Die „Nordwind“ ist ein Segelkutter von knapp 30 Metern Länge, der noch 1945 konzipiert, erst dem Bundesgrenzschutz und dann der Marineschule Mürwik übergeben wurde. Nach einer verschlungenen Lebensgeschichte einschließlich der Drohung einer Verschrottung fand er schließlich, vollständig überholt, seine Bleibe beim deutschen Marinemuseum in Wilhelmshaven, wo er, betreut von ehrenamtlichen Ex-Marinern, Gästefahrten für Seefahrtsbegeisterte aller Altersstufen anbietet.
Anfang August 2025 führte eine solche Reise von Wilhelmshaven über Brunsbüttelkoog und Kiel – durch den Nord-Ostsee-Kanal – nach Rostock zur jährlichen „Hanse-Sail“, wo sich Traditionssegler aller Größenordnung trafen. Wir hatten das Glück, diese Fahrt miterleben zu können.
Vor dem Auslaufen hatte die „Nordwind“ klugerweise vom Marinemuseum an den Bonte-Kai auf der anderen Seite des inneren Hafens verlegt und so den Zugang für Bahnreisende auf einen knapp 500 Meter langen Spaziergang verkürzt. Praktischerweise lag das Boot direkt vor einem ansprechenden Restaurant, in dem man bei frischem Nordsee-Fisch die Zeit bis zum Eintreffen der Besatzung bequem und sättigend verbringen konnte.
Nach Bezug des Bootes und dem persönlichen Einrichten folgte eine ruhige Nacht, und am nächsten Tag, einem Montag, legten wir dann schon gegen acht Uhr morgens ab. Vor der „Kaiser-Wilhelm-Brücke“ – ja, sie heißt tatsächlich noch so! – mussten wir einige MInuten warten, bis sie sich majestätisch – wie es sich bei dem Namen gehört – öffnete, dann ging es am Marinemuseum mit einem eindrucksvollen Bild des Museumsschiffs „Mölders“ vorbei und weiter zur Schleuse. Nach einer weiteren Wartezeit ging es hinaus in den Vorhafen, wo man einen Blick auf die Fregatten und Versorger der Deutschen Marine werfen konnte.
Im Fahrwasser ging es dann zügig unter Motor nach Norden, vorbei an verschiedenen Container- und LNG-Piers, die das Westufer Ostfrieslands zieren. Langsam machte sich der Wettstreit zwischen dem ablaufenden Ebbstrom und der nordwestlichen Dünung bemerkbar. Je weiter wir Richtung der kleinen Insel Mellum vorankamen, desto steiler wurden die entgegenkommenden Wellen – von „Seen“ wollen wir hier noch nicht reden. Die Crew des Bootes nahm diesen sogenannten „Seegang“ gar nicht zur Kenntnis, die Landratten unter den mitfahrenden Gästen mussten sich jedoch erst auf den ungewohnt schwankenden Untergrund einstellen.
Nach Erreichen der Ansteuerungstonne ging es dann im weiten Bogen nach Steuerbord auf Nordost-Kurs, Richtung Cuxhaven, vorbei an der gut befahrenen Wesermündung. Dabei kamen jetzt die Wellen von Backbord querab und brachten das Boot in ein weit ausholendes Rollen,. Was schöner ist: Stampfen oder Rollen, bleibt dabei jedem Einzelnen überlassen. Ein Opfer an Neptun bietet sich zwar in beiden Fällen an, doch an Bord blieben alle standhaft.
Gegen Nachmittag erreichten wir dann Brunsbüttelkoog, nachdem wir die aufgereihte Front verschiedener Frachter abgefahren hatten, die für eine wirtschaftliche Fahrt nach Hamburg auf die Flut warteten. Nach zügiger Schleusung ging es dann im Kanal weiter Richtung Kiel. Hier hieß es einige Male zu warten, um dicke Entgegenkommer durchzulassen, denn größere Schiffe entwickeln mit Bug- und Hecksee einen Sogeffekt, der für kleine Schiffe zum Problem werden kann. also wartet man lieber und schaut sich dabei die kleinen Ortschaften am Kanalufer an.
Nach einem Drittel der Strecke nach Kiel hieß es dann „Anlegen“, denn die Nacht wollte keiner durchfahren. So gab es denn das obligatorische „Einlaufbier“ und anschließend eine kräftige, vom Smutje in der geräumigen Kombüse zubereitete Speise, die den von der frischen Seeluft angeheizten HUnger stillte.
Nach einer ruhigen Nacht in der Steuerbord-Koje ging es dann am nächsten Tag weiter durch den Kanal an Rendsburg und kleineren Orten vorbei nach Kiel, wo wir am späten Nachmittag einliefen. Die Kanalfahrt bietet dabei immer wieder neue Ausblicke, sowohl auf die unterschiedliche Uferbebauung als auch auf die verschiedensten Schiffstypen, die mal das seefahrerische Interesse, mal Ehrfurcht vor der schieren Größe wecken. Das Wetter war uns dabei über die meiste Zeit hold und verwöhnte uns mit Sonne, was in diesem Sommer nicht unbedingt selbst verständlich war.
In Kiel kam dann die böse Überraschung: Unser „LI“ (Leitender Ingenieur) überbrachte und die Hiobsbotschaft eines Ölverlusts, dessen Ursache er (noch) nicht ausgemacht hatte. Die ganze Reise stand plötzlich zur Disposition. An externe Hilfe war angesichts der Tageszeit nicht zu denken, und so warteten alle gespannt, was die weiteren Untersuchungen ergeben wollte. Zwischenzeitlich konnten sich die Gäste den Marine-Stützpunkt mit den unterschiedlichen Schiffstypen – Minenjäger und Versorger – anschauen und sich von den Ex-Marinern Erklärungen einholen.
Am Abend kam dann die teilweise erleichternde Nachricht, dass der Grund des Ölverlusts gefunden worden war, womit jedoch die Behebung noch nicht geklärt war. Wir mussten halt mit einem Fragezeichen schlafen gehen, in der Hoffnung, dass der nächste Tag die Lösung bringen würde. Auf jeden Fall war ein Auslaufen nach Rostock in der Frühe um acht Uhr nicht mehr möglich.
Der nächste Morgen brachte dann einerseits Spaziergänge und Knotenkunde im Hafen, andererseits Kontakte zum Motorenhersteller in Kiel, der glücklicherweise ausgesprochen hilfreich agierte. Und tatsächlich war das beschädigte Bauteil am frühen Nachmittag repariert und konnte eingebaut werden. Ein Motortest verlief problemlos, und so konnten wir gegen 16 Uhr – statt 8 Uhr! – bei einer frischen Brise auslaufen.
An Segeln war jetzt aus Zeitgründen leider nicht mehr zu denken, da dazu die Zeit nicht gereicht hätte. denn für den nächsten Tag waren schon weitere Gästefahrten angesetzt. So ging es mit voller Maschinenkraft und einem Stützsegel am Marine-Ehrenmal Laboe vorbei in die westliche Ostsee nach osten Richtung Fehmarn, Der Wind frischte weiter auf, und die See schob uns mit durchaus fühlbaren Schiffsbewegungen an der regenverhangenen Hohwachter Bucht vorbei. Hin und wieder erwischte auch uns der eine oder andere Regenschauer, doch generell verlieren sich die Regenwolken auf See schneller als an Land. Durch die mindestens vier gleichzeitig den Fehmarnbelt querenden Fähren von und nach Puttgarden schlängelten wir uns erfolgreich vorbei, um dann direkt Südost-Kurs auf Rostock zu nehmen. Dabei schoben uns die Wellen nicht nur, sondern sie ließen uns auch tanzen.
Vor Rostock begrüßte uns gegen Mitternacht ein Lichtermehr aus blinkenden roten und grünen Tonnen, hellen Deckpeilungen, roten Flugzeug-Warnleuchten auf Hochhäusern, Autoscheinwerfern und diverse Stadtbeleuchtungen, das vor allem der Seefahrt Unkundige total verwirren musste. Selbst erfahrene Seeleute müssen sich hier erst einmal orientieren und vor allem genau aufpassen. Wir schafften es ohne Probleme, gegen ein Uhr nachts im Marinehafen festzumachen. Das Einlaufbier durfte auch bei dieser Uhrzeit nicht entfallen, und so kamen wir gegen halb zwei in die Koje.
Am nächsten Morgen war für uns Gäste die Seefahrt vorbei. Wir bedankten uns bei der professionellen Crew und ihren beiden erfahrenen Skippern für drei erlebnisreiche Tage und schauten uns zum Abschluss noch die „Hanse-Sail“ an, bei der Traditionssegler aller Größen- und Altersklassen Gäste zur Seefahren. Wir selbst schauten noch einmal auf einer Fregatte der Deutschen Marine vorbei – es war „Open Ship Day“, bewunderten die französische Dreimastbark, die sozusagen in Vertretung der „Gorch Fock“ hier weilte, und dann ging es per Bahn nach Hause.
Wir bedanken uns noch einmal bei der erfahrenen Crew der „Nordwind“, die das Boot ehrenamtlich fährt und betreut, für ihre freundliche und stets hilfsbereite Art, für ihre vertrauensvolle Art der Schiffsführung, für die engagierte Lösung des Maschinenproblems und – natürlich! – beim Smutje für die hervorragende Verpflegung.
Wir kommen wieder!
Frank Raudszus
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