Die Protagonistin in Vigdis Hjorths Roman „Wiederholung“ sucht verzweifelt nach Antworten darauf, warum ihre Familie so dysfunktional ist. Während ihre Mutter einem Kontrollwahn unterliegt und die pubertierende ältere Tochter ständig beobachtet und reglementiert, hat der Vater sich völlig zurückgezogen. Er trinkt zu viel Alkohol, spricht nicht mit der Tochter und sucht nicht ihre Nähe. Der einzige Kommentar, den er ab und zu äußert, lautet „Lass doch das Mädel in Ruhe“, wenn seine Frau wieder einmal an der Älteren herumerzieht. Was ist da los? – fragt sich das Mädchen. Warum kann man nicht einfach mit den Eltern kommunizieren?
Was da los ist, ahnt sie tief im Inneren; und sie sucht nach Antworten. Jedoch fürchtet sie den lähmenden Schmerz, der dann auch zu ihr zurückkehren wird. Deshalb kämpft sie gegen seine Rückkehr….
Der Roman widmet sich dieser Spurensuche nach dem Auslöser für die familiären Probleme und insbesondere die Ängste und Hilflosigkeit der Ich-Erzählerin. Sie ringt um Erkenntnis und kämpft um Verständnis bei den Eltern, muss aber immer wieder denselben circulus vitiosus in einer Endlosschleife durchlaufen.
Erst als die Eltern ihr heimlich gehütetes Tagebuch lesen, in dem sie eine heftige Sexszene beschreibt, kommt es in der innerfamiliären Beziehung zu einer Kehrtwende. Allerdings wird diese Wende als radikaler Schritt vollzogen, indem die Eltern ihre ältere Tochter quasi verstoßen. Um selbst weiterleben zu können, trennen sie sich von den beiden älteren Kindern und ziehen mit den beiden jüngeren Töchtern in ein anderes Haus.
Zurück bleibt die Ältere, allein gelassen, aussortiert; sie muss sich selbst retten, indem sie sich außerhalb ihrer selbst stellt. Sie erkennt sich selbst von außen als kleines geschändetes Wesen, dem damals niemand half und dem heute auch niemand hilft, denn „es gibt eine Trauer und einen Schmerz, die abstoßend sind. Sie jagten mich davon und gaben mir dann die Schuld dafür, dass ich ging“.
Es ist schwerer Stoff, den Vigdis Hjorth hier verarbeitet. Wahrscheinlich ist dieser Roman eine Mischung aus selbst Erlebtem und Fiktion – also Autofiktion. Es ist übrigens der dritte Roman, in dem die Autorin das Thema Kindesmissbrauch verarbeitet.
Sollte man den Roman lesen? Ja, unbedingt, um einmal das Seelenleid all der missbrauchten Kinder zu erfahren und um ein wenig zu ermessen, welche Auswirkungen solch Missbrauch ein ganzes Leben lang hat.
Das Buch ist im Verlag S. Fischer erschienen, umfasst 158 Seiten und kostet 22 Euro.
Barbara Raudszus
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