Der Krieg ist der Vater aller Opern…

Print Friendly, PDF & Email

Kann man das so sagen? Da stock ich schon – doch sei´s. Jedenfalls kann man diesen Eindruck bekommen, wenn man Noa Naamats Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper „Aida“ am Staatstheater Darmstadt sieht. Während traditionelle Inszenierungen diese Oper gerne als Eifersuchtsdrama zwischen der Sklavin Aida und der Königstochter Amneris um den Feldherrn Ramades mit opulentem Kriegshintergrund ausgestalten, stellt die israelische Opernregisseurin den Krieg in den Vordergrund und bettet das Drama um die beiden Frauen in dessen dystopische Umgebung ein.

Statisterie mit Kindern

Bereits zum knappen Vorspiel – man kann es nicht Ouvertüre nennen – öffnet sich der Vorhang und zeigt einen zerbombten Wasserturm, der auf ein zerstörtes Wohnhaus gestürzt ist. Als Kinder in den Trümmern Versteck spielen, eilen erschrockene Erwachsene herbei – ein Blitz, eine Leiche. Die Situation könnte sich genauso im Gaza-Streifen, in der Ukraine oder an einem anderen kriegerischen Ort abgespielt haben. Noa Naamat und Bettina John haben dieses Bühnenbild offensichtlich mit Bedacht gewählt, erlaubt es doch keine vorschnellen Zuordnungen, verbietet sie jedoch auch nicht. Im Laufe der Handlung wird einige Male eine Fahne drapiert, die man wahlweise mit der israelischen oder der palästinensischen assoziieren kann, ohne dass vordergründige Ähnlichkeiten dies nahelegen. Dieses Bühnenbild wird bis zum Ende bleiben, und nur die Drehbühne sorgt für einige andere Perspektiven der Trümmerlandschaft.

Katrin Gerstenberger und Mattew Vickers

Auch die Kostüme (Bettina John) verweisen auf die Gegenwart. Soldaten in Tarnuniformen und mit vorgehaltenen Gewehren sind permanent präsent und verbreiten eine drohende, Angst einflößende Atmosphäre. Einer von ihnen bewacht die Sklavin Aida (Megan Marie Hart) – inkognito die Tochter des feindlichen äthiopischen Königs – auf ihrer Matratze in der Hausruine. Warum allerdings eine gefangene Sklavin ein geradezu erotisches langes Kleid mit Beinschlitz trägt, erschließt sich dem Betrachter nicht. Dagegen tritt Katrin Gerstenberger als gnadenlose Amneris konsequent im quasi-militärischen Hosenanzug auf, während Radames (Matthew Vickers) und Ramfis (Zaza Gagua) militärischen Dress tragen. Lediglich Johannes Seokhoon Moon als König (sic!) fällt mit seinem antik anmutenden langen Rock etwas aus der ansonsten konsequent aktualisierten Kostümlandschaft.

Diese bewusste Militarisierung zieht sich durch alle vier Akte. Jedes offizielle Handlungselement des sich im Krieg befindenden Ägyptens wird durch martialische Soldatentrupps (Chor und Statisterie) bebildert, die das Volk (Chor) oder gefangene Äthiopier mit vorgehaltenem Gewehr bedrohen. Die Beleuchtung unterstützt die endzeitliche Atmosphäre über lange Strecken durch Halbdunkel, das die huschenden Soldaten im Hintergrund nur schemenhaft erkennen lässt. Permanente Angst liegt über allem, und davor spielt sich das Eifersuchtsdrama der beiden Frauen um Radames ab.

Dieser selbst feiert seinen Sieg über Äthiopier nicht wie üblich mit einem prächtigen Triumphzug samt Elefanten und Gefangenentross, sondern irrt als schwer traumatisierter Kämpfer vor dem naiv jubelnden Volk umher und entzieht sich allen Vereinnahmungsversuchen, vor allem seitens Amneris. Dies ist darstellerisch Matthew Vickers stärkste Szene, wenn er sich desillusioniert und angewidert von diesem Jubel abwendet. Sogar seine Liebe zu Aida hat für kurze Zeit unter dem Kriegstrauma gelitten, kann er sich doch weder der zielgerichteten Zudringlichkeit Amneris´ entziehen noch sich Aida wieder annähern. Der Krieg zerstört alle Bindungen – so die Botschaft dieser Inszenierung des „Triumphzugs“.

Katrin Gerstenberger, Johannes Seokhoon Moon, Zaza Gagua, Matthew Vickers, Megan Marie Hart, Opern- und Extrachor, Statisterie

Der Regie – und vor allem den Frauen – gelingt es überzeugend, das Eifersuchtsdrama glaubwürdig in die Schreckenslandschaft des Krieges einzubetten. Da ist Aida ebenso entsetzt über die kriegerischen Aktivitäten gegen ihr Volk wie sie der Liebe zu Radames, dem Urheber dieses Schreckens, nachtrauert. Und Amneris verfolgt ihr privates Ziel, indem sie den Erfolg des geliebten Radames als Basis für einen persönlichen Machtgewinn auszunutzen gedenkt. Für sie ist der Krieg eine Karrierechance, und sie sieht ihren Vater nur noch als ein kurzfristiges Hindernis, das sie zusammen mit dem erfolgreichen Feldherrn aus dem Wege räumen wird. Erst das tragische Ende wird sie – zu spät – zur Besinnung bringen.

Sängerisch bietet diese Inszenierung große Auftritte, aber auch Enttäuschungen. Megan Marie Hart und Katrin Gerstenberger streiten auch stimmlich – jede auf ihre Weise – um die beste Gesangsleistung, wobei beide hohe Präsenz zeigen, die eine eher emotional-lyrisch, die andere durchsetzungsstark. Das Duett zwischen den beiden gehört zu den eindrucksvollsten Szenen dieses Abends. Gastsinger Aris Argiris (Bass) überzeugt als Amonasro mit einer sehr vollen Stimme, und Johannes Seokhoon Moon steht ihm mit einem eher geschmeidigen Bass in nichts nach. Dagegen fehlt es Matthew Vickers – nur an diesem Abend? – eklatant an Stimmfülle. Vor allem zu Beginn übertönte ihn das bisweilen etwas zu forsch aufspielende Orchester unter Johannes Zahn – vor allem die Blechbläser – mehrere Male vollständig, und auch im weiteren Verlauf fiel er in den Duetten mit den Gesangskollegen deutlich ab. Vor allem Katrin Gerstenberger sang ihn buchstäblich an die Wand. Erst in der abschließenden Grabesszene konnte er sich mit seinem feinen Tenor an der Seite von Megan Maire Hart sängerisch beweisen.

Megan Marie Hart und Aris Argiris

Der Chor ist in dieser Inszenierung stark militärisch gebunden, erledigt diese Aufgabe aber sowohl stimmlich als auch darstellerisch souverän, wobei die Statisterie die stummen Rollen übernimmt. Das Orchester folgt der Szenerie mit viel Gespür für die jeweilige Situation, wenn auch – wie schon bemerkt – vor allem die Blechbläser etwas zu stark in den Vordergrund treten und dadurch die Aufmerksamkeit von der Bühne in den Graben lenken. Das sind jedoch Petitessen angesichts der souveränen Gesamtleistung.

Mit dieser Inszenierung haben das Staatstheater und die Regisseurin einen wichtigen Beitrag zum gegenwärtigen Kriegsdiskurs geleistet, ohne dabei irgendwelche Schuldzuweisungen zu inszenieren. Das ist gerade angesichts der in weiten künstlerischen und akademischen Kreisen anzutreffenden einseitigen Parteinahme hervorzuheben. Diese Inszenierung beweist, dass dich „klassischen“ Opern der vorherigen Jahrhunderte auch heute noch ihre Aussagekraft besitzen.

Das Publikum sah es auch so und spendete lang anhaltenden, kräftigen Beifall.

Frank Raudszus

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar