Die Krönung der Symphonie-Reihe Beethovens: Nr. 9 – Freude, schöner Götterfunken

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Die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle lobpreisen Beethovens finales Meisterwerk

Ludwig van Beethoven

Ludwig van Beethoven

Man möchte doch zuerst einen Blick auf den Komponisten werfen, um die Hintergründe der Entstehung der überaus bekannten Neunten Symphonie Beethovens zu erhellen. Zu verstehen wäre wohl selbst für den interessierten Beethoven-Liebhaber noch etwas ambitioniert formuliert, denn die Komplexität und Vielschichtigkeit, Abstraktion und gleichzeitige Volksnähe dieses Meisterwerks erfordern durchaus ein detailverliebtes Studium, um die Materie tiefgreifend zu durchdringen. Bekanntlich ist die 9. Symphonie Beethovens letzte, wenn auch die Londoner Philharmonische Gesellschaft ihn 1817 fragte, ob er denn bitte noch zwei Symphonien komponieren könne. Alleine die zeitliche Dimension ist mit unseren Augen heute kaum noch nachvollziehbar, denn die Uraufführung der Symphonie fand dann erst 1824 – also sieben Jahre später statt. Zwischen der achten und neunten Symphonie liegen gar etwa zehn Jahre. In diesem Sinne wäre Beethovens Neunte sicherlich nicht die schlechteste Wahl zur Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie, die eine ähnlich zeitgeschichtliche Dimension zum Erlangen ihrer vollen Pracht zu benötigen scheint. Wie wir auch wissen, war Beethoven in den letzten Jahren seines Lebens zunehmend vom Verlust seines Hörvermögens geplagt. So muss bereits die Komposition maßgeblich mit seinem inneren Ohr stattgefunden haben. Der Uraufführung selbst kann er dann nur vollständig gehörlos beigewohnt haben, denn den frenetischen Applaus in seinem Rücken hatte er gar nicht bemerkt. Erst durch einen Hinweis aufgeweckt, drehte er sich zum Publikum und sah die Begeisterungsstürme mit eigenen Augen. Die Gehörlosigkeit hatte ihn wohl auch zunehmend in die soziale Isolation getrieben. So wird in der Einführung zur Symphonie berichtet, dass er einst einsam abendlich durch ein Dorf schlenderte und sich offensichtlich verlaufen hatte. Durch das Klopfen an die Fensterscheiben waren die Bewohner derart verschreckt, dass es zur polizeilichen Festnahme kam. Zuerst glaubte man ihm seine Behauptung nicht, Beethoven zu sein, und erst der eilig herbeigerufene örtliche Kapellmeister konnte dies erschüttert bezeugen. Beethoven wurde in der Kutsche des Bürgermeisters nach Hause gefahren.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird es diese persönliche Lebenssituation gewesen sein, die sein Schaffen maßgeblich beeinflusst hat. Über das Ausmaß herrscht jedoch einiges an Dissens. Weniger fraglich kommt die gesamtgesellschaftliche und politische Situation zum Tragen, die ihn im frühen 19. Jahrhundert umgab. Die Neunte Symphonie umspannt in geschichtlicher Dimension alles vom Anfang bis zum Ende. Wobei das Ende nicht der Untergang ist, sondern die völlige Einheit in Frieden und Brüderlichkeit. Der malerische Beginn der Symphonie ist wie ein zart schwebender Nebel an einem Morgen vor dem Sonnenaufgang. Dann blinken die ersten Sonnenstrahlen über die weite Flur und lösen den Nebel wie mit Nadelstichen durchsetzt peu-a-peu auf. Das Ganze steigert sich jedoch plötzlich rasant, so dass es erscheint, als traktiere Zeus persönlich die Erde mit Blitzen. Es ist eben ein Stück Schöpfungsgeschichte, die ebenso malerisch wie schmerzhaft oder sogar gewalttätig sein kann. Maynard Solomon sieht in der Neunten Symphonie auch einen „Beweis für Beethovens Wunsch, religiöse und säkular-humanistische Ideen in einer Hand zu halten.“ Das Chorfinale nach Friedrich Schillers Ode „An die Freude“ ist laut Lewis Lockwood der Wunsch nach einer Wiederkehr des verlorengegangenen Idealismus und danach, an einer Synthese der Glaubensinhalte festzuhalten. Schillers Ode kannte Beethoven schon in seiner Jugend. Der erste Wunsch zur Vertonung aus dem Jahr 1793 manifestierte sich dann aber erst nach 1820 unter dem Eindruck politischen Stillstandes und Repression.

Berliner Philharmoniker

Berliner Philharmoniker

Beethovens 9. Symphonie in der Berliner Philharmonie erleben zu dürfen, ist ein ungleich besonderes Ereignis von außerordentlichem Hörgenuss. Die räumliche Dimension des großen Konzertsaals ist gewaltig, und dieser besticht durch seine optisch und klanglich optimierte Komplexität. Es ist schon ein Genuss, den Raum an sich wirken zu lassen und sich dabei auf das Konzert einzustimmen. Unter mehrfachem Applaus betreten dann Orchester und Chor die Bühne. Schließlich schreitet alleine die Erste Violine, laut Programmheft Noah Bendix-Balgley, auf die Bühne. Und zuletzt der große Sir Simon Rattle als Chefdirigent – begrüßt mit nahezu tosendem Applaus! Der Saal verfällt kurz darauf in die völlige Geräuschlosigkeit. Die Schöpfung aus dem Nichts heraus kann beginnen.

Und so ist auch der erste schwebende Ton noch zarter als erwartet. Man fühlt quasi, wie der Nebel sich als Tau auf die sich aus dem Boden reckenden Grashalme ablegt. Ein vermeintlich unendlicher Frieden, der aber schon bald von den ersten Sonnenstrahlen gestreift wird. Bis diese sich wenig später zu Blitzen empor kämpfen und die Ruhe aufbrechen. Es gelingt, mehrere körperliche Schauer auszulösen, was die Eindringlichkeit der Klänge veranschaulicht. Mit unaufhaltsam Vorwärtsdrang arbeitet sich die schöpferische Musik voran und durchbricht unsichtbare Grenzen. Die Kraft der orchestralen Vehemenz ist unbeschreiblich. Dabei wird sie von Sir Simon Rattle immer wieder eingefangen und auf das leiseste Pianissimo zurückgeführt. Hierbei traut man sich kaum noch zu atmen, wenn nur einzelne Bläser oder Streicher den Saal mit Klängen belegen. Aber kurze Zeit später steigert sich wieder alles mittels eines rauschenden Crescendo in ein fulminantes Fortissimo. Die Chor und Solopartien im späteren Verlauf der Symphonie verleihen ihr etwas romantisch Verliebtes – Friedfertiges und Glückseliges. Die Solisten Annette Dasch, Eva Vogel, Christian Elsner und Dimitry Ivashchenko erleuchten den Saal mit Ihren kraftvollen Stimmen. Diese vokale und populäre Freudsehligkeit ist sicher einer der außergewöhnlichsten Charakterzüge, die die Neunte Symphonie von allen anderen abhebt.

Auch wenn das Publikum knapp 200 Jahre der Uraufführung artig ruhig sitzen bleibt, bis der letzte Klang im großen Konzertsaal verhallt, ertönen dann doch sogleich die ersten Bravo-Rufe. Für diejenigen, die sich die gesamte Beethoven Symphonie Reihe zu Gemüte geführt haben, endet an diesem Abend ein epochales Ereignis. Der Applaus ebbt lange nicht ab – und selbst als der Saal bereits halb entleert ist, klatschen viele noch kräftig weiter. Ein letztes Mal zeigt sich Sir Simon Rattle mit den Solisten – mit großer Freude in seiner Mimik.

 

Malte Raudszus

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