Auszug ins Bockenheimer Exil

Print Friendly, PDF & Email

Die Exil-Literatur stellt eine eigene Gattung dar und ähnelt eher der Tragödie als der Komödie. Euphorische Berichte über den Auszug ins Exil findet man selten oder nie, und so ist man angenehm überrascht, wenn sich Exilanten begeistert über ihr neues Zuhause äußern.

Das ist der Fall bei der Frankfurter Kunsthalle Schirn, deren jahrzehntelange Heimat am Römerberg einer dringenden energetischen und sonstigen Sanierung bedarf und die deshalb seit längerer Zeit nach einer zwischenzeitlichen Bleibe suchte. Nachdem diese gefunden und selbst entsprechend auf ihren neuen Zweck umgebaut worden war, war es nun Zeit, diesen Ort vorzustellen. Am 5. September luden deswegen Schirn-Direktor Sebastian Bade und sein Team eine Reihe von Unterstützern sowie die Presse zu einer Vorstellung in die ehemalige Bockenheimer Dondorf-Druckerei unmittelbar neben dem Bockenheimer Depot ein.

Die Front der alten Druckerei

Nach einer stark „ehm“-lastigen Begrüßung eröffnete Hessens Minister für – unter anderem – Kunst und Kultur Timon Gremmels den Reigen der Ansprachen mit einer kurzen Beschreibung des Findungsprozesses und der Zukunft des Gebäudes. Demnach soll die ehemalige Druckerei nicht nur temporär als Bleibe für die Schirn dienen, sondern langfristig der Hochschule für Gestaltung zur Verfügung stehen. Der Vertreter des Frankfurter Kulturdezernats schloss sich den Ausführungen des Ministers an und betonte die Leistung der Zivilgesellschaft, die sich schon früh in vielfältiger Form für den Erhalt des vom Abriss bedrohten Gebäude-Ensembles eingesetzt habe, und deren Engagement schließlich auch mit dem Einzug der Schirn belohnt worden sei. Besonderer Dank galt auch dem kompetenten Architekturbüro und vor allem den Handwerksbetrieben, die gemeinsam für eine zeitgerechte Fertigstellung der Arbeiten gesorgt hätten.

Blick in den Innenhof

Direktor Sebastian Baden selbst verwies in einer längeren Rede auf den Wert sowohl der Schirn als auch des Übergangsdomizils sowohl in stadt- als auch in kunstgeschichtlicher Hinsicht. Dabei ging er auch detailliert auf die Mühen und Probleme des Umbaus der alten Druckerei ein und informierte das Publikum nebenbei über die erstaunliche und für ein Kunstinstitut außerordentlich passende Erkenntnis, dass man Asbest auch mit dem Pinsel entfernen kann, was sich für Bonmots geradezu anbietet.

Die ehemalige Druckerei wird im Wesentlichen ähnliche Raumelemente zur Verfügung stellen wie die „alte“ Schirn: neben einer großen Halle im ersten Stock des Haupthauses wird es eine zweite Halle im Nebengebäude sowie einen Empfangsbereich mit Lounge, ein Café und sogar eine „Minischirn“ geben, und ein Innenhof zwischen den beiden Gebäuden lädt zum Verweilen ein, weil es dort so schön ist.

Blick in die Halle 1 mit Tanzgruppe

Nach dem bewusst kurz gefassten Beitrag der Vertreterin des Kulturfonds Rhein-Main beendete die Kuratorin Martina Weinhart die Runde der Vorträge mit der Vorstellung der Tanz-Veranstaltung anlässlich des Schirn-Umzugs am 7. September. Dabei werden etwa hundert Tänzer und Tänzerinnen der Tanzcompagnie Sasha Waltz & Guests vom Römerberg bis zum Bockenheimer Depot tanzen und dabei das Publikum zum Mittanzen einladen. Das Projekt mit dem Titel „In C-Community“ soll dabei für Integration und Inklusion stehen, und „In C“ bedeutet dabei die Tonart C, in der Terry Rileys gleichnamige Komposition steht. Für die akustische Umsetzung dieser Musik sorgt die Brass-Techno-Band MEUTE.

Nach den allseits begeisterten, geradezu augenleuchtenden Hoffnungen und Erwartungen aller Redner hinsichtlich des Bockenheimer Exils kann man nur noch in freiem Englisch mit einem passenden Wortspiel schließen: „Exil – As Best“ und der Schirn für eben dieses Exil alles Gute wünschen.

Frank Raudszus

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar