Man hätte diesen Bericht auch mit „Wassermusik – aus der Flasche“ übertiteln können, aber das erschien dem Rezensenten dann doch etwas zu platt. Auch so wird sich der geneigte Leser fragen, was denn die Elemente – und auch noch fünf! – mit Musik zu tun haben. Das erklärte der Perkussionist Alexej Gerassimez zu Beginn des 8. Kammerkonzerts so einleuchtend die locker. Nachdem sein Auftritt im Sinfoniekonzert vor zwei Jahren viel Aufmerksamkeit erregt hatte, konnte er in diesem Kammerkonzert zusammen mit seinen schlagzeugernden Kollegen Nicolai Gerassimez – sein Bruder -, Lukas Böhm, Simon Klavžar und Emil Kuyumcuyan einen ganzen Abend gestalten. Nicht zuletzt wegen der Anzahl benötigter Instrumente hatte man ihm dafür das große Haus zur Verfügung gestellt.
Und so präsentierte sich die Bühne dem Publikum zu Beginn wie der Ausstellungsraum eines Perkussionsunternehmens. Schlagzeug, Marimba, Vibraphon, der obligatorische Flügel und eine Reihe weiterer seltsam anmutender Gegenstände bis hin zu einer Blechtonne füllten die Bühne auf eine Weise, dass die fünf Musiker zeitweise Slalom laufen mussten.
Doch als Beleuchtung die Bühne aus dem Dunkeln holte, stand da erst einmal Alexej Gerassimez an der Rampe, eine ordinäre Plastik-Wasserflasche – blau! – vom Discounter in der Hand und begann, dieser Flasche durch Berührung aller Art Geräusche und Töne zu entlocken. Zwar gelang ihm kein bekannter Pop-Song, aber das war auch nicht das Ziel, denn Gerassimez geht es in erster Linie um Klänge, die man mit nahezu jedem Gegenstand in jeder Materialform – fünf Elemente! – erzeugen und die man mit einem etwas weiter gefassten Verständnis durchaus als „Musik“ bezeichnen kann.
Nach seiner fünfminütigen Demonstration „Wassermusik der Flasche“ erläuterte er dem Publikum den musikalischen Hintergrund dieses Abends und stellte dabei seine Mitstreiter vor. Mit Lukas Böhm zusammen trug Gerassimez auf zwei Marimben mit „Echtonan“ – wohl nur zufällig ein Anagramm von „Echnaton“ -, ein Stück vor, dass die beiden, um drei Sechzehntel verschoben, einer Fuge ähnlich gemeinsam spielten und dabei weitgehenden individuellen Interpretationsspielraum genossen. Der Schwerpunkt lag dabei mehr auf dem Rhythmischen und weniger auf dem Thematisch-Harmonischen.
Es folgte mit Steve Reichs „Music for Pieces of Wood“ ein Stück für fünf Claves (Klanghölzer), wobei ein Spieler (Alexej G.) eine durchgängige Metrik vorgibt und die anderen nacheinander mit eigenen, versetzten Rhythmen einsetzen. Wenn alle spielen, erfordert das höchste Konzentration, den eigenen Rhythmus nicht zu verlieren. Versteht sich, dass die fünf Perkussionisten dieses Spiel perfekt perfekt beherrschten und bis zum letzten, gemeinsamen Schlusston durchhielten.
In „Piazonore“, einer Wortkombination aus Piazolla – der berühmte argentinische Bandoneon-Spieler – und „sonore“ – klingen – ließ Alexej am Vibraphon zusammen mit seinem Bruder am Flügel Piazollas „Libertango“ neu erklingen, und in „Asventura“ zeigte Alexej Gerassimez, welche Klangvariationen man einer Trommel entlocken kann.
Während der erste Teil noch durch nützliche Erklärungen und Kommentare angereichert war, konzentrierten sich die Musiker im zweiten, längeren Teil ganz auf den musikalischen Vortrag einer Reihe von eigenen und fremden Kompositionen. Dabei spielten die Marimba und das Vibraphon eine zentrale Rolle, aber auch Hand-Schlagzeuge, in der eng gestellten Gruppe mit viel Temperament und vokalem Einsatz gespielt, kamen zum Einsatz. Im Hintergrund steuerte Nicolai Gerassimez das Zusammenspiel der zwischen verschiedenen Instrumenten wechselnden Kollegen, und man merkte, dass diese fünf Musiker untereinander perfekt abgestimmt sind. Denn bei so einem, von Improvisation geprägten Konzert spielt neben der fast schon selbstverständlichen individuellen technischen Perfektion auch die exakte Abstimmung eine wesentliche Rolle. Man muss aufeinander hören und die Absichten der Mitspieler erkennen, wenn nicht erahnen, um darauf schlüssig zu reagieren.
Das gelang den fünf Ausnahme-Musikern bis zur letzten Minute des zweieinhalbstündigen Konzerts hervorragend, wenn sie auch das Fassungsvermögen des Publikums in der letzten halben Stunde ziemlich strapazierten. Die den Gesetzen der „minimal music“ mit gefühlt endlosen Wiederholungen desselben Themas mit nur geringfügigen Variationen der Interpretation folgenden Stücke entwickeln zwar ein Gefühl der musikalischen Trance, fordern jedoch die Konzentrationsfähigkeit stark heraus.
Doch das Publikum, offensichtlich hauptsächlich aus Perkussionskreisen stammend, blieb bis zum letzten Ton gespannt und aufnahmebereit, um danach begeistert zu applaudieren. Für engagierte Perkussionisten war das sicherlich ein großer Abend, doch auch andere Musikinteressierte konnten von diesem Konzert viel mitnehmen.
Frank Raudszus
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