Peter H. Wilson: „Der Dreißigjährige Krieg“

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In diesem Jahr jährt sich zum 400. Mal der Beginn eines Krieges, der nicht nur das halbe 17. Jahrhundert in Europa prägte, sondern neben Verwüstungen, Tod und Seuchen als quasi natürliche Folge auch große Skepsis gegenüber den angestammten Herrschern mit sich brachte und damit letztlich die Grundlagen für die Aufklärung legte. Der Oxforder Geschichtsprofessor Peter H. Wilson hat in dem vorliegenden Buch diesen Konflikt in seiner Entstehung, seinem Verlauf und seinem durch den Westfälischen Frieden besiegelten Ende detailliert beschrieben und die Auswirkungen untersucht.

Der ursprüngliche Konflikt ergab sich aus dem Versuch des Habsburgischen Kaiserreiches, die im Augsburger Religionsfrieden zugesicherten Rechte der Protestanten durch das sogenannte Restitutionsedikt rückgängig zu machen und protestantische Hochburgen quasi „per Erlass“ zu schleifen. Vor allem in Böhmen bedrohte dieses Vorgehen die verbrieften Rechte der Stände, die sich daraufhin im Jahr 1618 mit dem „Prager Fenstersturz“ (der katholischen Machthaber) wehrten, Friedrich V. von der Pfalz zu ihrem König Friedrich I. kürten und sich damit gegen Kaiser und Reich stellten. Zwar konnte der Kaiser die Rebellen in der Schlacht Am Weißen Berge vernichtend schlagen, die Büchse der Pandora war jedoch geöffnet, weil dieser Aufstand wie ein Signal für die anderen protestantischen Regionen, vor allem im Norden des Reiches, wirkte.

Wilson beschreibt akribisch das System der Kurfürsten, die über erhebliche Macht verfügten und den Kaiser dies bei Bedarf auch spüren ließen. Zwar beruhte der Ausbruch des Krieges auf konfessionellen Gründen, doch die Gier aller Fürstentümer nach Erweiterung ihres Territoriums war eine zumindest gleich starke, wenn nicht sogar stärkere Motivation, die Gunst der Stunde zu nutzen und im Windschatten der Böhmen oder mit ihnen zusammen eigene Ziele zu verfolgen. Wilson weist dabei detailliert auf die Bedeutung der Türkenkriege hin, die zu dieser Zeit das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ an dessen Südgrenze in Atem hielten. Die Ablenkung durch die osmanische Gefahr bot vor allem protestantischen Ländern weiter im Norden eine Möglichkeit, das entsprechende Machtvakuum zu nutzen.

Diese Konstellation hätte jedoch nie für einen dreißig Jahre reichenden Krieg gereicht. Wilson bringt daher gleich zu Beginn die „externen“ Mächte ins Spiel. Spanien war durch die Habsburger-Dynastie mit dem Deutschen Reich verbunden. Es führte seit dem Ende des 16. Jahrhunderts einen zähen Krieg gegen die Niederlande, die sich vom spanischen Mutterland losgesagt hatten. Die protestantischen Vereinigten Niederlande sahen in rebellischen Ländern potentielle Verbündete, ohne deswegen gleich in den Konflikt einzugreifen. Doch auch ihnen kam die Schwäche des Reiches infolge der Unruhen gelegen, weil sich der Kaiser jetzt nicht mehr der Unterstützung seiner spanischen Verbündeten widmen konnte. Die daraufhin zunehmenden militärischen Aktivitäten der Vereinigten Niederlande führten zu einer deutlichen Verstärkung der spanischen Truppen, die wiederum teilweise durch protestantisches – und französisches! – Gebiet anmarschieren mussten. Die zusätzlichen konfessionellen Spannungen zwischen dem katholischen Spanien und den protestantisch-calvinistischen Niederlanden sorgten dabei zu entsprechenden Solidaraktionen benachbarter Länder. Spanien drängte die Habsburger nahezu während des gesamten Krieges mit wechselndem Erfolg, aktiv in den Kampf einzugreifen. Auf der anderen Seite bot sich dem dänischen König Christian mit dem konfessionellen Konflikt eine gerne genutzte Gelegenheit, seine territorialen Interessen in Deutschland durchzusetzen.

Als Christian IV. dann eine schwere Niederlage einstecken musste, gab das daraufhin eintretende Machtvakuum im Norden den Schweden eine Möglichkeit, nach Süden vorzustoßen. Da man sich sowieso in einem dynastischen Konflikt mit Polen befand, konnte man sozusagen „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“. Der charismatische und machtbewusste Gustav Adolf konnte sich auf diese Weise nicht nur von der dänischen Herrschaft befreien, sondern unter dem – auch von anderen Ländern gern genutzten – Vorwand, die Rechte der deutschen Protestanten zu schützen, bis nach Süddeutschland vorzudringen.

Bleibt noch Frankreich, das sich zwar lange neutral verhielt, dann aber in den spanischen Aktivitäten eine Bedrohung sah und sich mit den Niederlanden verbündete. Dass man nebenbei auch noch das Territorium bis zum Rhein arrondieren konnte, war dabei mehr als ein Kollateralnutzen. Die innerfranzösischen Konflikte um dynastische und territoriale Forderungen zogen das Land fast zwangsläufig in den Konflikt hinein, da die inneren Gegner sich gerne Verbündete im deutschen Raum suchten – und fanden.

Wilson schildert all diese Verwicklungen detailliert bis in die jeweiligen (innen)politischen Hintergründe, Intrigen und Motivationen. Dabei gewinnen auch Drahtzieher wie die französischen Kardinäle Richelieu und Mazarin oder spanische Politiker an Kontur. Die entscheidenden Impulse kamen meist von Männern aus der zweiten Reihe, während sich die jeweiligen gekrönten Häupter oft aus  der Politik heraushielten, ihren Ministern jedoch sehr schnell ihre Gunst entziehen konnten, wenn die Ergebnisse sie nicht zufriedenstellten oder Hofintrigen sie dazu zwangen. Dabei spielten die Habsburger Kaiser unterschiedliche Rollen. Kaiser Rudolf zog sich zu Beginn des Krieges ins Private zurück und zeigte bald deutliche Zeichen einer geistigen Erkrankung; seine Nachfolger – Matthias, Ferdinand II. und Ferdinand III. – agierten mit unterschiedlichem Erfolg, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass der Kaiser weitgehend von seinen Kurfürsten abhängig war. Diese nutzten diese Tatsache wiederum je nach Interessenlage aus. Solange es um konfessionelle (Macht-)Interessen ging, war man sich einig, wobei besonders der bayerische König Maximilian eine starke Hilfe war. Doch jeder hatte auch seine eigenen Interessen und wusste die gegen den Kaiser durchzusetzen. Schließlich mussten die Kurfürsten die Gelder für die Finanzierung des Krieges bewilligen.

Wilson zeigt an dieser Gemengelage sehr deutlich, dass es im Grunde genommen über die gesamte Dauer des Krieges stets irgendwo „gute“ Gründe für eine Fortsetzung der kriegerischen Handlungen gab. Das führte zu einer wellenartigen Bewegung des Krieges, sowohl in zeitlicher als auch in geographischer Hinsicht. Die militärischen Aktivitäten schwappten buchstäblich durch das gesamte Reich, von Siebenbürgen bis Ostfriesland, von Sachsen bis zum Bodensee, und Phasen geringerer Aktivitäten (1624/25) – aufgrund Erschöpfung oder Finanznot – standen solche gedrängter Militäroperationen (1630-1632) gegenüber. Wenn sich an einer Front aufgrund lokaler Waffenstillstände oder eindeutiger Siege etwas Ruhe einstellte, nutzten andere Fürsten die freigewordenen Kräfte, um anderenorts alte Rechnungen zu begleichen. Mit zunehmender Kriegsdauer spielten die konfessionellen Gründe eine immer geringere Rolle oder dienten nur als Vorwand für territoriale Gewinne. Selbst zum Ende des Krieges, als alle Parteien wegen der allgemeinen Erschöpfung und Verwüstung auf Frieden drängten, versuchten fast alle Seiten, sich durch militärische Siege eine bessere Ausgangsposition für die Verhandlungen zu verschaffen. So fand die letzte Schlacht noch im Jahr des Friedensschlusses in Münster und Osnabrück statt, als die Verhandlung bereits zwei Jahre liefen. Die Ironie dieses Krieges wollte es übrigens, dass die erste Schlacht 1620 „Am Weißen Berge“ bei Prag und die letzte 1648 in Zusmarshausen stattfand. Dazwischen lagen 23 weitere blutige Schlachten in verschiedenen deutschen Regionen.

Wilson schildert das Geschehen aus einer konsequent chronologischen Perspektive. Das macht die Lektüre wegen des chaotischen Ablauf dieses Krieges etwas unübersichtlich. Wegen der mangelhaften Kommunikationstechnik und Logistik des 17. Jahrhunderts ließen sich Kriege nicht im großen räumlichen und zeitlichen Maßstab planen und durchführen, sondern blieben meist der lokalen Aktion verhaftet. Das führte zwangsläufig zu einer Entkopplung der Aktivitäten bis hin zu militärischer wie politischer Verwirrung. Einer klaren Linie folgten – kurzfristig – nur Gustav Adolf und die Franzosen, da beide aus einem gesicherten und ruhigen Hinterland agieren konnten. Im Kriegsgebiet selbst gab es keine sicheren Gebiete, und damit geriet der Krieg hier bald weitgehend außer Kontrolle. Auch der Kaiser des Habsburgerreiches konnte weitgehend nur reagieren, sei es auf osmanische Aktivitäten, die den Kriegsablauf zeitweilig beeinflussten, sei es auf reichsinterne oder -externe Angriffe. Nur selten gelangen den Kräften des Reiches langfristig geplante militärische Operationen. Die Generäle Tilly und Wallenstein konnten zeitweise solche Akzente setzen, doch spätestens nach Wallensteins Ermordung wegen zu großer Eigenwilligkeit und ausgeprägten Machtbewusstseins stolperten die Kaiserlichen wieder von einer einzelnen Schlacht zur nächsten.

Am Ende diskutiert Wilson die Folgen des Krieges und stellt sie den gängigen Meinungen gegenüber. Dabei erstaunt, dass die Verwüstungen durchaus nicht so flächendeckend und allgemein waren wie üblicherweise angenommen. Es gab weite Landstriche, die über Jahre vom Krieg kaum berührt waren. Allerdings traf es dann irgendwann einmal fast jede Region. Dort, wo die Armeen lagerten, marschierten und kämpften, herrschten tatsächlich Verwüstung, Plünderung, Krankheiten und Tod. Gesellschaftlich untergrub dieser Krieg den Glauben des Volkes an die Herrscher und legte damit die Grundlagen für die Aufklärung im 18. Jahrhundert. Wirtschaftlich erholten sich die deutschen Länder nach dem Krieg erstaunlich schnell, und auch der Bevölkerungsschwund war laut Wilson nicht generell so stark wie allgemein angenommen – von einzelnen Regionen abgesehen. Wer sich nicht die Zeit nehmen will, sich durch alle Verzweigungen des Kriegsgeschehens zu kämpfen, sollte auf jeden Fall die hundert Seiten der im dritten Teil beschriebenen Nachwirkungen lesen. Hier gibt es eine kompakte Quintessenz des Dreißigjährigen Friedens.

Eine Strukturierung nach Themengebieten – Militär, Politik, Soziales, Demographie, Wirtschaft, Kultur – wäre vielleicht für das Verständnis der größeren Zusammenhänge eingängiger gewesen, jedoch auf Kosten der Abläufe sowie der lokalen Abhängigkeiten und Zusammenhänge. Außerdem hätte der Autor dann zwangsläufig die wichtigsten Ereignisse mehrere Male aus verschiedenen Perspektiven schildern müssen. Man verliert bei der vorliegenden, chronologischen Darstellung zwar bisweilen ein wenig die Übersicht, erhält jedoch einen guten Gesamtüberblick über den Verlauf dieses fürchterlichen Krieges.

Neben einem umfangreichen Anmerkungsteil und einem Register gibt es zu jeder der fünfundzwanzig Schlachten eine Karte mit detaillierter Beschreibung. Eine zentrale Bildersammlung vermittelt auch einen optischen Eindruck über Akteure und Abläufe dieses Krieges.

Das Buch ist im Theiss-Verlag erschienen, umfasst 1143 Seiten und kostet 49,95 Euro.

Frank Raudszus

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