Wolfgang Klemp: „Irgendwie so total spannend“

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Der Titel dieses Essays des emeritierten Professors für Kunstgeschichte bringt den Inhalt auf den Punkt, denn er löst unter sprachlich engagierten Lesern genau den Affekt aus, der den Autor zu diesem Buch motiviert hat. Da erübrigt sich zwar der Untertitel „Unser schöner neuer Sprachgebrauch“, verweist aber schon auf den Gang der Argumentation.

Klemp hat sich die heute geübte Ausdrucksweise im öffentlichen Sprachgebrauch genauer angeschaut und kommt dabei zu vernichtenden Erkenntnissen, die er aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger des Oberlehrers, sondern mit verhaltener Ironie im Stil einer sachlich-wissenschaftlichen Erkundung vorträgt. Die Kritik an dem öffentlichen Sprachgebrauch kommt nicht explizit durch die externe Instanz des Autors,. sondern ganz allein durch die Fakten selbst zustande.

Es beginnt mit einem praktischen Beispiel, einem Podcast einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt über einen Schriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts, den der Zeitgeist wegen seiner Kriegsliteratur als zumindest fragwürdig betrachtet. Um den sprachlichen Fokus seiner Abhandlung nicht durch inhaltliche Urteile zu verschieben, verzichtet Klemp zu Beginn auf die Benennung des Schriftstellers, aber später stellt er sich als Ernst Jünger heraus.

In dem Podcast entwickeln die drei Teilnehmer – laut einem späteren Kapitel müssten diese eigentlich „Sprachaktteilnehmende“ heißen – ein Meinungsbild über den Schriftsteller, das aus Sätzen wie „… dass es mir auf eine gewisse Weise also erst mal wie anfänglich und dann unsympathisch und dann mir nicht passend und dann auch ein wenig gruselig vorkommt, …“. Man beachte die Häufung von einschränkenden Wörtern, die Klemp als „Weichmacher“ bezeichnet und denen die Funktion zukommt, jede Meinungsäußerung soweit zu relativieren, dass sie bei den Hörern keinen Abwehrreflex auslöst. Außerdem sollen diese „irgendwie“-Varianten auch noch ironisch klingen, so wie ein Experte seine einschüchternde Kompetenz dem Publikum nur dosiert zumutet.

Als Gegensatz zu diesen Weichmachern konstatiert Klemp die übertriebene Zustimmung in Worten wie „total“, „absolut“ und „auf jeden Fall“, die wiederum bei ungefährlichen, weil politisch korrekten Aussagen die eigene Entschlossenheit und Engagiertheit zeigen sollen. An dem Beispielsatz lässt sich auch erkennen, dass man bewusst auf eine geordnete Satzstruktur verzichtet, um so Authentizität zu zeigen. Ein grammatisch und stilistisch geschliffener sprachlicher Vortrag wie etwa von Adorno u. a. in den sechziger Jahren ist heute im Rundfunkt als elitär verschrien.

Klemp interpretiert diese Art der Sprache nüchtern als bewussten Versuch, einen kontinuierlichen Sprachfluss aufrecht zu erhalten, in den die Hörer zu jeder Zeit ein- und aussteigen können. Eine zielgerichtete, auf kausalen Regeln aufbauende Argumentation würde die volle Aufmerksamkeit des Publikums erfordern und damit dessen latente Abwendung riskieren. Das Hören eines Podcasts wird von vornherein als „Nebenaktivität“ eingeschätzt.

Damit kommt er dann zu den Diskursmarkern wie „genau“, die ohne jeglichen inhaltlichen Anlass mitten in die Rede eingestreut werden, um Pausen zu vermeiden. Im Englischen erfüllt diese Funktion das „like“, dem Klemp mehrere Seiten und Literaturzitate aus dem englischen Sprachumfeld widmet

Ein langes Kapitel beschäftigt sich mit dem Gendern. Klemp erwähnt dabei den Topos der „verwalteten Welt“, die gerne mit Passiva und neutralisierten Verben arbeitet. Verwaltungstexte vermeiden die Erwähnung des Menschen und ziehen die Funktion vor. So etwa wird die „Eierfrau“ an der Haustür in „Frischeier im Erzeugerdirektverkauf“ umgemünzt. Außerdem ersetzt das Partizip – Klemp nennt es „Gerundium“ – die Bezeichnung einer handelnden Person, also „Wählende“ statt „Wähler“ und „Studierende“ statt „Studenten“. Der Hinweis, dass dieses Partizip I nur einen momentane Handlung, aber keinen Typus beschreibt, kommt eher dezent daher, weil Klemp genau weiß, welche Motivation gerade bei der Gender-Gemeinde hinter diesem Partizip steckt. Von da an geht es dann in die Sonderzeichen in den Worten wie „*“, „:“ und „_“, denen Klemp nicht nur ein inflationäres Wachstum, sondern vor allem eine ideologische Ausrichtung ersten Ranges attestiert. Kampfschriften einschlägiger Aktivist*nnen fordern Alleingültigkeit für ein bestimmtes Sonderzeichen bei gleichzeitiger ethisch-moralischer Verdammung anderer Sonderzeichen, und das „vice versa“. Der Kampf zwischen den verschiedenen Gender-Lagern hat demnach erst begonnen.

Weiter geht es zu den Adjektiva, bei denen Klemp „schwierig“ und „spannend“ als klare Sieger benennt, wobei beide Worte nicht einen Sachverhalt beschreiben, der dann bewiesen werden müsste, sondern in erster Linie die intellektuelle Befindlichkeit des jeweiligen Sprecher, der mit „spannend“ seine intellektuelle Wachheit und mit „schwierig“ seine ethisch-moralische Sensibilität zum Ausdruck bringt.

Das Buch klingt aus mit einer längeren Abhandlung über „Emojis“, die in den (a)sozialen Netzwerken mittelfristig das gesprochene und geschriebene Wort – nicht zu reden von Argumenten – ersetzen, sowie mit dem sprachlichen Portrait einer Influencerin und ihrer Art, ihren Alltag bis ins kleinste Detail mitzuteilen.

Wer sich für die gesprochene (deutsche) Sprache interessiert, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Dabei kann „man“ – auch ein verbotenes Wort! – die stille Ironie, die Klemps Verzweiflung über den Sprachverfall nur schwach kaschieren kann, genießen und sich an Klemps Stil erfreuen.

Apropos: Am Schluss serviert Klemp einen Absatz aus einem Buch Ernst Jüngers und analysiert dessen großbürgerliche Sprache nach Struktur- und Lautkriterien. Ein kleines Meisterwerk, das zeigt, was Klemp selbst von Jüngers Sprache hält, sei er nun heldenhafter Kriegsautor oder nicht.

Das Buch ist im Verlag „zu Klampen“ erschienen, umfasst137 Seiten und kostet 18 Euro.

Frank Raudszus

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