konsequent an. Die einzelnen Kapitel sind prägnant, weisen Tempo und Dichte auf und bringen jedesmal zum Ende so etwas wie einen „Cliff Hanger“, der bis zum nächsten Auftreten der jeweiligen Protagonisten anhält. Die handelnden Personen beschreibt der Autor mit schneidender Schärfe, die allen eine gewisse Eindimensiionalität verleiht. Der Minister ist eine hochgespülte Landpomeranze mit Selbstüberschätzung und typisch männlichen Schwächen, sein Kabinettschef ein hochintelligenter und wie eine Maschine funktionierender Intrigant. Die Kunstmäzenin ist eine ekelhafte Type, die alle um sie herum die Macht des Geldes spüren lässt, ihre Umgebung besteht aus Schleimern und devoten Bewunderern. Die Mutter des entführten Jungen ist ein Kotzbrocken erster Güte, ihr Ex ein weichlicher Schöngeist, diverse andere Nebenpersonen sind arrogant, oberflächlich, schwatzhaft oder überheblich (oder alles zusammen). Die ermittelnden Polizisten, üblicherweise für das Gute und Wahre zuständig, erfüllen diese Funktion hier zwar auch, zeigen aber über ihre Funktion hinaus kaum menschliche Züge, schon gar keine alltäglichen Schwächen. Nur den untersten Chargen der Polizei schreibt der Autor Eigenschaften wie Bequemlichkeit und Denkfaulheit zu, was für sich spricht.

Letztlich baut David das Bild einer zutiefst egoistischen und egozentrischen Gesellschaft auf, die keine Moral und keine Werte kennt. Ob dies die Überzeugungen des Autors widerspiegelt oder nur als literarische Methode im Sinne eines kompromisslosen Werks zu verstehen ist, bleibt offen. Allerdings sind auch einige handwerkliche Schwächen zu verzeichnen. So bleibt das Motiv des Mörders etwas im Dunkeln bzw. reicht nicht aus, um die grausamen Morde nachvollziebar zu erklären. Der heimliche Strippenzieher wird nur namentlich erwähnt aber nie als Person vorgestellt. Dadurch bleibt er als Hauptschuldiger blass. Der – vermutliche – Mittäter des Mörders wird überhaupt nicht entlarvt – vielleicht eine Petitesse -, und auch manche andere, dünnere Fäden bleiben am Schluss in der Luft hängen. Ganz zum Schluss gönnt der Autor dem Leser aber doch noch eine überraschende Pointe, die zwar aus dem Nichts auftaucht aber doch noch einmal ein neues Licht auf das gesamte Geschehen wirft.

Das Buch „Sonnenbraut“ ist im Verlag Deuticke erschienen, umfasst 487 Seiten und kostet 19,90 Euro.

Frank Raudszus

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