Navid Kermani: „Ungläubiges Staunen über das Christentum“

Print Friendly, PDF & Email

Die anrührende Reise eines Muslims durch die Welt der christlichen Kunst.

Wer von uns europäischen (Nenn-)Christen kennt schon die spätantike Holztafel „Maria Advocata“ oder Caravaggios „Die Dornenkrönung Christi“, um nur zwei der knapp vierzig Kunstwerke zu nennen, die der Autor in diesem Buch vorstellt. Viele dieser meist unbekannten Werke hängen in kleinen italienischen Kirchen – oft in Rom – und sind nur Kennern bekannt. Die kunsthistorische Seite dieses Buches ist jedoch zweitrangig, obwohl der Leser auch auf diesem Gebiet viel von dem Autor lernen kann. Ihm geht es bei seiner Reise durch die christliche Bildwelt um ganz andere Dinge.

1602_k_staunenSchon der Titel ist so doppeldeutig wie ironisch: „ungläubig“ in Kombination mit „Staunen“ interpretiert der deutsche Leser spontan als „erstaunt“ oder gar „widerwillig“. Doch angesichts des muslimischen Glaubenshintergrunds des Autors eröffnet sich hier ein noch ganz anderer Deutungshorizont. Kermani als „Ungläubiger“ im Sinne der Christen staunt darüber, was die abendländische Kunst an religiösen Werken geschaffen hat. Dazu muss man sich das Bilderverbot im Islam vor Augen halten, das zwar selbst eine zweifelhafte Entstehungsgeschichte aufweist, nichtsdestoweniger einerseits die fundamentalistische Ausprägung des Islams und andererseits die kulturelle Geschichte der islamischen Welt geprägt hat. In diesem Buch setzt sich ein Muslim intensiv mit bildlichen Darstellungen christlicher Themen auseinander und gerät in – ja, man kann sagen: bewunderndes – Staunen.

Zu diesem Zweck hat sich Navid Kermani die Mühe gemacht, nicht nur die angesehenen Museen wie das Bode-Museum, den Louvre, das Musée d´Orsay oder das Wallraff-Richartz-Museum, sondern auch kleine Kirchen und Palazzi in Rom, Köln oder Ravenna aufzusuchen, um seltene Werke zu betrachten. Dabei ging es ihm durchweg um Werke mit christlichem Hintergrund. Die Bandbreite reicht dabei von der bereits erwähnten spätantiken Holztafel mit der „Maria Advocata“ über eine Statue des Jesuskinds aus dem 14. Jahrhundert, Veroneses „Die Hochzeit von Kanaan“ und Rembrandts „Die Auferweckung des Lazarus“ – um nur die ersten vier Werke zu nennen – bis hin zu dem heute noch genutzten orthodoxen serbischen Kloster Decani im Kosovo, das Kermani sozusagen als „lebendes christliches Kunstwerk“ beschreibt. Dazwischen lernen wir Kunstwerke von El Greco, Botticelli, Albrecht Dürer und immer wieder Caravaggio kennen, um nur die bekannten Namen zu nennen. Werke anderer Künstler des Mittelalters, der Renaissance und der frühen Neuzeit ergänzen diese virtuelle Ausstellung. In einem Ausflug in die Gegenwart stellt er den italienischen Pater Paolo vor, der im kriegsgeschüttelten Nahen Osten als christlicher Priester seine Liebe zum Islam entdeckte, dem Christentum jedoch treu blieb und dafür von Islamisten entführt wurde.

Jedes einzelne Werk hat Kermani genau studiert, sich davor gestellt, auch im Dunkel einer baufälligen Kirche oder mit Schnupfen in der feuchten Kälte eines Wintertages, und die Aussage des Bildes aus seiner eigenen Perspektive studiert. Dabei kommt ihm zugute, dass er aufgrund seiner Bildung den kunsthistorischen und auch den inhaltlichen Hintergrund – etwa Passion oder Kreuzigung – versteht, aber nicht im Sinne einer religiösen Sozialisation auf eine Sicht fixiert ist. Er betrachtet diese Werke mit dem unvoreingenommenen Blick eines „ungläubigen“ Gläubigen, der selbst einer Religionsgemeinschaft angehört und sich zu ihr bekennt, aber eben einer anderen. Das Christliche ist ihm – oder war ihm bis zu diesem Buch jedenfalls – eine eher intellektuell aber nicht emotional vertraute Religion, mit der er nur in wenigen Aussagen übereinstimmt[e]. So bekennt er unverblümt, dass ihm das Symbol des Kreuzes als Metapher des menschlichen Leids schon immer unverständlich war, da er als aufgeklärter Muslim die schönen Seiten des Lebens bevorzugt. Doch im Laufe seiner christlichen Recherche entdeckt er die ungeheure Macht dieser christlichen Symbole und lernt sie zu schätzen, ohne deswegen mit fliegenden Fahnen zu konvertieren. Bei allem „ungläubigem Staunen“ bleibt er seiner Religion ohne Wenn und Aber treu.

Doch nicht nur die Symbole spielen in diesem Buch eine wichtige Rolle, sondern auch immer die Personen, die dargestellt werden. Da geht es natürlich primär um Jesus und seine Mutter, über die er einen lesenswerten Essay über die religiöse Bedeutung des Mutterbegriffs bis hin zu metaphysischen Deutungen verfasst. Da studiert er die Gesichtszüge des gepeinigten Erlösers und sieht darin sowohl Angst als auch Hoffnung, Zweifel als auch Zuversicht. Jedem Bild entlockt er auf diese Weise neue Deutungen, etwa in Caravaggios „Berufung des heiligen Matthäus“, in dem er die Reaktionen der einzelnen Figuren aus ihren Mimik und Körperhaltung deutet und daraus fast schon ein theologisches Konzept erarbeitet. Oder er distanziert sich auch einmal von der christlichen Religion, wenn er in Caravaggios „Opferung des Isaak“ den geradezu sklavischen Gehorsam Abrahams eines Vaters und auch einer humanen Religion für unwürdig hält. Doch auch diese Kritik kommt zwar klar und dediziert, aber nicht polemisch daher.

Überhaupt beweist Kermani bei all seinen Untersuchungen eine souveräne Toleranz, die den Andersgläubigen nicht lediglich „gewähren lässt (aber ihn im Stillen als ungläubig abwertet), sondern ihn und seinen Glauben als vollwertige Alternative akzeptiert. Für Kermani ist Toleranz auch Akzeptanz, indem er auf den Alleinvertretungsanspruch seiner Religion verzichtet und dabei sowohl dem Christentum (im Islam nicht vorhandene) Stärken zuschreibt und dem Islam auch Schwächen ankreidet. Dabei vermeidet er den Fehler, zwei Parallelgesellschaften zu definieren, die zwar gleichwertig sind aber miteinander nichts zu tun haben, identifiziert beide Religionen als Ausprägungen einer allgemeinen menschlichen Spiritualität und beschwört damit eine weltweite „Ökumene“ der beiden Religionen, die sich heute leider oftmals als Antipoden (und Gegner!) sehen. In diesem Sinne ist Kermani ein wahrer Humanist, und man spürt in diesem Buch, dass er das Christentum nicht nur schätzen gelernt hat, sondern sich in gewisser Weise sogar in seine spezifischen Eigenschaften verliebt hat. Was nicht bedeutet, dass er seine eigene Spiritualität deshalb opfern muss. Im Zuge dieser Rundreise durch die Kunstwelt hat sich Kermani auch eine völlig neue Perspektive auf die westliche Kunst verschafft, was er in dieser Direktheit zwar nicht zum Ausdruck bringt, was aber unüberhörbar zwischen den Zeilen schwingt. Die Faszination der Bilder, die in diesem Maße im (jüngeren) Islam nicht vorhanden ist, hat ihn unverkennbar erfasst, und das Studium der einzelnen Werke hat ihm den Schlüssel zur Denkweise und zur Metaphysik des christlichen Abendlandes eröffnet. Damit bedankt er sich beim Okzident durch dieses Buch, und wir sollten ihm für dieses hohe Maß an (christlicher) Nächstenliebe dankbar sein.

Das Buch ist im Verlag C.H.Beck erschienen, umfasst 303 Seiten und kostet 24,95 Euro.

Frank Raudszus

 

 

 

, , , , ,

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar