Im Rahmen des Rheingau Musikfestivals standen am 26. August in der Basilika von Kloster Eberbach zwei Musiker auf dem Programm, die außer ihrer österreichischen Herkunft keine Gemeinsamkeiten aufweisen – Wolfgang Amadeus Mozart und Anton Bruckner. Mozart ist bekannt für seine leichte, bisweilen fast frivole Lebensart, Bruckner eher für seine tiefe Religiosität und seine latente Schwermut. Dass sie auch musikalisch Welten trennten, muss man hier nicht betonen. Dennoch oder gerade deshalb kann es durchaus reizvoll sein, sie in einem Konzert einander gegenüberzustellen.
Das „Gustav-Mahler-Jugendorchester“, im Jahr 1987 von Claudio Abbado in Wien bewusst als Nachwuchsorchester gegründet, trat an diesem Abend unter der Leitung des österreichischen Dirigenten Manfred Honeck mit Mozarts drittem Violinkonzert in G-Dur, KV 216, sowie Bruckners neunter Sinfonie in d-Moll (WAB 109) auf. Als Solist hatte man den renommierten Geiger Renaud Capuçon gewinnen können.
Mozarts drittes Violinkonzert entstand – wie das zweite, das vierte und das fünfte – im Jahr 1775. Diese ungewöhnliche zeitliche Komprimierung zeigt sich auch in der sehr ähnlichen musikalischen Anmutung dieser vier Konzerte. Hört man eins von ihnen, gesellen sich die anderen diesem Höreindruck sofort zu. Hervorstechende Merkmale sind die ausgesprochen eingängige, nicht nur brillante Melodieführung, die unmittelbar das musikalische Empfinden der Hörer anspricht. Darüber hinaus haben sie eine derart ausgeprägte musikalische Ausdruckskraft, dass man sie nie mit Violinkonzerten anderer Komponisten verwechseln wird.
Bereits bei den ersten Takten machte sich jedoch der Halleffekt der Basilika bemerkbar, der vor allem die tieferen Tonlagen verstärkt und dadurch die Transparenz der tieferen Lagen deutlich mindert. Da wirken Orchester-Tutti der Streicher, vor allem der Celli und Bässe, schnell wie ein Tonbrei, und das lässt sich durch die Art des Spiels kaum verhindern. Die Solo-Violine betraf dies wegen der höheren Tonlage weniger, und so konnte Renaud Capuçon sein ganzes Können entfalten. Dabei beeindruckte er vor allem im zweiten Satz, dem Adagio, mit einer ausgesprochen feinsinnigen Innigkeit, und sein – eher kurzes – Solo gestaltete er mit wohldosierter Ausdruckskraft, die keinen Augenblick zur bloßen Brillanz verflachte. Mozarts Fähigkeit, Emotionen authentisch und doch – scheinbar – einfach in Musik umzusetzen, fand hier ihre Entsprechung im Vortrag.
Den dritten Satz präsentierte Manfred Honeck in forciertem Tempo, vielleicht, um dadurch den Halleffekt etwas zu mindern, und Renaud Capuçon folgte ihm mit geradezu virtuosen Passagen, die aber nie ihren melodiösen Charakter verloren. Das nach kurzer Fermate einsetzende ruhigere Nebenthema sorgt für rhythmische Abwechslung, bevor es übergeht in das Finale mit dem Hauptthema und einigen freien Kadenzen des Solisten.
Dirigent Manfred Honeck organisierte das Zusammenspiel zwischen Solist und Orchester mit knappen aber deutlichen Anweisungen und sorgte für exakte Einsätze und eine stimmige Verteilung der Schwerpunkte. Die Solo-Violine erhielt den nötigen Freiraum für die Gestaltung ihres Parts, ohne jedoch das Orchester zu einem reinen Begleitkörper zu degradieren. Trotz der zentralen Rolle der Violine waren das Orchester und dessen einzelne Instrumente wie etwa die Flöten gleichwertige Partner.
Mit einer Zugabe und kräftigem Beifall ging es in die Pause.
Im zweiten Teil des Abends erklang Anton Bruckners 9. Sinfonie, ganz wie bei Beethoven – das große Vorbild des 19. Jahrhunderts – in d-Moll. Man kann die Botschaft dieser Sinfonie aus zwei Blickwinkeln interpretieren. Aus der Sicht des tiefgläubigen Komponisten klingt bereits der erste Satz wie eine Bibel-Programmatik: Da erinnert der langsame, fast glückliche Beginn an das Paradies, während der anschließende Ausbruch wie die Vertreibung aus dem Paradies oder wie der „dies irae“ anmutet. Die weitere Gestaltung des ersten Satzes ist geprägt durch weit ausladende Themen und orchestrale Ausbrüche, denen der Hall der Basilika in gewisser Weise sogar zugute kam. Auch die stampfenden Akkordketten und die schicksalhaften Abwärtsbewegungen des zweiten Satzes lassen auf göttliche Strafe schließen, während die kurzen tänzerischen Passagen die Bewegung der Menschen darstellen.
Der dritte Satz, das Adagio, erweckt dann mit seinem getragenen Gestus eine fast unterirdische Stimmung, und entwickelt zunehmend choralartige Züge. Am Schluss erhebt sich dieser Satz förmlich zur Apotheose der Musik, damit das Jüngste Gericht musikalisch gestaltend. Aus diesem Betrachtungswinkel stellt sich natürlich die Frage nach dem nur in Skizzen vorhandenen Finalsatz, doch die wird unbeantwortet bleiben.
Interpretiert man diese Sinfonie jedoch aus der säkularen Sicht des aufkommenden Industriezeitalters, dann spiegeln all die geschilderten musikalischen Elementen den Einbruch der Technik mit ihrem Lärm, Gestank und Drohpotential sowie die sich beschleunigende Veränderung der noch romantisch verklärten Welt wider. Bruckner dürfte auch dadurch stark beeinflusst worden sein, und man weiß am Ende nicht, ob diese Sinfonie die stampfenden Dampfmaschine oder die Strafe Gottes wiedergeben.
Eindrucksvoll und im wahrsten Sinne des Wortes machtvoll war diese Aufführung von Bruckners Sinfonie auf jeden Fall. Dirigent Honeck holte aus den jungen Musikern alles heraus und stellte hohe Anforderungen an ihre musikalische Flexibilität und Einfühlungsgabe. Denn der musikalische Ausdruck ändert sich in kurzen Phasen vom romantisch-ländlichen zum dissonanten, kreischenden Aufruhr und zurück. Das wollte mit einem exakten Timing gemeistert werden, doch das Orchester bewies hier eine erstaunliche Reife und gestaltete die Kontraste dieses Werkes mit Präzision und großer Spielfreude. Der Hall der Basilika spielte zwar auch hier mit, doch schadete er der Wirkung kaum, da die Musik von vornherein auf volle Raumfüllung ausgelegt ist. Und das schafften die Musiker und Musikerinnen des Gustav-Mahler-Jugendorchesters auf bravouröse Weise.
Der lang anhaltende, begeisterte Beifall belohnte das Ensemble für einen anstrengenden, aber mehr als gelungenen Abend.
Frank Raudszus
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