DADA und viel mehr

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Wer sich in der Kunstwelt ein wenig auskennt, assoziiert mit dem Namen „Duchamp“ zwangsläufig den Vornamen „Marcel“ und des Weiteren den Begriff des „Ready Made“. Marcel Duchamp ist sozusagen zu einem Markenname geronnen, den niemand sonst für sich reklamieren darf. Dass die Realität diese Auffassung unterläuft, zeigt jetzt dankenswerterweise die Frankfurter Schirn mit der Ausstellung „Suzanne Duchamp Retroperspektive“. Wer jetzt denkt, dies sei eine zufällige Namensgleichheit, irrt gewaltig, denn es handelt sich hier tatsächlich um eine ausgesprochen kunstsinnige Familie, die in einer einzigen Generation vier Künstler vorzuweisen hatte. Der Notar Eugène Duchamp (1848-1925) und seine Frau Lucie setzten sechs Kinder in die Welt – drei Söhne und drei Töchter -, von denen alle drei Söhne und die Tochter Suzanne Künstler wurden. Weltweit bekannt wurde nur der 1887 geborene Marcel. Seine zwei Jahre jüngere Schwester Suzanne erlebte einen vergleichbaren Durchbruch nicht, was sie mit vielen künstlerisch begabten Frauen ihrer Zeit gemein hatte.

„Intimité“, 1911

Die Schirn hat es sich aus eben diesem Grund seit einigen Jahren zur Aufgabe gemacht, Künstlerinnen wieder mehr in den Mittelpunkt zu rücken, und so ist Suzanne Duchamp die erste „vergessene“ Künstlerin, die in der temporären Bleibe an der Bockenheimer Warte ihre Wiederentdeckung feiert. Aufgrund ihres Geburtsdatums kann sie diese Wiederentdeckung nicht mehr genießen, dafür die Besucher der Ausstellung umso mehr.

In der ansprechend hergerichteten Halle 1 der ehemaligen Dondorf-Druckerei sind etwa achtzig Arbeiten von Suzanne Duchamp großzügig gehängt. Man kann anhand dieser Anordnung sehr gut ihre künstlerische Entwicklung nachvollziehen, die sich etwa von 1910 an an verschiedenen Ausstellungen beteiligt. Im Gegensatz zu manch anderen Künstler-Familien herrschte bei den Duchamps stets ein sehr familiäres und gemeinschaftliches Klima. So arbeitete Suzanne schon früh mit ihren älteren Brüdern Gaston und Raymond zusammen und erfuhr von ihnen viel Unterstützung. Der engste Kontakte bestand jedoch zeitlebens zu Marcel, wohl auch wegen des geringen Altersunterschieds.

„Junges Mädchen mit Hund“, 1912

In den ersten Jahren beschäftigt sch Suzanne Duchamp intensiv mit dem Kubismus, um dann während des Ersten Weltkriegs und unmittelbar danach Mitglied der DADA-Bewegung zu werden und sich von dieser alle bisherigen Normen sprengenden Richtung stark beeinflussen zu lassen. Die Ausstellung zeigt nicht nur ihre einschlägigen graphisch orientierten Bilder, sondern auch eine Reihe von Flugblättern und Veröffentlichungen, in denen auch der Name Duchamp in mehreren Verbindungen auftaucht.

Doch bereits 1922 verlässt sie die DADA-Gruppe wieder, ohne sich deshalb mit deren Vertretern zu zerstreiten. Sie möchte lediglich ihren eigenen Ideen nachgehen und lehnt wohl auch innerlich die mittlerweile zur Ideologie geronnene künstlerische Protestbewegung ab. Sie widmet sich nun wieder mehr der figurativen Malerei, wie man an Portraits, Stillleben und auch Landschaftsmalereien erkennen kann.

Ohne Titel, um 1945

Während dieser Zeit nimmt sie an einer Reihe internationaler Ausstellungen teil und etabliert sich als eigenständige Künstlerin, ohne jedoch jemals den Kontakt zu ihren Brüdern abzubrechen. Ihre Bilder atmen oft einen naiven Geist, wie er auch in anderen Ländern in dieser Zeit üblich war. Erste Ausstellungen in den USA verbreiten ihren Ruf auch dort. Die bewusst verfremdete Perspektive sowie die vereinfachte Darstellung von Körpern und Physiognomien lassen sich als Protest gegen die psychologisch idealisierende Sicht der herkömmlichen Malerei auf den Menschen verstehen. Diese nur scheinbar naturgetreue Perspektive weicht einer Reduzierung auf den überlebenswichtigen Kern des Individuums.

Den Zweiten Weltkrieg verbringt Suzanne Duchamps mit ihren Brüdern bei Bordeaux und leidet dort unter der deutschen Besatzung. Das schlägt sich in den Landschaftsbildern mit ihren drohend-grauen Baumriesen im Vorder- und Mittelgrund nieder. Heitere Farben findet man nur in der – unerreichbaren – Ferne. Geradezu zwanghaft wiederholen sich die Abbildungen nur scheinbar anmutiger Landschaften mit ihren Gewalt verkündenden schwarzen und grauen Schwerpunkten.

„Die Hochzeit“, 1924

Nach dem Krieg zieht es Suzanne Duchamp in die USA, die sie zusammen mit ihrem Bruder Marcel und ihrem Ehemann Crotti – ebenfalls Künstler – entdeckt und zu lieben lernt. Nach Crottis Tod widmet sie sich intensiv der Malerei und ihren Geschwistern, bis sie 1963 an einem Tumor stirbt.

Suzanne Duchamps hat während ihres künstlerischen Lebens eine Reihe von Wandlungen durchlebt und stets vom Leben und von ihren Kollegen gelernt. Dabei brach sie nicht mit ihrer künstlerischen Vergangenheit, sondern verstand die Abfolge wechselnder Stilphasen als Lernvorgang und als natürlichen Lauf des Lebens. Sie hat damit ein breit gefächertes Werk hinterlassen, das in der Schirn einen umfassenden Eindruck einer so begabten wie engagierten Künstlerin vermittelt.

Die Ausstellung ist bis zum 11. Januar 2026 geöffnet. Näheres ist über die Webseite der Schirn zu erfahren.

Frank Raudszus

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