Paul Theroux befasst sich in seinem Roman „Burma Sahib“ mit dem Schicksal des neunzehnjährigen Eric Blair, der gerade seinen Abschluss an der Eliteschule Eton gemacht hat und von seinem Vater im Jahr 1922 nach Burma – das heutige Myanmar – geschickt wird. Er soll dort eine Ausbildung als Kolonialpolizist durchlaufen und dabei erwachsen werden – so der Wunsch des Vaters.
Doch Eric ist eher ein sorgenvoller, reflektierter junger Mann und passt nicht in die raue, ausbeuterische Welt der englischen Kolonialbehörden. Seine körperlichen Voraussetzungen – Körpergröße 1,90 Meter – sind gut, denn die Burmese sind eher klein. So strahlt er eigentlich eine natürliche Autorität aus, die ihm aber bei seinen – kleineren! – Vorgesetzten zum Nachteil gereicht.
Seine eigenen Kameraden hänseln ihn gerne wegen seiner Größe und seines elitären Bildungsabschlusses, wobei hier auch der Neid eine Rolle spielt. Die inhaltsleeren abendlichen Unterhaltungen in den englischen Clubs sowie die Sauferei sind Eric Blair ein Gräuel. Doch er versucht, sich so gut wie möglich anzupassen, meidet allerdings die Kollegen, so oft es geht, weil sie ihn langweilen. In seinem Bungalow liest er abends Literatur und träumt davon, Schriftsteller zu werden. Das englische System von Unterdrückung und Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung sieht er kritisch und ahnt, dass es zum Aufstand führen wird.
Seine vorsichtigen Versuche, die Burmesen menschlicher zu behandeln, führen zunehmend zu seiner Ausgrenzung innerhalb seines Kameradenkreises. Hinzu kommt, dass sein Onkel Frank in Burma lebt und dort im Holzhandel erfolgreich ist. Allerdings hat er eine indische Frau geheiratet, und seine Tochter, eine hübsche Eurasierin, zählt in Burma als Mischling und damit nicht zur angesagten Schicht. Für Engländer sind eheliche Verbindungen mit Einheimischen, ob Inder oder Burmesen, ein Tabu, und so kann sich der junge Eric Blair mit diesem Teil seiner Familie im Grunde genommen nicht sehen lassen.
Blair gerät immer mehr ins Abseits, und seine Kritik an Imperialismus und Kolonialismus führt dazu, dass er den Polizeidienst in Burma quittiert und nach England zurückkehrt. Da seine Eltern jedoch hinter dem System des Kolonialismus stehen, kommt es auch zwischen Sohn und Eltern zum Bruch.
Seinen Traum der Schriftstellerei verwirklich Eric Blair unter dem Pseudonym George Orwell. Seine Erlebnisse in Burma verarbeitet er dabei in dem Buch „Burmese Days“, das 1934 erscheint. Blair alias Orwell setzt sich darin kritisch mit dem britischen Kolonialismus und Rassismus sowie der Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung auseinander.
Der Roman „Burma Sahib“ ist mit seinen 586 Seiten ein gewichtiges Werk. Theroux taucht tief in das Unrechts- und Unterdrückungssystem des Britischen Empire ein und beschreibt in der Person des jungen Eric Blair die Leidensstrecke eines gebildeten, empathischen jungen Mannes. Anhand dieses spannenden „coming of age“-Romans lässt er den Leser fast hautnah miterleben, was Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus in der einheimischen Bevölkerung anrichten und wie sie andererseits einen reflektierten, engagierten jungen Mann schier verzweifeln lassen. Gegen dieses System mit seinen ausgefeilten Mechanismen der Unterdrückung kann Blair nicht bestehen. Mit niemandem kann er sich darüber austauschen, und so führt sein Weg zwangsläufig in die Schriftstellerei. Hier kann er verarbeiten, wie die fünf Jahre in Burma sein Denken geprägt haben.
Das Buch ist im Luchterhand-Verlag erschienen, umfasst 586 Seiten und kostet22 Euro.
Barbara Raudszus
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