Metamorphose eines Klassikers

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Christof Loy inszeniert in Frankfurt Mozarts „Cosi fan tutte“ als Tragikomödie.

Eine Szene im zweiten Akt wird durch eine kleine Nebenhandlung zur Schlüsselszene der ganzen Inszenierung. Nachdem Guglielmo Dorabello endlich „rumgekriegt“ hat, und während sich Fiordiligi in einer langen Arie ihre Gewissensnot ob der drohenden Verführung durch Ferrando von der Seele singt, lehnt Dorabella seelisch vernichtet an der Wand im Nebenraum, und der dazukommende Guglielmo erkennt plötzlich, was er und Ferrando angerichtet haben. Lautlos spielt sich auf dieser kleinen Nebenbühne ein seelisches Drama ab, das ganz im Sinne der fraktalen Theorie im Kleinen das Große widerspiegelt. Die ursprünglich als spielerische Wette begonnene Verführung der eigenen Verlobten entwickelt eine gefährliche Eigendynamik und verkehrt sich vom Komischen ins Tragische.

hinten: Michael Nagy (Guglielmo), Daniel behle (Ferrando), Simon Bailey (Don Alonso) vorne: Barbara Zechmeister (Despina), Juanita Lascarro (Fiordiligi), Jenny Carlstedt (Dorabella)

hinten: Michael Nagy (Guglielmo), Daniel behle (Ferrando), Simon Bailey (Don Alonso) vorne: Barbara Zechmeister (Despina), Juanita Lascarro (Fiordiligi), Jenny Carlstedt (Dorabella)

Das Bühnenbild hat Christof Loy praktischerweise von der „Arabella“ entlehnt, das heißt, wahrscheinlich war die Reihenfolge eher umgekehrt. Wie dort erwartet den Besucher wieder eine leergefegte Bühne, deren Guckkasten-Anordnung nur aus den weißen Seitenwänden und der gleichfarbigen Rückwand besteht. Beinhaltete das Bühnenbild bei der „Arabella“ noch das – wenn auch karge – Interieur eines großbürgerlichen Haushalts des 19. Jahrhunderts, so trübt hier keine einzige Requisite das reine – undschuldige? – Weiß der Wände. Nur einmal, im zweiten Akt, wenn das Libretto einen Baum erwähnt, unter dem man sich treffen will, gibt die Rückwand einen Ausschnitt des rückwärtigen Bühnenraumes frei – mit einem Baum darin! Ansonsten spielt Bühnenbildner Herbert Murauer wieder mit den beiden türenbewehrten Querwänden, die dann und wann von links und rechts auf die Bühne geschoben werden und dadurch die kleinen Nebenbühnen schaffen, von denen im einleitenden Absatz die Rede war. Die Türen dieser Querwände spielen eine wichtige dramaturgische Rolle, versuchen doch die Protagonisten immer wieder, wenn die Entwicklung ihnen über den Kopf wächst, durch sie der prekären Situation zu entkommen – nicht immer mit Erfolg. Da die Bühne keinen Verweis auf die zeitliche Einordnung gibt, kann es sich Murauer mit den Kostümen leicht machen. Er lässt die zu verführenden Damen – Fiordiligi und Dorabella – anfangs im „kleinen Schwarzen“ und hohen Schuhen auftreten, elegant aber nicht auffallend, die beiden leichtsinnigen Verlobten Guglielmo und Ferrando in schwarzen Anzügen mit weißen Hemden. Don Alonso, dessen Rolle Loy von Anfang an mephistophelisch anlegt, grenzt sich von ihnen durch einen grauen Anzug ab, die Haushälterin Despina trägt die standesgemäße schwarzweiße Kluft der Bediensteten. Die Aktualisierung – das heißt eigentlich „Zeitlosigkeit“ – von Bühne und Kostümen liegt sozusagen auf der Hand, da das Thema dieser Oper nun wirklich an keine bestimmte Epoche gebunden ist.

Eigentlich könnte es allen gut gehen. Guglielmo und Fiordiligi bilden ein Paar, und Fiordiligis Schwester Dorabella ist mit Ferrando verlobt. Doch als sich die beiden Galane der Schönheit und Treue ihrer Bräute zu sehr brüsten, sticht den alten Don Alonso der Hafer und er zweifelt offen an der Beständigkeit der beiden Frauen. Nach einem kurzen verbalen Schlagabtausch, der sich fast bis zum Duell steigert, schließen die drei eine Wette ab: Guglielmo und Ferrando ziehen zum Schein in den Krieg und kehren in der Verkleidung reicher Ausländer zurück, um ihre eigenen Verlobten auf die Probe zu stellen. Gesagt, getan – das perfide Projekt wird mit Handschlag besiegelt, und die beiden jungen Männer ziehen unter lautem Wehklagen der jungen Frauen in den vermeintlichen Kampf. Auch die Rückkehr klappt insofern, als weder die Haushälterin Despina noch die beiden Frauen die reichen Fremden erkennen, die sich ihnen anschließend in Liebe entbrannt zu Füßen werfen. Loy verzichtet dabei auf eine kunstvolle Verkleidung und deutet sie nur durch ein wenig schrille Freizeitkleidung an. Die Fiktion kann die perfekte Verkleidung behaupten und den Rest der Phantasie des Zuschauers überlassen. Im restlichen Verlauf der Handlung geht es eigentlich nur noch darum, die beiden standhaften Frauen zu verführen und sie ihre Verlobten vergessen zu lassen. Dass dies nicht so ganz einfach ist, ergibt sich schon allein aus der Mindestlänge der Oper, die mit Handlung gefüllt sein will, doch am Ende schaffen es beiden Männer dank der wahrhaft gemeinen Einfälle Don Alonsos, der um seinen Einsatz fürchtet. Dabei müssen dann auch schon vorgetäuschte Selbstmorde helfen, um erst das Mitleid, dann das Mitgefühl und schließlich nur noch das Gefühl der Genarrten zu wecken. Der besondere Witz bei der ganzen Scharade ist dabei, dass die beiden jungen Männer jeweils die Freundin des anderen umwerben, natürlich mit dem Hintergedanken, selbst erfolgreich zu sein, während die eigene Verlobte standhaft bleibt…..

Juanita Lascarro (Fiordiligi) und Jenny Carlstedt (Dorabella)Juanita Lascarro (Fiordiligi) und Jenny Carlstedt (Dorabella)

Juanita Lascarro (Fiordiligi) und Jenny Carlstedt (Dorabella)Juanita Lascarro (Fiordiligi) und Jenny Carlstedt (Dorabella)

Eine bemerkenswerte und für die damalige Zeit provokante Rolle spielt die Haushälterin Despina. Zwar übernimmt in den meisten Opern dieser Zeit das Dienstpersonal eine pragmatische Position ohne die Allüren und den Dünkel des Adels, aber die offene Rebellion gegen die herrschenden Konventionen wagt keine dieser Figuren. Ganz anders Despina: die um ihre in den vermeintlichen Krieg gezogenen Verlobten jammernden Frauen beglückwünscht sie zu dem Interesse der reichen Ausländer und empfiehlt ihnen, mitzunehmen, was sich ihnen bietet. Nebenbei klärt sie die beiden darüber auf, dass zwei Liebhaber besser seien als einer. Despinas offene Verachtung der üblichen Anstandsregeln beschränkt sich nicht auf ein oder zwei erheiternde Szenen, sondern zieht sich durch die ganze Oper, so dass sie wie ein kontinuierliches subersives Element wirkt. Man könnte sie als Eva sehen, die den beiden Frauen in schöner Regelmäßigkeit den Apfel der Erkenntnis vorhält und wortreich dessen Geschmack preist. Heute weckt diese Figur dank ihrer erfrischenden Direktheit durchaus Heiterkeit beim Publikum, zu Mozarts Zeiten wohl eher Empörung. Die Reaktionen auf die ersten Aufführungen waren denn auch entsprechend.

Ganz anders dagegen Don Alonso, der durchaus in das Konzept der – nicht nur! – damaligen Doppelmoral passt. Ein ausgewachsener Intrigant, der sein Umfeld durch seine Beredsamkeit und Schläue beliebig manipuliert und seinen Zwecken dienlich macht. Alonso würde die geltenden Konventionen nie direkt negieren, er bezweifelt einfach deren Einhaltung durch die schwachen Menschen und sät auf diese Weise Misstrauen und Zweifel, wo bisher keine waren. In diesem Sinne entspricht Don Alonso ganz Goethes Mephisto, der ebenfalls mit hoher Eloquenz seine Sottisen und satirischen Kommentare zu der Welt der bürgerlichen Konventionen abfeuert und damit eben diese Welt unterminiert. Auf der anderen Seite ist Don Alonso auch der Aufklärer – nicht umsonst ist diese Oper im Jahr der französischen Revolution entstanden -, der alles Bestehende hinterfragt und keine Konvention als gegeben hinnimmt. Mozart und Da Ponte haben ihn weniger als revolutionären Aufklärer denn vielmehr als Aufrührer im zwischenmenschlichen Bereich angelegt, und Loy hat ihm wieder etwas von Mephisto zurückgegeben. Wie er zwischen den Männern und Frauen hin- und herspringt, um ja die Glut der Verführung und des Misstrauens am Glimmen zu halten, das erinnert an ähnliche Szenen in Goethes Monumentaldrama. Damit wird Don Alonso in Loys Inszenierung zur tragenden Figur, die immer wieder die Handlung antreibt, wenn diese aufgrund der Standhaftigkeit der Frauen oder der darob stolzen Männer zu erlahmen droht. Und zur Not sucht sich der Teufel halt Komplizen, um seinen Plan zu vollenden. Despina kommt ihm da gerade recht.

Die Handlung bietet sich natürlich geradzu für eine Burleske an. Das Ganze als spaßige Komödie um Verführung und Verführtwerden aufzuführen, liegt nahe, wobei man allen Protagonisten – und auch den Zuschauern – grundsätzlich einen lockeren Umgang mit persönlichen Beziehungen unterstellt. Doch Christof Loy sieht es anders. Für ihn steht zumindest an einem Ende einer Beziehung ein Mensch, der sich sehr weit in diese eingebracht hat und sich mit ihr identifiziert. Eine Opferung der Beziehung nur aufgrund einer guten Gelegenheit kommt diesen Menschen mehr als leichtfertig und zutiefst unmoralisch vor. Wobei die Moral in diesem Fall nicht einer bloßen Konvention entlehnt ist sondern sich aus der eigenen Gefühlswelt entwickelt hat. Untreue muss diesen Menschen sowohl als Opfer wie auch als Täter als schreckliche Verfehlung vorkommen, da sie den sich engagierenden Partner ins Mark trifft. Bei Mozart übernimmt Fiordiligi die Rolle der ernsthaften Frau, die sich von Anfang strikt gegen eine Beziehung mit den Fremden wehrt, diese auch persönlich attackiert und nach jedem kleinen Entgegenkommen in Gewissensnot gerät. Dorabella dagegen kann den beiden Fremden schon bald nach einem der Schicklichkeit geschuldeten Empörungsausbruch sympathische Züge abgewinnen und fällt denn auch als erste Guglielmos Verführungskünsten zum Opfer. Doch anschließend kommt der Katzenjammer, und sie blickt in tiefer Verzweiflung auf den Scherbenhaufen ihres Gefühlshaushalts. Das ist nicht mehr Komödie mit Augenzwinkern, das ist die wahre Tragödie, die hinter jeder scheinbar tagesüblichen „Beziehungskiste“ steckt. Einer leidet immer unter Untreue, einer geht immer zu Boden nach einem solchen Beziehungskonflikt. Und auch die Männer gehen nicht unbeschadet aus dieser Tragikomödie hervor. Nicht nur, dass sie zu Lasten Ihrer Eitelkeit feststellen müssen, dass der jeweilige Freund die eigene Verlobte becirct hat, nein, sie erkennen in diesem Schock die eigene Gemeinheit, die darin besteht, erst die Frauen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen mit aller Macht und allen Tricks in Versuchung zu führen und sie dann eben deshalb der Unmoral zu bezichtigen. So kommt auch das „gute Ende“ samt Doppelhochzeit am Ende ein wenig wie eine Lösung à la „deus ex machina“ daher und strahlt keine hohe Glaubwürdigkeit aus, denn im Grunde genommen sind alle vier Beteiligten seelisch am Boden zerstört: die Frauen ob des hinterhältigen Betrugs ihrer Männer, die Männer ob der selbst geschürten Untreue der Frauen, der Rücksichtslosigjkeitkeit des Freundes und letztlich ob der eigenen Gemeinheit. Da fällt das Lächeln bei der Hochzeit recht verkrampft aus!

Noch einmal das gesamte Ensemble

Noch einmal das gesamte Ensemble

Nur Don Alonso alias Mephisto kann zufrieden sein, hat sich seine Theorie doch schön bestätigt und hat er doch dabei noch einen netten Batzen Geld verdient. Vor allem ist es ihm gelungen, den – vielleicht nur scheinbaren – Frieden zwischen seinen Mitmenschen zu stören und durch ein permanentes Misstrauen zu ersetzen. Loy charakterisiert Don Alonso als Hintergrund-Revolutionär – man könnte auch sagen Sympathisant -, dem es in erster Linie um die Destabilisation der Verhältnisse geht, die ihm wiederum Vorteile verschafft, auch wenn diese nur in der Bestätigung des Egos bestehen.
Doch bei aller Ernsthaftigkeit des Geschehens vergisst Loy den komischen Aspekt der Handlung nicht. So spielt er die langsame Verführung mit all ihren Verrenkungen und vorgetäuschtem Widerstand genüsslich aus und legt immer wieder „Generalpausen“ ein, bei denen die Protagonisten in prekären Situationen bisweilen bis zu einer Minute lautlos und ohne Musik auf der Bühne stehen und ratlos sich oder das Publikum anschauen. Allein dieser „Haltepunkte“ sind schon den Besuch der Aufführung wert.

Die Darsteller machen dabei mit vollem Engagement mit und lassen dadurch die Inszenierung zu einem besonderen Erlebnis werden. Jenny Carlstedt ist nicht nur eine schön anzuschauende sondern auch erotisch durchaus interessierte Dorabella, die mit allerlei Übersprunghandlungen – Zupfen am Kleid, Ordnen der Haare, Spielen mit dem Schmuck – ihre Nervosität und ihr erotisches Interesse überspielt. Ihr klarer und allen Lagen gewachsener Sopran kommt vor allen in ihren lyrischen Arien zum Tragen. Juanita Lascarro spielt die Fiordiligi mit viel Energie und Wut über die Frechheit der Fremden. Als Antipodin der eher nachgiebigen Dorabella kann sie sich vor allem in den dramatischen Arien positionieren und besticht durch ihre außerordentlich ausdrucksstarke und dennoch immer mühelos wirkende Sopranstimme.
Bei den beiden Männern ist die Aufteilung ähnlich. Michael Nagy übernimmt als Guglielmo die eher aggressive, bisweilen unverschämte Rolle, wobei ihm sein kräftiger Bariton sehr gut zustatten kommt. Daniel Behle dagegen besetzt den sensiblen Part und überzeugt vor allem in seinen lyrischen Arien durch seine Ausdrucksfähigkeit auch in leisesten Passagen. Simon Bailey ergänzt die beiden mit seinem kräftigen Bassbariton, der die zentrale Rolle des Don Alonso mühelos trägt und gestaltet. Bei den Frauen gewinnt als „Dritte im Bunde“ Barbara Zechmeister durch ihre freche und direkte Art und natürlich auch durch ihre sichere Stimme schnell die Herzen der Zuschauer.

Das Frankfurter Museumsorchester stand dieses Mal unter der Leitung von Hartmut Keil, der Mozarts Musik oftmals kammermusikalische Aspekte abgewann, was ja angesichts des kleinen Ensembles auf der Bühne naheliegend ist. Auf diese Weise schafft er trotz des großen Saales oftmals eine intime Atmosphäre, sodass sich die Zuschauer fast wie bei einer Privataufführung fühlen. In dramatischen Momenten jedoch oder wenn der Chor auftritt, steigert sich das Orchester geschmeidig zu entsprechender Dynamik und Präsenz. Auffallend auch die Transparenz der Instrumentierung, bei der sich jedes Instrument identifizieren ließ, und die Prägnanz bei der Ausarbeitung der einzelnen Motive. Das Tempo passt sich dem Bühnengeschehen nahtlos an – keiner treibt den anderen – und Pausen sind geradezu strategische Elemente in dieser Inszenierung.

Das Publikum spendete bei der immer noch sehr gut besuchten Aufführung – die Inszenierung läuft schließlich schon seit der letzten Saison – begeisterten Beifall wie bei einer Premiere und sparte auch nicht mit „Bravo“-Rufen.

Frank Raudszus

Alle Bilder © Wolfgang Runkel

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