Um erfolgreich Theater zu spielen, braucht man Phantasie – sowohl bei der Regie wie auch auf der Bühne. Warum sollte man dann nicht eben diese „Kernkompetenz“ des Theaters selbst zum Gegenstand eines Stücks machen? Der im Jahr 2026 verstorbene britische Autor Peter Shaffer hat genau dies getan und in dem Theaterstück „Laura und Lotte“ das schillernde Wesen der Phantasie in den Mittelpunkt gestellt. Die „Neue Bühne Arheilgen“ in Darmstadt hat dieses 1987 entstandene Stück jetzt unter der Regie von Renate Renken auf die Bühne gebracht.
Im Grunde genommen handelt es sich um ein Zweipersonen-Stück, obwohl eine ganze Reihe weiterer Personen mitspielen. Doch die eigentliche Handlung, wenn man sie denn so nennen will, spielt sich nur zwischen zwei Personen ab: Laura und Lotte.
Laura (Anna Baum) führt Touristengruppen durch ein langweiliges historisches Gebäude, über das es im Grunde nicht viel zu erzählen gibt, und ärgert sich selbst über das Desinteresse ihrer Gäste. Und so erfindet sie immer mehr neue Details, bis sich in der vierten Version ihrer Geschichte geradezu Abgründe auftun, die ihre Zuhörer an ihren Lippen hängen lassen. Doch es gibt auch andere, wenn man so will humorlosere Reaktionen, die ihre Vorgesetzte inkognito an einer Vorführung teilnehmen lässt…..
Es kommt, wie es kommen muss: Laura wird zu Lotte Schön (Gabriele Reinitzer), eben dieser Personalchefin, zitiert und erfährt dort erst eine Standpauke und dann die Entlassung.
Damit könnte das Stück zu Ende sein, doch einige Zeit danach klingelt es an der Tür von Laura trister Souterrainwohnung, und vor ihr steht – Lotte schön, voll des schlechten Gewissens. Nach anfangs eher bissigem Wortwechsel kommt man sich näher, Lotte vermittelt Laura einen Job, und man geht gemeinsam essen.
Sprung um etwa ein Jahr: Ein Anwalt (Jens Hommola) redet eindringlich auf Laura ein, sich ihrer Lage bewusst zu werden, da sie wegen versuchten Mordes angeklagt wurde und für Jahre hinter Gittern verschwinden kann. Man hörte Geschrei aus ihrer Wohnung, und die Polizei entdeckte die am Kopf blutende Lotte und daneben Laura mit einer Axt in der Hand. LOtte liegt nicht ansprechbar im Krankenhaus. Laura weigert sich, zu dem Vorwurf Stellung zu nehmen, und die Situation eskaliert fast bis zur resignierten Verabschiedung des Anwalts, als plötzlich Lotte erscheint – mit verbundenem Kopf.
Jetzt entwickelt sich ein längerer Dialog mit dem Anwalt als Zuhörer und Stichwortgeber, in dem es um Phantasie und eine intensive Gestaltung des eigenen Lebens geht. Lotte hatte sich nach einer bewegten Jugend in die Sicherheit eines langweiligen Verwaltungsjobs gerettet, aber eigentlich immer von einem aufregenderem Leben geträumt. Laura dagegen lebte als Tochter einer Schauspielerin schon immer in einer Phantasiewelt und verdrängte dieRealität, so gut es ging. Als diese beiden Frauen aufeinandertreffen, entwickelte sich eine ganz eigene, von Phantasie und Erfindungsreichtum bestimmte Freundschaft.
Wir wollen an dieser Stelle keine weiteren Details verraten, denn selbst Peter Shaffer – und auch Regisseurin Renate Renken – lassen die Zuschauer lange im Unklaren über die wahren Abläufe. Schließlich möchte man ja auch die Spannung halten. Und so führen die beiden Frauen mit Jens Hommolas diskreter Unterstützung einen ganz eigenwilligen Theaterdialog vor, bei dem es eben um die Verwirklichung eigener Phantasien oder zumindest um deren Ausleben geht, ohne das es deswegen zu Mord und Totschlag kommen muss. Im Grunde genommen ist dieses Stück eine selbstreferentielle Hommage an das Theater, und man kann sich als Zuschauer gut vorstellen, dass die beiden Schauspielerinnen viel Spaß an diesem Theater auf dem Theater haben.
Dabei hat Anna Baum den dankbareren Part erwischt, da sie das gesamte Spektrum einer ungebremsten Phantasie ausbreiten kann, während Gabriele Reinitzers Aufgabe darin besteht, diese überschäumende Phantasie mit dem Verweis auf eine nüchterne, oft eben auch langweilige Realität zu bremsen. Beide füllen ihre Rollen überzeugend aus, und so fällt auch kaum auf, dass dieses Stück nur mit einer sehr sparsamen Handlung aufweisen kann. Hier bleibt das Herz nicht stehen vor Spannung, und hier haut man sich nicht lachend auf die Schenkel, sondern man folgt eher mit einem melancholischen Schmunzeln den wunderlichen Wegen der Phantasie.
Das Publikum sah es wohl auch so, denn es verabschiedete das Ensemble mit kräftigem Beifall.
Frank Raudszus
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