Der Kinderbuchautor Otfried Preußler, Jahrgang 1923, meldete sich zu Kriegsbeginn begeistert als Freiwilliger, um den Führer zu unterstützen. Der Krieg und die Gefangenschaft in Russland belehrten ihn eines Besseren, und in vielen seiner Bücher verarbeitete er mehr oder minder explizit diese jugendliche Verirrung.
So auch in dem Roman „Krabat“, den die Arheilger „Neue Bühne Darmstadt“ jetzt unter der Regie von Renate Renken als Theaterstück inszeniert hat. Die Handlung spielt Anfang des 18. Jahrhunderts im Gebiet der Sorben irgendwo zwischen Elbe und Oder. Viele verarmte junge Burschen zogen auf der Suche nach Arbeit durch die Lande und verdingten sich auch bei zweifellhaften Arbeitgebern. So gelangt der junge Krabat (Mike Brendt) an eine geheimnisvolle Mühle, wo der sogenannte „Meister“ (Rainer Poser) das Regiment über mehrere Gesellen und das Mahlwerk ausübt. Krabat erhält als Neuling die undankbarsten Aufgaben und gleich zu Beginn die Warnung, sich nicht mit Mädchen einzulassen. Unter seinen Kameraden fällt Lyschko (Axel Raether) als bösartiger, aber letztlich feiger und liebedienerischer Intrigant auf, während der Koch Juro (Dominik Kaiser) nur den Einfältigen spielt, um nicht aufzufallen. Nur Tonda (Maximilian Friedel) steht dem Neuling mit Rat und Tat zur Seite und beschützt ihn vor Lyschkos Ausfällen.
Der Meister lehrt seine Gesellen magische Praktiken, und nach solchen Sitzungen verwandeln sie sich stets in krächzende Raben, die das Volk überwachen und erschrecken. Man kann in dieser Konstellation durchaus metaphorische Anklänge an den Nationalsozialismus sehen, ohne die schwarzen Raben gleich mit der SS zu assoziieren, doch die Faszination des unnahbaren, mythisch wirkenden Führers ist unverkennbar. Dazu passt auch das dunkle Geheimnis des Meisters, das sich im Laufe der Handlung langsam herausschält. Einmal im Jahr muss er dem „Gevatter“, einer geheimnisvoll verhüllten Figur und unschwer als Tod zu deuten, einen Gesellen opfern, um selbst verjüngt weiterleben zu können; diese Opferung verstört Krabat so, dass er ernsthaft ans Weglaufen denkt. Doch da ist das Mädchen Kantorka (Vivien Pantea Seifert), in das er sich verliebt und die ihn braucht. So bahnt sich – gegen die Anweisung des Meisters – eine Beziehung an, und Krabat zeigt seine Skepsis auch immer deutlicher, sodass die Denunziation durch Lyschko nur eine Frage der Zeit ist. Die Katastrophe bahnt sich an, wäre da nicht das Geheimnis hinter dem Opfer-Ritual. Wie in alten Märchen kann nur die wahre Liebe eines Mädchens die böse Vereinbarung zwischen den beiden Machtfiguren zu Fall bringen…..
Wir wollen den Ausgang hier nicht verraten und uns daher auf die Details der Inszenierung konzentrieren. Elena Schöck hat die Gesellen mit einfachen Kostümen einer vergangenen Zeit ausgestattet, für die die Bezeichnung Wams sich geradezu anbietet. Der Meister tritt natürlich im schwarzen Anzug des Magiers auf, und von Zeit zu Zeit schwirren alle Gesellen mit schwarzen Rabenköpfen und ebenso schwarzen Umhängen drohend krächzend durch den Saal. Dem Ensemble gelingt es auf beeindruckende Weise, das angstgeprägte Leben des einfachen Volkes nach dem Dreißigjährigen Krieg wiederzugeben. Man sitzt um den Tisch, schaufelt das knappe Essen in sich hinein und versucht, sich möglichst unsichtbar zu machen. Sehr gut arbeitet die Regie auch das typische Verhalten in totalitären Systemen heraus. Axel Raether gibt den nach oben buckelnden und nach unten tretenden Lyschko als aggressiven Psychopathen, Dominik Kaiser verleiht dem unsichtbaren Mitläufer Juro die Bauernschläue des um sein Überleben Kämpfenden, und Maximilian Friedels Tonda ist der einzige, der unter dem Schreckensregime des Meisters seinen Wertekatalog nicht verrät – und dafür stirbt. Reiner Poser spielt den Meister als unnahbaren und gerade deswegen allmächtigen „Führer“, und Vivien Pantea Seifert ist als unschuldig Liebende seine unwissende Richterin und vertritt damit den märchenhaften – und leider unrealistischen – Part dieses Stücks.
Preußler gelang mit diesem nie oberlehrerhaft anmutenden Roman eine eindringliche Schilderung totalitärer Systeme, und das Ensemble der Neuen Bühne setzt diese hintergründige Allegorie genau im Sinne des Autors um. Viel Beifall von den Rängen.
Frank Raudszus




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