„Splitter einer Weltstadt“ – so übertitelt Meret Michel ihre Analyse des Niedergangs der einst blühenden libanesischen Metropole Beirut. Wie Splitter sammelt sie die Bruchstücke ein, die ihr Bewohner der Stadt erzählen. Immer wieder mussten die Menschen, die Familien ums Überleben kämpfen, verloren Hab und Gut, Wohnungen und Häuser – ja: ganze Stadtviertel. Sie mussten mit korrupten Regierungen leben, die nicht in der Lage waren, ein geordnetes Staatswesen herzustellen, sondern allein auf Macht und ihren persönlichen Vorteil setzten.
Anfang der siebziger Jahre boomte Beirut als Finanzzentrum und Drehkreuz für Reisende zwischen Europa und den aufsteigenden Golfmonarchien und war ein „Touristenmagnet“. Die Stadt zog Prominente wie Brigitte Bardot und Marlon Brando an, aber auch arabische Eliten und Intellektuelle aus aller Welt strömten nach Beirut, um hier eine anregende Zeit zu verbringen. Doch dann brach 1975 der libanesische Bürgerkrieg aus und wütete fünfzehn Jahre lang in dem kleinen Land. Akteure von außerhalb wie Israel oder Syrien mischten sich ein und befeuerten den innerlibanesischen Konflikt noch.
Meret Michel berichtet von Einzelschicksalen, unter anderem von Mehdi Hamdan, der sich am Märtyrerplatz, dem pulsierenden Zentrum am Hafen von Beirut, einen Modeladen eröffnete und sich gute Geschäfte erhoffte. Doch das Stadtzentrum war bald heftig umkämpft, Luxushotel wurden zerstört und von Scharfschützen erobert, und auch Mehdis Bekleidungsgeschäft wurde geplündert und schließlich niedergebrannt. Doch Mehdi gab nicht auf, eröffnete ein neues Geschäft in einer ruhigeren Gegend und bezahlte weiter die Miete für den zerstörten Laden in der Hoffnung auf einen Neustart nach dem Ende des Bürgerkriegs.
Das ist nur ein Einzelbeispiel und steht exemplarisch für die Menschen, die permanent um ihre Existenz kämpfen mussten. Nach dem Bürgerkrieg hofften die Menschen, dass endlich Ruhe in die gebeutelte Stadt einkehrte, doch die Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen nahmen kein Ende. Heute ist der einst beliebte und belebte Märtyrerplatz eine unattraktive Gegend ohne Restaurants, Cafés, Supermärkte oder Bekleidungsgeschäfte. Das Leben der Stadt hat sich andere Orte gesucht, wo man auf dem Bürgersteig auf Plastikstühlen zusammensitzen kann, wo eine dörfliche Atmosphäre herrscht und man die Menschen noch beim Vornamen kennt. So ziehen die entwurzelten Bewohner immer weiter in ruhigere Gegenden oder leben nur noch in ihren Wohnungen und gehen kaum noch nach draußen.
Meret Michel hat anhand vieler Einzelschicksale den rein sachlichen Teil um eine emotionale Variante erweitert. Denn darum geht es doch: Was das ständige Vertriebenwerden mit den Menschen macht; wie die sozialen Strukturen aufgelöst, die verunsichert und in die Resignation getrieben werden. Beirut kommt nicht zur Ruhe. Die Machtkämpfe der umliegenden Länder werden immer auch hier ausgetragen.
Das Buch ist im Hirzel-Verlag erschienen, umfasst 208 Seiten und kostet 24 Euro.
Barbara Raudszus
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