Juliette Pary: „An die Deutschen – Gedichte“

Print Friendly, PDF & Email

Die Journalistin, Schriftstellerin und Übersetzerin Juliette Pary (1903-1950) war in Deutschland bisher nahezu unbekannt. Sie wurde als Kind einer jüdischen Akademikerfamilie in Odessa als Julia Gourfinkel geboren. 1925 siedelte sie nach Paris über, um den Wirren nach der Revolution in der Sowjetunion zu entkommen. Als Hommage an die Stadt Paris änderte sie ihren Namen in  Juliette Pary.

In Paris engagierte sie sich aktiv in der Hilfe für jüdische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland. 1940 musste sie selbst aus dem besetzten Frankreich fliehen. Ihr gelang es, über eine Zwischenstation in Moissac 1942 in die Schweiz zu entkommen. Ein besonderes Interesse galt auch der reformpädagogischen Bewegung, die in den frühen 1920er Jahren aufblühte.

Ihre Gedichte „An die Deutschen“ sind eine große Anklage. Schonungslos nennt sie die grauenhaftesten Verbrechen an den Juden beim Namen. Und sie tut das auf Deutsch, bewusst in der Sprache der Täter, die nicht ihre Muttersprache ist.

Umso eindrucksvoller ist ihre kraftvolle poetische Sprache:

„ICH HAB keine Muttersprache,

Weil ich eine Jüdin bin,

Zu verkörpern meine Gabe,

Mich der fremden Sprach bedien.

Fremde Sprach, die mir gefahren

Zaubernd plötzlich in die Haut!“

So beginnt der kleine Band unter der Überschrift „1944“. Wir verdanken es dem Herausgeber Andreas F. Kelletat, dass wir dieses bedeutsame Dokument heute lesen dürfen. Durch Zufall fand er bei einer Bibliotheksrecherche einen Hinweis auf Gedichte von Juliette Pary, die sie 1946 unter dem Pseudonym Julia Renner veröffentlicht hatte, die aber völlig vergessen waren. Ihre Gedichte beeindruckten ihn dermaßen durch ihre kraftvolle Anklage und die intensive Auseinandersetzung mit Deutschtum und Judentum, dass er beschloss, diese Gedichte neu herauszugeben und gerade dem Deutschen Lesepublikum zur Verfügung zu stellen. Sein Nachwort ist sehr informativ und unbedingt lesenswert.

In ihren Gedichten definiert die Sprecherin sich – und mit ihr wohl die Verfasserin – sowohl als Rächerin als auch als eine, die versucht zu verstehen, wie die Deutschen zu solchen Verbrechen fähig waren. Sie war schon früh eine große Verehrerin der Deutschen Literatur. Sie zitiert aus dem „Faust“, sie zitiert Schiller und immer wieder Heine. Es leben damit „zwei Seelen“ in ihrer Brust: Sie bewundert die großen Humanisten, die in der Sprache der Täter geschrieben haben, und gleichzeitig klagt sie die Vertiertheit der Deutschen an:

„Deutsche, wurdet ihr von Sinnen?

Du vertierte Deutschheit!

Euren Dichter, den Novalis,

Meiner Schwester hat studiert

Blaue Blume war ihr alles, (…)

Die romantisch blaue Blume

Wird ertränkt in deutschem Blut – “

Juliette Pary verbirgt ihre große Anklage nicht hinter verrätselten Metaphern, wie wir es aus der „Todesfuge“ von Paul Celan oder den Gedichten Else Lasker-Schülers kennen. Kelletat nennt ihre Gedichte deshalb „Tatsachenlyrik“.

Juliette Pary geht es immer wieder um das Menschenbild des Judentums, das sich auch im Humanitätsgedanken der Aufklärung widerspiegelt. Sie will und kann nicht verstehen, wie die Deutschen die Idee der Menschlichkeit so verraten konnten.

Die jüdische Religion spielte in Juliette Parys Erziehung keine große Rolle. Mit den Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung wächst in ihr jedoch die Hinwendung zum Judentum, viele ihrer Gedichte sind eine Auseinandersetzung mit den religiösen Grundlagen, insbesondere mit der Figur Mose.

Was das Schreiben von Gedichten für die bedeutet, wird in den späteren Gedichten immer mehr zum Thema. Schreiben ist für sie elementar wichtig für ihr Weiterleben. Mit Worten will sie kämpfen und den Deutschen ins Gesicht schreiben, was sie von ihnen hält:

„Und ihr seid wie alle Leut:

Habet Blumen, habet Lieder

Habet Hitler, habet Blut …

Habet deutsches Ungeziefer,

Deutschen Wahn und Deutsche Wut.“  

Die Sprache als Mittel des Widerstandes gegen Unmenschlichkeit ist ihr Medium, denn die „Dichtung, die lässt sich nicht morden.“ So bleibt der Glaube an die Kraft der Dichtung, aber auch an die Kraft des Schicksals. Ihre Hoffnung ist Vergeltung. Denn sie ist sicher, dass die Deutschen die Vergeltung ereilen wird.

In späteren Jahren ist sie von C.G. Jung beeinflusst, ihre Gedichte werden innerlicher und religiöser:


„Ich muss geschehen lassen

Muss ruhig, rein und still

Das Göttliche erfassen,

Dann, wann es mag und will.“

Es scheint, dass sie zum Schluss ihre Hoffnung ganz auf den göttlichen Willen setzt. So heißt es in einem späten Gedicht:

„Das Leben und das Dichten

Soll sein, wie`s Gott gefällt.

Hab früher nie verstanden,

Was heißt im Gotte ruhn,

Nicht hadern und nicht handeln,

Und Gottes Willen tun.“

1948 unternimmt sie eine Reise nach Israel, wo sie vielen Menschen begegnet, die die Gräuel der Nazis selbst erfahren haben, darüber aber nicht sprechen können, weil niemand sie hören will. Juliette Pary gibt mit ihren Gedichten eben diesen Menschen eine Stimme. Leider wurde sie damals nach 1945 in Deutschland nicht gehört. Man wollte sie nicht hören. Umso wichtiger, dass wir sie jetzt hören.

Juliette Pary kommt krank und erschöpft von der Reise zurück. Im Herbst 1950 nimmt sie sich das Leben.

Dem Herausgeber Andreas F. Kelletat und dem Persona Verlag gebührt großer Dank, dass sie uns mit Juliette Pary bekannt machen. Gerade in Zeiten, in denen der Antisemitismus weltweit zunimmt, ist diese Stimme so wichtig. Während ich diese Zeilen schreibe, kommt die Nachricht vom Anschlag auf das Chanukka-Fest in Sydney mit 16 Toten und über 40 Verletzten.

Juliette Pary, An die Deutschen – Gedichte. Persona Verlag 2025, 136 Seiten, 18 Euro.

Elke Trost

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar