Geistliche Musik vom Opernkomponisten

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Ostern steht vor der Tür, und diese Tatsache hat das Staatstheater Darmstadt in seinem Programm für das 5. Sinfoniekonzert der Saison 2017/18 gebührend berücksichtigt. Knapp zwei Wochen vor dem Karfreitag kamen in einem überlangen Konzert, das außerdem ausnahmsweise auch noch ein drittes Mal gegeben wird, zwei eher ausgefallene Werke zu Gehör: Azio Corghis Bearbeitung von Franz Liszts „Via Crucis“ aus dem Jahr 1879 sowie Guiseppe Verdis „Messa da Requiem“, das fünf Jahre früher entstand. Beides sind Spätwerke, zählten doch die Komponisten bei der Entstehung der Werke bereits beide über sechzig Jahre. Franz Liszts „Via Crucis“ für Orgel und Chor beschreibt musikalisch die vierzehn Stationen von Christus´Leidensweg zur Kreuzigung, und Verdis Requiem fügt der bekannte Abfolge eines Requiems noch ein „Responsorium“ hinzu.

Sprecherin Karin Klein

Der 1937 geborene Italiener Azio Corghi hat sich in der Opern-Landschaft mit eigenen Kompositionen und Bearbeitungen einen Namen gemacht. In seiner Bearbeitung stellt er eine eigene Orchesterversion der Partitur des gläubigen Katholiken Franz Liszts dem Evangelium-Text des bekennenden Atheisten José Samarago entgegen. Gläubigkeit und Atheismus bilden ein orthogonales Begriffspaar, das sich metaphorisch als Kreuz darstellen lässt. Darüber hinaus bildet Liszt das Kreuz auch durch entsprechende Tonfolgen ab, und Corghi betont in einem Kommentar noch die „Vertikalität“ der Musik – zum Beispiel zeitgleiche Harmonik und Klangbildung –

gegenüber der „Horizontalität“ eines Textes, der stets seriell interpretiert werden muss. Auch hier also wieder das Kreuz.

Samaragos Text, der in dieser Bearbeitung zum Tragen kommt, deckt nicht nur einen größeren Zeitraum ab als Liszts Stück, sondern zeichnet sich diesem gegenüber auch durch seine Sachlichkeit aus. Die Geschichte von Jesus´ Kreuzigung erscheint hier eher wie eine moderne Kriminalgeschichte ohne ausgeprägte spirituelle Elemente. Am Ende verzeiht bei ihm der sterbende Jesus seinem aus dem Himmel zuschauenden Vater mit den abgewandelten Worten „…denn er weiß nicht, was er tut“. Eine fast blasphemisch zu nennende Version des Kreuzweges. Musik und Treffen sich erst zum Ende, wenn Jesus am Kreuz stirbt.

Natalie Karl (Sopran)

Corghis Liszt-Variationen reiben sich in ihrer Emotionalität an Samaragos rationalem Text und finden erst in dem letzten Frage-Antwort-Paar eine gewisse Kongruenz. In Corghis Musik lassen sich die einzelnen Stationen des Kreuzweges deutlich nachvollziehen: die schwere Last des Kreuzes ebenso wie die drei Stürze des sein Kreuz tragenden Jesus, die schmerzlich gellenden Klagen seiner Mutter oder das Mitleid des Simon. Zu dem Titel „Sancta Veronika“ trägt der Chor „Oh Haupt voll Blut und Wunden..“ vor, und der Tod naht  in einer kargen, geradezu düsteren Instrumentierung. Karin Klein vom Schauspiel-Ensemble des Staatstheaters las Samaragos Text mit der nötigen kritischen Distanz und verstärkte damit noch die beabsichtigte Reibung mit der Musik. Das Orchester unter der Leitung von GMD Will Humburg verzichtete auf jegliches falsches Pathos und trug Corghis Musik in zeitweise minimalistischem Stil vor. Die emotionalen Momente erwuchsen dabei aus den Pausen und Verzögerungen sowie aus der punktuellen Dynamik der Interpretation.

Julia Gertseva (Alt)

Nach der Pause stand Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“ auf dem Programm. Das Requiem entstand anlässlich des Todes von Allessandro Manzoni und spiegelt die Erschütterung des Komponisten wider. Man merkt dieser geistlichen Musik von den ersten Takten die Vaterschaft eines Opernkomponisten an, was Verdi auch zum Vorwurf gemacht wurde. Diesem Requiem fehlt das für die herkömmliche geistliche Musik typische ehrfürchtige Gleichmaß. Dafür meißelt Verdi die Emotionen förmlich aus dem musikalischen Material heraus, wie man es von seinen Opern kennt. Besonders zu Beginn entwickelt die Musik oft einen dialogischen Charakter in der Art eines Sprechgesangs, ein wenig wie in Rezitativen einer Oper. Und schon das erste Kyrie Eleison erinnert an eine Opernarie.

Giuseppe Filiatoni (Tenor)

Die vier Solo-Sänger – Natalie Karl (Sopran), Julia Gertseva (Alt), Giuseppe Filianoti (Tenor) und Georg Zeppenfeld (Bass) – zeigten von Beginn an überzeugende Leistungen. Nicht nur stimmlich waren alle ausgesprochen präsent, sondern auch im Zusammenwirken. Verdi hat eine Reihe der Texte für zwei, drei oder gar vier gleichzeitige Stimmen ausgelegt, die sich im komplexen Linien überlagern, ergänzen oder fugenartig miteinander verzahnen. Trotz dieser Komplexität ging die Transparenz der Stimmen nie verloren, so dass selbst bei diesen Passagen der Text – dank guter Artikulation – noch gut zu verstehen war. Der „Dies irae“ naht mit fanfarenähnlichen Orchesterschlägen, wobei die dazugehörigen Hörner-Motive streckenweise an Mendelssohns „Sommernachtstraum“ erinnern. Das „Recordare“ erklingt wieder im Stil einer Opernarie (Sopran, Alt), und das „Hosanna in excelsis“ des „Sanctus“ erinnert an einen fulminanten Opernschluss.  Der Verdi der Opern schimmert überall durch.

Im „Agnus Dei“ sangen die beiden Damen „a capella“ ganz alleine eine ausgesprochen schwierige Passage derart sicher und intensiv, dass Szenenapplaus angebracht gewesen wäre, wenn ein solcher bei geistlicher Musik üblich wäre. Julia Gertseva füllte mit ihrer in allen Lagen gleich starken und warmen Altstimme den Bühnenraum und konnte sich auch gut gegen das Orchester behaupten. Giuseppe Filianotis Tenor strahlte hell und ohne jegliche Unsicherheiten, und Georg Zeppenfeld lieferte eine souveräne und voluminöse Bass-Partie ab.

Georg Zeppenfeld (Bass)

Der Chor des Staatstheaters war für diesen Auftritt durch den Chor des Musikvereins verstärkt worden und bildete damit einen beeindruckenden Klangkörper. Diesen benötigt man für Verdis Musik auch, die stets die Grenzen der Emotionen mit entsprechender Dynamik und Intensität auslotet. Exaktheit und musikalische Variabilität von lyrisch-innigen bis zu den expressivsten Steigerungen zeichnen den Auftritt dieses Chors aus, der unter der Leitung von Alessandro Zuppardo und Elena Beer stand. Will Humburg dirigierte wie immer mit vollem Körpereinsatz und trieb das Orchester zu einer Glanzleistung an. Denn bei diesem Requiem ging es nicht nur um Intonation und Interpretation sondern angesichts der Dauer und der Intensität auch um Konzentration und – ja! – um Kondition. Das Orchester und sein Dirigent waren in diesem Konzert die einzigen Akteure, die ununterbrochen agieren und die Spannung vom ersten bis zum letzten Augenblick aufrecht erhalten mussten. Sie taten es mit Professionalität und hoher Qualität.

Das Publikum zeigte trotz Dauer und Intensität keine Anzeichen von Ermüdung und dankte dem Ensemble mit anhaltendem Beifall.

Frank Raudszus

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